Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Industrie 1. Juni 2023

Billiger Strom für Energiefresser
von Matthias Becker

Einmal im Jahr lädt die Bundesregierung ein zum internationalen »klimapolitischen Dialog«. Dann werden Forderungen abgestimmt und Bündnisse geschmiedet für die nächste UN-Klimakonferenz – und Deutschland präsentiert sich der Weltöffentlichkeit als verantwortungsbewusst und ökologisch vorbildlich. Diesmal machten sich Außenministerin Baerbock und Kanzler Scholz für gemeinsame Ziele im Ausbau von Sonnenenergie, Wind- und Wasserkraft stark. »Ja, das ist etwas Neues!«, lobte sich die Ministerin in ihrer Rede selbst.

Der deutsche Auftritt auf der klimapolitischen Weltbühne war gekennzeichnet von einem angestrengten Optimismus und vorgetäuschter Tatkraft, von Phrasen wie »neue Chancen«, »Entschlossenheit« und »größeren Ambitionen«. Aber in Wirklichkeit kommen die UN-Klimaverhandlungen nicht voran. Das letzte Treffen in Ägypten, die COP27, hat einen Scherbenhaufen hinterlassen: keine weitere Senkung der Treibhausgasemissionen, keine stärkere Kontrolle, kein Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen.
Ausgerechnet die Vereinigten Arabischen Staaten (VAE) werden das nächste Gipfeltreffen ausrichten. Der überfällige Ausstieg aus der Energiegewinnung mit Gas und Öl wird auf der COP28 aller Voraussicht nach weiter verschoben.
Auch die Initiative der Bundesregierung, Quoten für regenerative Energie zu vereinbaren, hat wenig Chancen. Das liegt nicht daran, dass die Klimakrise den anderen Nationen gleichgültig wäre. Die meisten können sich allerdings eine Energiewende nach deutscher Manier nicht leisten.
Der umweltschützerische Ehrgeiz der Bundesregierung verfliegt, sobald die Energiekosten der deutschen Industrie steigen. Der Bundeswirtschaftsminister will die Unternehmen der energieintensiven Branchen – Chemie, Metall, Glas, Papier, Batterie und Halbleiter – mit einem Industriestrompreis von 6 Cent für die Kilowattstunde beglücken, garantiert bis zum Ende des Jahrzehnts, private Haushalte zahlen gegenwärtig 40 Cent. Im Gegenzug sollen die Unternehmen zusichern, nicht ins Ausland abzuwandern, sich an Tarifverträge zu halten und ihren Treibhausgasausstoß bis zum Jahr 2045 zu senken – unverbindliche, weil nicht einklagbare Absichtserklärungen. Die Kosten der Subventionierung würden sich auf 25 bis 30 Milliarden Euro belaufen – soviel Umweltschutz muss sich ein Land erst einmal leisten können!
»Transformationsstrompreis« nennt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck dieses Konzept. Er soll verhindern, dass die Betriebe ihre Produktion ins Ausland verlagern. Für die Kosten der Energiewende sollen Steuerzahler und Verbraucher aufkommen, denn das Kapital darf im internationalen Wettbewerb nicht geschwächt werden.
Aber gerade die energieintensiven Branchen nutzen fossile Brennstoffe und verursachen erhebliche Treibhausgasemissionen, etwa ein Fünftel der Jahresmenge. Die private Energienutzung sinkt langsam, die der Unternehmen nicht. Durch die finanzielle Entlastung senkt die Regierung den Anreiz, auf andere, weniger kohlenstoffintensive Verfahren und Werkstoffe umzurüsten, weniger Strom zu verbrauchen oder selbst welchen zu produzieren.
Natürlich bleibt anderen Ländern nicht verborgen, dass Deutschland zwar gerne als klimapolitischer Klassenbester auftritt, sich aber mit allen Mitteln wehrt, wenn internationale Abkommen seine Exportindustrie bedrohen. In der EU sperrte sich die Bundesregierung gegen das Auslaufen von Verbrennungsmotoren, in der »Gaskrise« gegen gemeinsame Preisobergrenzen. Entsprechend realistisch beurteilt das Ausland ihre klimapolitischen Vorstöße: Sie sind unglaubwürdig.

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