Szenarien vom Anti-Kohle-Protest zur Gegenmacht
von Eva Hengstermann
Lützerath markierte symbolisch wie real die 1,5-Grad-Linie. Im Januar wurde der Abriss des Dorfes mit brutaler Staatsgewalt durchgeboxt. Mit dieser Entwicklung steht der Klimabewegung im Rheinland nun das bevor, was bundesweit schon länger gilt: Die Loslösung vom Anti-Kohleprotest, ohne die Kohle ganz aus dem Blick zu verlieren.
Die Zerstörung von Lützerath besiegelt jedoch weder eine bis zur Unbewohnbarkeit erhitzte Welt, noch den Triumph des Kapitalismus. Emissionen einzusparen wird auch dann noch wichtig sein, wenn die 1,5-Grad- oder 2-Grad-Marke bereits gerissen ist. Für die Klimagerechtigkeitsbewegung bedeutet das vor allem einen langen Atem zu bewahren und sich nach dem gescheiterten Abwehrkampf wieder aufzurichten.
Auch wenn der Weiler für immer zerstört ist, wirkt Lützerath als Nährboden des Protests weiter. In und durch Lützerath konnten sich diverse Akteur:innen vernetzen, die die Bewegung mit ihren Strategien und Perspektiven bereichern. Die Bewegung ist inzwischen groß genug, dass sich der Protest an mehreren Schauplätzen mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung entladen kann. Damit sich die Bewegung nicht zerfasert, ist es wichtig, die Aktionen nicht als getrennt voneinander stattfindende Happenings zu betrachten, sondern Bezüge zueinander herzustellen. Der rote Faden, der sich durch alle Aktionen zieht, ist die Erkenntnis, dass es für eine klimagerechte Welt eine radikale Abkehr von Profitlogik und kolonialer Ausbeutung braucht.
Campen in Wolfsburg und anderswo
Um Vernetzung geht es in diesem Jahr u.a. Ende Gelände. Statt eines klassischen Aktionscamps wird es in Anlehnung an das System Change Camp vom letzten Jahr ein Movement Building Camp geben. Ziel ist es, gemeinsame Strategien zu entwickeln, zu vernetzen und Wissen sowie Fähigkeiten zu teilen.
Im Fokus steht der Austausch und die Vernetzung mit MAPA (most affected people and areas) sowie mit Gruppen, die zu antikolonialen und antirassistischen Themen arbeiten. Eine wichtige Rolle wird hier die Klimagerechtigkeit spielen, ein Begriff, den BIPOCs in den USA in die Umweltbewegung trugen. Ihr Protest richtete sich gegen eine rassistische Umweltpolitik, die umweltverschmutzende Infrastruktur in »schwarze« Vororte verlegt.
Auch das No-Border-Klimacamp in Basel adressiert die untrennbare Verschränkung von antirassistischen und ökologischen Zusammenhängen. Vom 3. bis 13.August wird es auf dem Klimacamp Raum für Inputs, Workshops und Vernetzung geben. Um die Kämpfe zu verbinden, werden Perspektiven von Betroffenen der Klimakrise und des Migrationsregimes eingenommen. Der gemeinsame Protest soll auch auf die Straße getragen werden.
Ende März protestierten Klimaaktivist:innen von Block Gas und Don‘t Gas Africa bereits gegen die Gaskonferenz in Wien und wiesen dabei auf die kolonialen Strukturen der klimaschädlichen Gasprojekte hin. Um unabhängiger von russischem Gas zu werden, baut die EU auf LNG Terminals und den Bau riesiger Gaspipelines quer durch Afrika.
Die Klimakrise ist eine Krise des Kapitalismus, von der nur sehr wenige profitieren. Arbeiter:innen gehören definitiv nicht dazu. In Wolfsburg hat sich eine Initiative aus Klimaaktivist:innen und VW-Arbeiter:innen gebildet, die für die klimagerechte Umrüstung der Autoindustrie mobil macht. Der nächste Anlass für Protest ist die am 10.Mai stattfindende Aktionärsversammlung von VW. Geplant ist ein Verkehrswendecamp vom 5. bis 10.Mai mitten in der Wolfsburger Innenstadt. Der Fokus dieses Camps liegt auf der Vernetzung zwischen VW-Arbeiter:innen, Gewerkschaften, Wissenschaftler:innen, Zivilgesellschaft und Aktivist:innen.
Auch das Bündnis Sand im Getriebe kündigte ein Wiedersehen mit der Autolobby an. Viel ist noch nicht bekannt, aber in diesem Jahr soll die IAA, die Internationale Automobilmesse, erneut zum Anlass für Aktionen genommen werden. Die IAA findet dieses Jahr vom 5. bis 10.September in München statt.
Die Kohleindustrie ist noch lange nicht vom Tisch. In der Lausitz wird derzeit ähnlich wie letztes Jahr im Rheinland das Ende der Kohleförderung verhandelt. Die Verhandlungen zwischen Bundesregierung und LEAG finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und drohen in einem ähnlichen Fiasko wie im Rheinland zu münden. Im Rheinland steht der Abriss der Landstraße L12 sowie weiterer Windräder bevor. Im globalisierten Kapitalismus geht es jedoch nicht nur um die Kohle, die in Deutschland abgebaut wird, sondern auch die Kohle, für die Menschen im globalen Süden vertrieben und ermordet werden – etwa in Kolumbien.
Da die Klimakrise keine rein ökologische Krise ist, braucht es internationale Vernetzung und eine mit Akteur:innen außerhalb der Öko-Bubble. Nur so können die sozialen Dimensionen der Krise stärker ans Licht geholt werden. Stimmen für eine Beendigung kolonialer Ausbeutung, für Umverteilung und für Vergesellschaftung gibt es seit Jahrhunderten. Sie müssen unüberhörbar werden.
Wenn die Klimagerechtigkeitsbewegung eine Gegenmacht aufbauen will, braucht sie starke Beziehungen mit Arbeiter:innen, antikolonialen Aktivist:innen, Armutsbetroffenen und Gewerkschaften weltweit.
Eva Hengstermann studiert Plurale Ökonomie und ist in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv
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