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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2023

Der Lohndrücker in der deutschen Autoindustrie…und das Verhältnis der IG Metall zum Elektroauto
von Heidemarie Schröder

Vor gut einem Jahr, Ende März 2022, wurde Teslas Elektroauto­fabrik in Grünheide eröffnet. Inzwischen liegt ein Antrag auf deren erste Erweiterung vor.

Gegen die Standortwahl für das Werk im Berliner Südosten sprachen viele Gründe: der künftige Wasserverbrauch der wachsenden Fabrik, ihre teilweise Lage im Trinkwasserschutzgebiet, die notwendige Rodung großer geschlossener Waldareale, der Landschafts- und Naturschutz und schließlich der Wandel der Heimat vieler Brandenburger von einer Wald- und Seen- in eine Industrielandschaft. Auf der Seite der Positiva steht das von Tesla eingelöste Versprechen, der größte industrielle Arbeitgeber Brandenburgs zu werden.
Ist dies in Summe nun ein Gewinn oder ein Verlust für Brandenburg? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich neben der Zahl der geschaffenen Arbeitsplätze (im März 2023 sind das 10000) die Bedingungen anschauen, zu denen beim Elektroautobauer gearbeitet wird.

Die Verhältnisse bei Tesla
Der Respekt eines Arbeitgebers vor seinen Beschäftigten zeigt sich in so einfachen Größen wie dem Arbeitslohn, der gezahlt wird, der Arbeitszeit, die geleistet werden muss, dem Arbeitsklima, in dem gearbeitet wird, und darin, ob bei individuell ausgehandelten Arbeitsverträgen jeder im Werk sich selbst der Nächste ist oder ob eine Interessenvertretung gleichen Lohn für gleiche Arbeit bei guten Arbeitsbedingungen mit dem Arbeitgeber auszuhandeln vermag.

  1. Der Arbeitslohn. Der Lohn bei Tesla soll in der unteren Gehaltsgruppe (z.B. für ungelernte Arbeitskräfte) um gut ein Drittel unter dem liegen, der bei deutschen Autoherstellern gezahlt wird. Die Gehälter für Facharbeiter sollen Tariflöhne um etwa ein Fünftel unterschreiten.
  2. Die Arbeitszeiten. In Stellenanzeigen Teslas in Deutschland werden keine Arbeitszeiten genannt. Es ist jedoch stets von Stress und hartem Druck, die ausgehalten werden müssen und von extrem knappen Zeitfenstern und aggressiven Zielen die Rede. Gegenüber der IG Metall berichteten Tesla-Beschäftigte von belastenden Schichtsystemen, häufiger Mehrarbeit an Wochenenden und generell sehr hoher Arbeitsbelastung. Irene Schulz, Bezirksleiterin der IG Metall resümiert: »Alles in allem (unternimmt) das Unternehmen nicht genug, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern, und bietet zu wenig Raum für Freizeit und Erholung« (Der Spiegel, 12.1.2022). Von der 35-Stunden-Woche, die die IG Metall im Berliner Südwesten bei Mercedes durchsetzte, hat man bei Tesla im Berliner Südosten noch nichts gehört.
  3. Das Arbeitsklima. Eine Sache sind zu heiße Werkshallen im Sommer und zu kalte im Winter, von denen berichtet wird. Eine andere sind Berichte von einem Klima der Angst, das entsteht, wenn von Beschäftigten Geheimhaltungsklauseln zu unterschreiben sind, Mobiltelefone ausgespäht werden und Werksspione eingestellt werden, um zu verhindern, dass Kenntnisse von Missständen nach außen gelangen (Süddeutsche Zeitung, 29.12.2022).
  4. Die Vertretung von Arbeiterinteressen. Es gibt weltweit in keinem der bestehenden Tesla-Werke eine Gewerkschaftsvertretung. Im US-amerikanischen Buffalo wurden 30 Beschäftigte, die eine solche in einem Musk-Betrieb planten, wahrscheinlich aus diesem Grunde entlassen. Im Teslawerk in Grünheide gibt es zwar einen Betriebsrat, in diesem befinden sich jedoch keine Vertreter der Arbeiterschaft. Mit der IG Metall steht dieser Betriebsrat auf Kriegsfuß. Er warf ihr in einer an die Werksmitarbeiter gerichteten E-Mail vor, Falschinformationen zu verbreiten, Beschäftigte auszuhorchen oder sie sogar dazu anzustiften, gegen das Arbeitsrecht zu verstoßen.
    Wir haben bei der IG Metall deshalb nachgefragt, ob sie die Ansiedlung Teslas heute noch genauso euphorisch begrüßt wie vor einem Jahr anlässlich der Werkseröffnung. Es wurde uns bestätigt, dass die IGM Tesla nach wie vor positiv gegenübersteht. Der Wechsel zum E-Automobil sei in Deutschland nicht mehr aufzuhalten und es sei positiv zu bewerten, dass entsprechende Arbeitsplätze in Brandenburg entstanden seien und nicht außerhalb Deutschlands. Mit ihrer Ansiedlung im ehemaligen Bahnhofshäuschen in Fangschleuse, wo die Teslaarbeiter vom Werksbus in den Regionalzug umsteigen müssen, wolle die IGM zunächst Präsenz zeigen. Alles weitere sei klassische Gewerkschaftsarbeit.
    Im Februar 2024 wird der Betriebsrat in Grünheide neu gewählt. Möglichen Kandidaten für diese Neuwahl wird es schwer fallen, sich in einem Klima der Angst, bei hoher Mitarbeiterfluktuation und innerhalb einer Belegschaft, die sich aus 50 Nationen rekrutiert, zu profilieren. Der jetzige Betriebsrat versucht dennoch, sein Image als »der verlängerte Arm von Elon Musks Managern in Deutschland« loszuwerden. Er will die Belegschaft davon überzeugen, dass es keine Gewerkschaft bei Tesla braucht und fordert deshalb angeblich von der Führung »bessere Löhne und Leistungen als bei BMW, Porsche und Mercedes« (Business Insider, 29.3.2023).

