Zum Stand der Zusammenarbeit von Klimaaktiven und Gewerkschaften
von Jakob Schäfer
Sozial-ökologische Transformationskonflikte und linke Strategien. Prokla, Heft 210, März 2023. 176 S., 15 Euro
In insgesamt neun Beiträgen gehen die verschiedene Autor:innen auf die unterschiedlichen Konfliktkonstellationen von Umweltbewegung und abhängig Beschäftigten ein und erörtern mögliche Strategien für ein gemeinsames Programm.
Auf der Suche nach wirkmächtigen Bündnispartnern gingen Fridays for Future (FfF) schon vor fast drei Jahren auf den DGB zu und schlugen eine strategische Kooperation vor. Bis auf sehr wenige Ausnahmen sind die Entscheidungsträger:innen in den Apparaten des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften jedoch nicht darauf eingegangen, vor allem weil sich in den Vorständen der Gewerkschaften die Vorstellung eines unüberwindbaren Gegensatzes von sozialen und ökologischen Interessen festgesetzt hat.
Der erste Beitrag in diesem Heft der Prokla verdeutlicht recht gut, dass selbst dort, wo sich ein solches Bündnis anbietet, nämlich beim ÖPNV, die naheliegenden unmittelbaren Forderungen nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen. Immerhin hatte die Fachgruppe Busse und Bahnen von Ver.di die Kooperation bejaht und die Möglichkeit gesehen, die jeweiligen Kernanliegen dadurch zu stärken. Das Autorenteam Kim Lucht und Stefan Liebig befragte Aktivist:innen von FfF und Beschäftigte des ÖPNV in drei verschiedenen Regionen (vor und nach dem Kampf für einen Tarifvertrag Nahverkehr). Das ergab, dass man sich zwar annäherte, vor allem bei den Beschäftigten aber noch beachtliche Vorbehalte bestehen blieben. Der Hauptgrund: Abstrakt ist man sich in der Frage der Verkehrswende einig und beide Seiten meinen, dass dafür der ÖPNV ausgebaut und vor allem die bundesweit 87000 Beschäftigten im Fahrdienst besser bezahlt werden müssen. Bedeutenden Widerspruch erfuhr aber die Forderung nach einer kostenlosen Nutzung (bzw. der Einführung oder Verlängerung des 9-Euro-Tickets). Die Beschäftigten haben große Angst vor dem dabei zu erwartenden Stress (zu volle Busse und Bahnen), vor den daraus sich ergebenden, weiteren krankheitsbedingten Ausfällen usw.
Die Autoindustrie
Bedeutend schwieriger ist es, ein Bündnis von Ökologiebewegung und Beschäftigten der Autoindustrie zu schmieden. Der zweite Beitrag des Heftes kommt, ebenfalls gestützt auf umfangreiche Befragungen (in drei verschiedenen Regionen Deutschlands), zum Ergebnis, dass die gemeinsamen Interessen nur abstrakt, also auf der Ebene einer ganz allgemeinen Zielvorstellung geteilt werden. Als unmittelbare gemeinsame Aktionslosung, die sich auf eine mobilisierungsfähige Sofortforderung stützt, bietet sich hier erstmal nicht viel an.
Wie wenig hilfreich bestimmte Losungen sind, wenn man Brücken bauen will, macht die Autorin Julia Kaiser an folgender Parole deutlich: »Es gibt kein Recht auf Kohlebaggerfahren.« Mit einer solchen Formulierung wird die Existenzangst der betroffenen Lohnabhängigen völlig ignoriert. Stattdessen – das führt die Autorin nicht aus – wäre es sinnvoller, anderes zu skandieren, etwa (sinngemäß): »Es gibt kein Recht, aus Profitinteressen Kohle abzubaggern« o.ä. Richtig ist allerdings sehr wohl die Losung: »Es gibt kein Recht, SUV zu fahren!«, denn hier geht es nicht um die Existenzsicherung, sondern um rücksichtslose, umweltschädliche Autovernarrtheit, Prestigedenken usw.
Dass es auch völlig anders geht als so konfliktscheu wie in Deutschland, schildert die Autorin dann an Hand des beispielhaften Kampfs des Collettivo di Fabbrica GKN in Campo Bisenzio (in der Nähe von Florenz; siehe SoZ 4/2023). In ihrem Beitrag wird deutlich: Ohne die gut verankerte Arbeit eines Kollektivs ist eine Verbindung mit der Bewegung außerhalb nicht vorstellbar. Das Anliegen der Klimagerechtigkeitsbewegung – vor allem der Kampf für eine Konversion – kann nicht von außen an die Belegschaft herangetragen werden. Wenn es im Betrieb keinen Kern gibt, der schon vorher für die Interessen der Belegschaft aktiv ist, wird nichts aus dem angestrebten Bündnis von abhängig Beschäftigten und Klimaschutzbewegung.
Ein weiterer Beitrag befasst sich mit dem noch schwierigeren Konflikt zwischen sozialen Interessen und ökologischen Zielsetzungen in der südafrikanischen Kohleindustrie. Nirgendwo sonst wird so deutlich, dass für einen sozial-ökologischen Konflikt keine Lösung im Rahmen einer Branche zu finden ist.
Postfossiler Extraktivismus
Besonders wertvoll ist der Beitrag von Anne Tittor. Unter Extraktivismus versteht sie nicht nur das Fördern von Öl oder Metallen, sondern auch die mit der Dekarbonisierung verbundene Landnahme (etwa um Pflanzen für die Erzeugung von Biokraftstoffen anzubauen oder etwa Flächen für Solarkollektoren zu okkupieren). Sie kommt zu der Schlussfolgerung: Der postfossile Extraktivismus steigert letztlich den Energiebedarf und wird mit den sozial-ökologischen Folgekosten die weitere Inwertsetzung von Flächen vorantreiben, gerade weil die nachwachsenden Energieträger im Vergleich zu den fossilen einen um das Vielfache höheren Landverbrauch benötigen. Demzufolge drängt die kapitalistische Dekarbonisierungspolitik nach Energiequellen im globalen Süden.
Dies waren einige Kostproben. Nicht jeder Beitrag in dem Heft ist ein Gewinn, aber einige sind eine Bereicherung ökosozialistischer Positionsbildung und Debatte. Deshalb: Die Lektüre des Hefts lohnt sich!