In der Autostadt fand Anfang Mai ein ›Verkehrswendecamp‹ statt
von Toni Suricato
Soll sich die Gesellschaft ändern, muss sich die Produktion ändern. Was bedeutet das für die Klimakämpfe? Wie können wir verhindern, dass die ökologische und die soziale Frage gegeneinander ausgespielt werden? Auf einem Camp in der Wolfsburger Innenstadt diskutierten Klimaaktivist:innen darüber mit Beschäftigten der Automobilindustrie.
Der Kampf für Klimagerechtigkeit kann nicht auf der Straße gewonnen werden. Deshalb suchen Aktivist:innen zunehmend den Kontakt zu Arbeiter:innen und Gewerkschaften. Sie haben z.B. Streikende im öffentlichen Dienst bei den Tarifauseinandersetzungen unterstützt oder sogar versucht, gemeinsam mit Beschäftigten die Verlagerung eines Betriebs des Autozulieferers Bosch in München zu verhindern, indem sie einen Vorschlag für eine klimagerechte Produktion entwickelten.
Wolfsburger Aktivist:innen der Amsel 44, wie sie ihr Aktions- und Projekthaus nennen, haben sich zum Ziel gesetzt, die Konversionsdebatte voranzutreiben. Die Umstellung vom Kfz-basierten Individualverkehr zum öffentlichen Verkehr, so ihr Ansatz, erfordert nicht nur sozial- und klimagerechte Verkehrskonzepte vor Ort, sondern auch eine Umstellung der Produktion auf Busse, Straßenbahnen und Züge. Die Aktivist:innen wollen aus der Autostadt Wolfsburg eine »Verkehrswendestadt« machen, den Ausbau der A39 stoppen und den Umbau des VW-Stammwerks auf ÖPNV-Produktion erreichen.
Mit der ambitionierten Forderung, bei VW sollten innerhalb von zwei Jahren Straßenbahnen vom Band rollen, hätten sie zumindest erreicht, dass ganz Wolfsburg kontrovers über ihre Idee diskutiert, sagen sie. Von der Lokalpresse anfangs noch als »Autohasser« bezeichnet, stehen inzwischen Journalist:innen ihrem Ansinnen positiv gegenüber und kritisieren eher die Schikanen der örtlichen Behörden gegen sie.
Anfang Mai schlugen die Aktivist:innen dann ihre Zelte mitten in der Innenstadt in der Nähe des Hauptbahnhofs auf. Trotz der zentralen Lage schienen sich zumindest anfangs recht wenige Wolfsburger aus Neugier spontan aufs Camp zu verirren. In verschiedenen Workshops wurde lebhaft diskutiert: über die Rolle der IG Metall in dem aktuellen Klimaschlamassel, über die Transformation der Produktion und Konversion, über Organizing und verschiedene Protestformen in der Automobilindustrie und Verkehrspolitik.
VW steht jetzt für ›VerkehrsWende‹
In den Diskussionen kam die IG Metall insgesamt eher schlecht weg. Sie habe die massive Ausweitung der Leiharbeit in der Automobilindustrie und damit eine fortschreitende Spaltung der Belegschaften mitzuverantworten. Vor allem zeige sie keinerlei Interesse, sich der klimapolitischen Verantwortung zu stellen. Als eine Organisation, die viel nötiges Produktionswissen für die Konversion in sich vereint, könnte sie eine Schlüsselrolle spielen. Dies tue sie aber nicht, sagt Matthias Fritz, ehemaliger Betriebsrat beim Stuttgarter Autozulieferer Mahle. Im Gegenteil, bspw. wurde letztes Jahr die Zusammenarbeit zwischen Aktivist:innen von Fridays for Future und Metaller:innen beim Münchener Bosch-Werk von gewerkschaftlicher Seite unterbunden. Letztlich wurde das Werk abgewickelt. Eine bessere bundesweite Vernetzung zwischen Klimaaktivist:innen und Beschäftigten aus der Metallindustrie sei laut Fritz unbedingt nötig, um in Zukunft mit realistischen Konversionsvorschlägen zu reagieren, wenn Betriebe angegriffen werden.
