In Sainte-Soline geht die französische Polizei geht mit Brachialgewalt gegen Umweltschützer:innen vor
von Bernard Schmid
»Ökoterrorismus« lautete in Frankreich in den letzten Oktober- und ersten Novembertagen das Reizwort der Woche. Es bezog sich auf Vorfälle bei einer Demonstration am dritten Oktoberwochenende in Sainte-Soline, zu der 6000–8000 Menschen kamen. Dort wurden laut Angaben der Regierung um die sechzig Gendameriebeamte verletzt, umgekehrt sprachen Protestbeteiligte von sechzig verletzten Demonstrant:innen.
Die Demonstration richtete sich gegen ein so schädliches Großprojekt, wie es weiland in der Bundesrepublik die geplante Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf war. Damals wie heute geht es den Gegner:innen darum, das Großprojekt an seiner Baustelle mindestens symbolisch zu treffen. Ritze, Ratze, voller Tücke, in den Bauzaun: eine Lücke…
In Sainte-Soline geht es um den Bau von Wasserrückhaltebecken, die aus den Grundwasserreserven gespeist werden sollen; insgesamt sechzehn größerer Reservoirs sind im westfranzösischen Departement Deux-Sèvres geplant. Das Wasser soll der Intensivlandwirtschaft zur Verfügung stehen, insbesondere dem Maisanbau, der aufgrund seines besonders hohen Wasserverbrauchs in Zeiten des Klimawandels und den damit zusammenhängender Dürreperioden stark umstritten ist. Aktuell hält die im Dezember 2021 in Frankreich ausgebrochene Trockenperiode immer noch an; am Wochenende des 15.April brachen im Département Pyrénées-Orientales (Ostpyrenäen) Waldbrände aus, die 1000 Hektar verwüsteten, wie man sie sonst nur im Hochsommer kennt. Mais verspricht Gewinn ohne hohen Investitionsaufwand und wird in der Massentierhaltung als Futtermittel verwendet.
Nur rund 100 von insgesamt 1800 landwirtschaftlichen Betrieben würden Nutzen aus den Rückhaltebecken ziehen, die aber die Grundwasservorräte aufzuzehren drohen. Überdies wird das bei Tourist:innen beliebte und für die Artenvielfalt wertvolle Feuchtgebiet der marais poitevins gefährdet. Die Baumaßnahmen werden überdies zu 70 Prozent von der öffentlichen Hand finanziert, dienen jedoch höchst umstrittenen privatwirtschaftlichen Zwecken.
Ein Landwirt, der selbst Getreide anbaut und einen wenig wasserintensiven Betrieb führt, stellte den Protestierenden deswegen sein Gelände zur Verfügung – bis zum kommenden 19.Mai, denn ab dem 20.Mai treten für eine dreimonatige Brutzeit örtliche Vogelschutzmaßnahmen in Kraft und das Gebiet wird dann vor menschlichem Zutritt geschützt. So lange werden die Protestcamps auf dem Acker bleiben können, hier sind sie vor dem Zugriff der Sicherheitskräfte sicher.
Wer ist der Terrorist?
Die Demonstration an dem Aktionswochenende im vorigen Oktober hatte die Präfektin – die Vertreterin des Zentralstaats in der Kreishauptstadt – verboten. Etwa 1500 Beamte von Polizei und Gendarmerie versuchten unter Einsatz von Knüppeln und Tränengas, das Betreten des Baugeländes zu verhindern. Im Gegenzug wurden Gegenstände geworfen.
Innenminister Darmanin sprach deshalb von »ökologischem Terrorismus«, in Anlehnung an Auseinandersetzungen in den USA in den 1980er und 1990er Jahren. Dort ging es allerdings um Gruppen, die etwa bei »Tierbefreiungsaktionen« tatsächlich Waffengewalt einsetzten, während es in Frankreich um sog. Demonstrationsstraftaten, aber in keinem Falle um potenziell tödliche Gewalt oder auch nur um Straftaten gegen unbeteiligte Dritte ging. Viele Vertreter:innen der Medien und der Opposition wiesen deswegen das Gerede vom »Terror« zurück und darauf hin, dass dies reale Terrorismusopfer wie die vom Bataclan in Paris verhöhne.
Was die Behörden in Saint-Soline aber vor allem befürchten, ist die dauerhafte Installierung eines Protestcamps von Platzbesetzern im Stile der ZAD (»zu verteidigende Zone«), die fünf Jahre lang den Widerstand gegen den geplanten, gigantischen Flughafenausbau in Notre-Dame-des-Landes in der Nähe von Nantes begleitet – das Vorhaben wurde verhindert, die Regierung gab es Anfang 2018 auf.
Am Wochenende vom 25./26.März kam es erneut zu heftigen Auseinandersetzungen. Wiederum hatte die Präfektin die Demonstration verboten – sie könne kampferprobte Personen aus dem autonomen Spektrum anziehen. Dadurch wurde die Demonstration allerdings erst recht zum Magneten für Menschen aus diesem Bereich.
Von Anfang an gab es ein riesiges Aufgebot von Polizei bzw. Gendarmerie. Letztere verschoss laut behördlichen Angaben 4000, laut Protestierenden bis zu 5000 Granaten mit Tränengas, Reizgas und anderen Inhaltsstoffen. Diese beklagten überdies vierzig Verletzte durch den Einsatz des Gummigeschosswerfers LBD, welchen Innenminister Darmanin jedoch bestreitet, es seien »nur« Granaten zum Einsatz gekommen.
Die Staatsmacht behauptet, 47 Gendameriebeamte seien verletzt worden und zählt »sieben verletzte Demonstranten«. Letztere wiederum sprechen von über zweihundert Verletzten, zwei davon lagen mit schweren Kopfverletzungen im Koma, aus dem einer, Serge Duteil-Graziani, immer noch nicht erwacht ist. Seine Eltern führen eine sehr aktive Solidaritätskampagne.
Teilnehmende berichten ferner, das Eintreffen von Rettungskräften sei auf Betreiben der Einsatzleitung hin verzögert worden. Innenminister Darmanin bestreitet auch dies und behauptet, Ärzte seien mit Steinen beworfen worden. Doch ein Mitschnitt von Telefongesprächen zwischen Protestbeobachtern der Liga für Menschenrechte (LDH) und dem Rettungspersonal, den mehrere französischen Medien veröffentlichten, scheinen die Vorwürfe zu belegen.
Am 28.März kündigte Darmanin ein Verbotsverfahren gegen die Umweltorganisation Les soulèvements de la terre (Die Erhebungen der Erde) einzuleiten, die die Demo drei Tage zuvor organisiert hatte. Eine Solidaritätskampagne hat begonnen.
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