Die 5.RLS-Konferenz zur ›gewerkschaftlichen Erneuerung‹
von Michael Petersen
1550 Aktive haben vom 12. bis 14.Mai in Bochum die 5. »Streikkonferenz« besucht, gestaltet, mitdiskutiert und zu einem Erfolg gemacht.
Eine Mehrheit der Teilnehmenden war betrieblich aktiv und jung. Vielleicht nicht die Mehrheit, aber für eine Gewerkschaftskonferenz beachtlich, war der wirklich große Anteil von Kolleginnen und Genossinnen.
Bei der Gewerkschaftszugehörigkeit war vermutlich Ver.di in der absoluten Mehrheit. IG BAU, NGG, GEW und EVG waren auch vertreten, ebenso Mitglieder der IG Metall und versprengte Mitglieder der IG BCE. Aber in den beiden eigentlichen Industriegewerkschaften ist der Drang nach »gewerkschaftlicher Erneuerung« offensichtlich noch nicht so stark, oder wir erreichen sie mit solchen Angeboten noch nicht gut genug.
Bewegende Momente
In den drei großen Plenumsveranstaltungen gab es immer dann frenetischen und stehenden Applaus, wenn die Kolleg:innen aus der ersten Reihe der aktuellen Kämpfe auf die Bühne kamen:
Das war so, als ein halbes Dutzend Kolleg:innen zur Tarifrunde Einzelhandel aus einer zur Schließung vorgesehenen Galeria/Kaufhof-Filiale auf der Bühne waren. Der Konzern, der diese Beschäftigten arbeitslos machen wird, hat sich nicht entblödet, ihnen zu schreiben, dass er hoffe, sie als Kunden zu behalten.
Die Kolleg:innen von Lieferando wurden gefeiert, genauso wie die Kolleg:innen von Amazon. Begeisternd ebenso der BR-Kollege mit seiner Gruppe von der EVG, der am Sonntag, also nach dem unsäglichen Vergleich mit der Absage des Streiks, in den Saal rief, dass die EVG von der Sozialpartnerschaft Abschied genommen habe.
Nachhaltig beeindruckend war der Beitrag von Anuschka. Als Beteiligte am siebenwöchigen Streik für einen Entlastungstarifvertrag an den sechs Unikliniken in NRW schilderte sie authentisch Höhen und Tiefen der Streikbewegung. Vor allem aber der enorme Zuwachs an Selbstermächtigung und Beteiligung für und durch die aktiven Teile der Belegschaften berührte.
Wo wollen wir hin?
Aus der Stimmung in den großen Veranstaltungen ließ sich einiges lernen. Beim Hauptreferat von Hans-Jürgen Urban, Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der IG Metall, war der Beifall während seiner Rede immer dann am größten, wenn er versuchte, die großen Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung mit grundsätzlichen Perspektiven zu beantworten.
Urbans »sozialökologische Transformation« durch einen Kampf um »Transformationsräte« und »Wirtschaftsdemokratie« zu erkämpfen, fand offene Ohren.
Über dieses lückenhafte und bisher schwammige Konzept eines langfristigen, schrittweisen Umbaus dieser Gesellschaft, ohne dabei die private Verfügung über die Produktionsmittel grundsätzlich in Frage zu stellen, und ohne die Vorstellung einer anderen gesellschaftlichen Selbstorganisation wird also in der Zukunft intensiv zu sprechen sein. Deutlich wird: die Zeiten haben sich geändert, nur radikale Perspektiven überzeugen.
Ähnliches galt für den Beitrag von Janine Wissler, Ko-Vorsitzende der LINKEN, beim Podium zur Verkehrswende. Auch für sie war der Beifall immer dann am größten, wenn sie von sozialistischer Überwindung der Eigentumsverhältnisse und der »Überwindung aller Verhältnisse, in denen der Mensch ein geknechtetes Wesen sei« gesprochen hat.
Ähnlich wie bei Urban bleibt aber auch ihre Vorstellung etwas nebelhaft, wer da was mit welchen Forderungen und Zielsetzungen wie in Gang setzen soll. Allgemein war zu spüren, dass alle Redner:innen und Macher:innen sehr bemüht waren, Einheit herzustellen und niemandem auf die Füße zu treten – das hieß auch: die Rolle des Gewerkschaftsapparats und die Kritik an ihm nicht zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen.
Und selbst der Altmeister des beschäftigtenfreundlichen Arbeitsrechts, Wolfgang Däubler, riet schwäbisch-verschmitzt unter großem Beifall in milder Altersradikalität den Kolleg:innen wie den Gewerkschaften, nicht immer zuerst zu fragen was erlaubt sei, sondern was gemacht werden muss.
Das Motto der Konferenz einte die Teilnehmenden offensichtlich, sonst wären sie ja nicht gekommen. Was dies aber im einzelnen und genau bedeuten soll, muss weiter besprochen werden. Dies von einer Konferenz als solche zu erwarten, wäre vermessen – das bleibt die Aufgabe aller, Tag für Tag, Schicht für Schicht.
Der eine Strang ist eine breite Diskussion unter dem Schlagwort »Organizing«. Inzwischen gibt es nicht nur bei Ver.di sondern auch bei der IG Metall und sogar der IG BCE Ansätze zu verschiedenen Organizingmethoden, es gibt mehr Erfahrungen und Projekte. Es gibt Organizingabteilungen und Sekretäre, genauso wie das Anheuern Externer für begrenzte Kampagnen. Seit der Konferenz von 2019 hat sich diese Diskussion schon auf Grundlage der in der Zwischenzeit gemachten Erfahrungen entwickelt. Es geht nicht mehr so sehr um das »Ob«, sondern um das »Wie«.
Demokratisierung
Ein anderes Schlagwort, das viele auf der Konferenz bewegte, ist die innere Demokratie der Gewerkschaften. Zum einen haben die Streiks an den Krankenhäusern eine neue Stufe von Beteiligung von Beschäftigten an der Vorbereitung, der Durchführung und dem Abschluss bei solchen Kämpfen entwickelt.
Zum anderen hat das Zustandekommen von Tarifabschlüssen bei Post und TVöD alte Fragen neu aufgeworfen. Wer kommt eigentlich wie und warum in eine Tarifkommission? Können Urabstimmungsergebnisse eigentlich zurückgenommen werden? Wie koppeln sich Verhandelnde eigentlich mit denen zurück, für die verhandelt wird?
Initiativ werden – nicht ›entlarven‹
Linke Kritik an der gegenwärtigen inneren Verfasstheit der Gewerkschaften und ihres Vorgehens insbesondere bei Tarifkämpfen wäre gut beraten, dieses Thema nicht abstrakt und anklagend auf den Tisch zu bringen. In konkreten Konflikten zwischen Aktiven und zentralen Vorständen gilt es konkrete Vorschläge zu entwickeln, wie Aktive, Mitglieder, kampfbereite Belegschaften ihren Anspruch geltend machen können: Nämlich selbst entscheiden zu wollen, was der nächste Schritt sein soll, welches Ergebnis anzunehmen oder abzulehnen sei, welche Mittel zur Durchsetzung die richtigen sind.
Austausch, Diskussion, Leute treffen, neue Erfahrungen aufnehmen, neues Problembewusstsein entwickeln – wer sich auf die Konferenz eingelassen hat, fuhr bereichert nach Hause.
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