Die Einschätzungen über die Aussichten einer klimapolitischen Zusammenarbeit mit der IG Metall gingen weit auseinander. Eine FfF-Aktivistin aus Bayern berichtete, die Kooperation mit anderen Gewerkschaften wie Ver.di funktioniere gut. Es sei aber bisher nicht gelungen, Allianzen mit der IG Metall zu schmieden. Dies liege vielleicht auch am stockkonservativen Landshut, in dem BMW etwa die Dienstwagen der Polizei sponsort. Ein Klimaaktivist aus Magdeburg hingegen äußerte sich positiv über die Erfahrungen der Initiative »Klima und Klasse« mit der IG-Metall-Basis.
4000 Bahnkilometer und ein Tempolimit
Wie weit wir von einer Verkehrswende, die den Namen verdient, entfernt sind, verdeutlichte der ehemalige Maschinenbauingenieur Klaus Meier anhand der Beschäftigtenzahlen im Verkehrssektor. Aktuell sind rund 24000 Mitarbeiter im Eisenbahnbau beschäftigt, 460000 in der Automobilherstellung. Die Zahl der Beschäftigten im Eisenbahnbau müsse mindestens um den Faktor 20 erhöht werden, auch die Busproduktion deutlich hochgefahren werden. Zur Zeit produziert nur noch Daimler Busse in Deutschland.
Der Verbund der Automobilindustrie skandalisiert, dass bei der Umstellung vom Verbrennungsmotor auf E-Mobilität bis 2025 mindestens 178000 Arbeitsplätze vernichtet würden, woran die Klimabewegung schuld sein soll. Dabei ist offensichtlich, dass enorm viele Arbeitsplätze bei einer echten Verkehrswende entstehen würden. Weil aber Straßenbahnen nicht so viel Profit abwerfen wie SUVs, kann die Konversionsdebatte nicht geführt werden, ohne auch über Vergesellschaftung zu sprechen.
Mit Blick auf den Ausbau des ÖPNV wäre es recht einfach, abgekoppelte Orte wieder ans Schienennetz anzuschließen, bevor sie entwidmet werden. Dann muss der bürokratische Apparat in Gang gebracht werden, um Streckenabschnitte erneut zu prüfen und zu genehmigen. Über 4000 Bahnkilometer könnten laut Klaus Meier zeitnah reaktiviert werden. Ähnlich wie ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen erscheint dies als einfach umsetzbarer Schritt in die richtige Richtung – man muss ihn nur tun.
Die Idee einer Verkehrswende ist nicht neu, auch nicht die Frage, was produziert und wie innerhalb der Fabrik entschieden werden soll. Bereits in den 80er Jahren legte der Daimler-Betriebsrat Willi Hoss von der »Plakat-Gruppe« alternative Verkehrskonzepte vor, die monatelang im Betrieb diskutiert wurden. Widerwillig musste sich damals auch die Werksleitung damit auseinandersetzen. Entscheidend für die positive Resonanz der Metaller:innen war, dass das Konzept die Qualifikationsinteressen der Kolleg:innen aufgriff und die Bedürfnisse der Arbeiter:innen nicht aus den Augen verlor.
Aktuell diskutieren die ehemaligen Beschäftigten der GKN-Fabrik in der Nähe von Florenz wieder über die Konversion. Sie betonen, dass die Produktion an der gesellschaftlichen Nützlichkeit ausgerichtet werden müsse, aber auch, dass die Arbeiter:innen selbst daran beteiligt sein müssen, wie der Produktionsapparat umgestellt und der Produktionsprozess kontrolliert wird.
Um ausreichend gesellschaftlichen Druck zu erzeugen, um all dies umzusetzen, müssen Klima- und Arbeiterbewegung zusammenarbeiten. Die Aktivist:innen der Amsel 44 unternehmen einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Richtungsweisend scheint uns auch die Atmosphäre des Camps: Verschiedene politische Strömungen gehen wohlwollend aufeinander zu, suchen engagiert nach Lösungen. Es gab eine breite und kluge Beteiligung an den Diskussionen innerhalb der Workshops (und richtig gute Stimmung auf den abendlichen Konzerten).
Eine längere Version dieses Berichts findet sich auf communaut.org.
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