Das Fazit
Bisher sehen die harten Fakten der Arbeit bei Tesla in Grünheide – das Arbeitsentgelt, die wöchentliche Arbeitszeit, das materielle und geistige Arbeitsklima und die Existenz einer echten Interessenvertretung der Arbeitenden – sehr viel schlechter aus als bei deutschen Autobauern. Der Nachweis, dass große Elektro-SUVs, wie Tesla sie produziert, einen Nutzen für das Klima bringen, steht noch aus. Kleine E-Automobile, wie sie BMW oder VW bisher im Portefeuille hatten, sind dort entweder zur Zeit nicht lieferbar oder werden als Neuwagen überhaupt nicht mehr produziert. Also ist auch bei BMW und VW die »Verkehrswende« zu großen schweren Elektrofahrzeugen mit nur fraglichem Vorteil für die Umwelt, dafür aber großen Gewinnmargen zu konstatieren.
Mit Elon Musk haben sich Brandenburgs Politiker einen Arbeitgeber ins Haus geholt, der den Beweis noch schuldig ist, dass ihm Platz 1 als bester Arbeitgeber ebenso wichtig ist wie Platz 1 in der Liste der reichsten Männer der Welt. Der politisch gewollte Wechsel zur E-Mobilität wird – politisch ungewollt – einen massiven Verlust an Arbeitsplätzen in der vom Autobau abhängigen deutschen Industrie zur Folge haben. Eine Abkehr von Deutschlands Abhängigkeit von der Automobilindustrie lässt gerade die jetzige Ampelkoalition nicht erkennen. Wenn »alles beim Alten« bleibt – die Zahl der neu gebauten Autobahnen, die Geschwindigkeit, mit der auf diesen Autobahnen gefahren werden darf, die Zahl der Fahrzeuge, die dort unterwegs sein werden – und nur die Arbeit in der Automobilindustrie dank steigender Arbeitslosigkeit schlechter bezahlt werden kann, werden die Grünen keine Umweltpartei und die Sozialdemokraten keine Arbeiterpartei mehr sein.
Der 1.Mai 2023 sollte deshalb für die Arbeitenden nicht nur bei Tesla, sondern auch für die Gewerkschaften kein Feiertag, sondern ein Nachdenk- und Kampftag sein.

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