Proteste gegen Beibehaltung der Befristung
von Simone Claar
Arbeitsverhältnisse im wissenschaftlichen Betrieb an Hochschulen sind schon lange ein Skandal. Die am 17.März 2023 veröffentlichten Eckpunkte des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zum Sonderbefristungsrecht haben – insbesondere auf Twitter – jetzt erneut zu einem Sturm der Entrüstung von Betroffenen, den Beschäftigteninitiativen und Gewerkschaften geführt.
Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) ist momentan das Thema in der Wissenschaftspolitik. Problematisch war auf den ersten Blick der Umgang mit der Post-Doc-Phase, also die Zeit, in der wissenschaftliche Mitarbeiter:innen nach ihrer Promotion weiter an der Hochschule tätig sind. Außerdem die grundsätzliche Beibehaltung der sogenannten Tarifsperre, die eine Aushandlung von Verbesserungen in Tarifverhandlungen zum Thema Befristung untersagt. Spannenderweise gab es – gerade im Hinblick auf die Verkürzung der Post-Doc-Phase ohne Anschlusszusage – lauten Protest und Gegenstimmen von Professor:innen. Ganz anders etwa als die Hochschulrektorenkonferenz, die alle leichten Verbesserungen für die Beschäftigten – dazu zählt auch die Aufweichung der Tarifsperre – kritisierte. Diese Empörung und die Diskussionen haben sich innerhalb weniger Tage auf Social Media abgespielt.
Am Ende hat das BMBF die Eckpunkte in die »Montagehalle« geschickt. Trotz dieser Ankündigung war klar, dass der Protest auf die Straße muss. Das Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft hatte für eine Kundgebung am 24.März 2023 in wenigen Tagen 500 Personen vor das BMBF mobilisiert. Eine Woche später konnte man per Livestream die Diskussion über das Eckpunktepapier verfolgen. Die schon bekannten Argumente aller Seiten wiederholten sich. Die Diskussion zeigte, dass eine Kompromisslösung nicht der Weg sein kann. Außerdem führt allein die Novellierung des WissZeitVG nicht dazu, auch tiefgreifendere Veränderungen im Wissenschaftssystem anzustoßen.
Aus meiner Sicht braucht es eine neue Vision für das Wissenschaftssystem in Deutschland. Kurzfristig heißt dies, dass wir eine vollständig demokratisierte Hochschule, gute Arbeit, und die 6+0-Regel brauchen – also einen unbefristeten Arbeitsvertrag nach sechs Jahren Tätigkeit. Wir können uns dabei nicht auf die Novellierung des WissZeitVGs verlassen, sondern müssen uns selbst vor Ort engagieren, um auch gute Arbeit in der Wissenschaft zu erreichen. Das geht nicht allein, sondern nur gemeinsam mit den Kolleg:innen und den Gewerkschaften, da sie das Wissen und den Zugang zu Ressourcen für einen erfolgreichen Arbeitskampf haben.
Wir müssen diverse Hürden überwinden: Dazu zählt eine große Individualisierung und Fokussierung auf die eigene wissenschaftliche Karriere. Außerdem stellt sich die Frage, wer die Adressatin unserer Forderungen sein soll, denn Hochschulen, Landesregierung und Bundesregierung schieben sich die Verantwortung hin und her. Für die geplanten Hochschulproteste im Sommersemester brauchen wir Organisierung und Vernetzung vor Ort wie bei UniKasselUnbefristet, gemeinsam mit den Gewerkschaften. Das gilt auch im Hinblick auf die Tarifverhandlungen in diesem Herbst/Winter. Wenn wir tatsächlich bessere Arbeitsbedingungen und Entfristung wollen, können wir uns nicht allein auf die »Montagehalle« verlassen – denn es sieht weiterhin so aus, dass es auf eine Kompromisslösung hinausläuft, die niemanden glücklich macht.
Simone Claar ist Mitglied der GEW Hessen und bei UniKasselUnbefristet aktiv.
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