Widerstand gegen Ausbeutung auf der Straße
von Anton Stortchilov
»Wenn ich für uns alle einen Wunsch äußern darf, Herr Minister«, ließ mich der grauhaarige Fahrer übersetzen, »geben Sie uns die Möglichkeit, hier in Deutschland eine Einstellung zu finden. Wir wissen, dass es hierzulande an erfahrenen Spediteuren mangelt. Wir kriegen hier sofort Arbeit, aber wir brauchen die rechtliche Möglichkeit.« Alexander Schweitzer, Arbeitsminister in Rheinland-Pfalz (SPD), wollte keine klare Zusage machen – es liegt vermutlich auch nicht in seiner Kompetenz, aber er wollte die allgemeine Frage der Speditionen auf deutschen Straßen in der Arbeitsministerkonferenz ansprechen.
Die Kämpfe sind aber konkret. 62 Lastwagen und ihre Fahrer stehen in Gräfenhausen. Die Streiks fingen vor knapp einem Monat an verschiedenen Standorten an, aber die Leute haben völlig richtig erkannt, dass sie erst in der Gruppe wirklich widerstandsfähig sind. Wie klug das Vorgehen war, zeigte sich am Karfreitag, als der polnische Eigentümer mit Schlägertrupps die Lkw an sich reißen wollte. Daran ist er vorerst gescheitert – auch, weil deutsche Gewerkschaftskollegen die Polizei über den Sachverhalt aufgeklärt haben. Die Fahrer sind sich einig: Werden die Schulden von etwa 4000 Euro pro Kopf – 50 Tagessätze – nicht vollumfänglich bezahlt, werden die Lkw nicht abgegeben. Einige Kollegen sind – so heißt es – auf die Versprechen des Chefs, die Sache in Polen zu klären und das ausstehende Geld dort zu bezahlen, reingefallen; bis heute haben sie keinen Cent gesehen, andere sollen ins Krankenhaus geprügelt worden sein.
Die niederländische Gewerkschaft FNV, die die Interessen der Fahrer wahrnimmt, versucht gerade, das Geld von den Unternehmen einzutreiben, die der Firma Mazur die Aufträge erteilt haben. Die Familien der Fahrer brauchen dringend ihre Überweisungen. Manche könnten ihr Obdach verlieren. Dennoch sind die Männer unverzagt und kein bisschen eingeschüchtert. Sie grillen, tanzen und sagen einem manchmal halb im Scherz, wenn sich keine Lösung findet, werden sie die Lkw einfach anzünden. Sie lassen sich nicht zum Narren halten. In einem Wagen haben sie eine Feldküche eingerichtet: Gewerkschafter:innen, Politiker:innen, Kolleg:innen und einfache Menschen versorgen sie mit Lebensmitteln. Eine Delegation der Streikenden am Uniklinikum Gießen und Marburg überbrachte eine Spende: »Ihr braucht uns, wenn ihr krank werdet, wir brauchen euch, damit ihr uns mit allem notwendigen beliefert«, meinten sie.
Es ist ein Anliegen der ganzen deutschen Arbeiterklasse, dass diese Menschen nicht einfach vom Unternehmer gefeuert und von Polen aus nach Georgien und Usbekistan abgeschoben werden. Sie sind nicht mehr bloß Kollegen. Sie sind ein Symbol geworden, ein Lakmustest dafür, was sich die Ausbeuter in Deutschland so erlauben dürfen. Es ist an uns, einzufordern, dass es nicht nur »allgemein«, in luftigen Absichtserklärungen, die nur künftige Fälle betreffen, eine Verbesserung der Lage von Lkw-Fahrern gibt, sondern konkret für diese Leute. Wenn sie hier gewinnen, wird es für die ganze Branche wichtiger sein als hundert Konferenzbeschlüsse.
Der Autor war als Übersetzer vor Ort und ist Kreisvorsitzender der LINKEN im Odenwaldkreis.