Die Letzte Generation – was sie tun, was sie wollen
Irma Trommer im Gespräch mit Matthias Becker
Im April hattet ihr angekündigt, Berlin im Rahmen der Kampagne »Stadtstillstand« lahmzulegen, und habt die Zahl von Straßenblockaden und anderen Aktionen deutlich gesteigert. Wie erfolgreich war aus deiner Sicht die Frühjahrsoffensive?
Das kommt natürlich auf den Maßstab an. Unsere Forderungen hat die Regierung jedenfalls bis jetzt noch nicht erfüllt, deswegen werden wir weiter auf die Straße gehen. Sehr erfolgreich waren wir insofern, als der Widerstand wächst. Während der Aktionswochen haben wir täglich mehrere Blockaden und Protestmärsche gemacht, Dutzende neuer Leute haben sich bei uns gemeldet, um mitzumachen.
Unser Ziel ist zu wachsen, damit die Regierung über unsere Forderungen verhandeln muss. Und auch in dieser Hinsicht machen wir Fortschritte, denn wir haben uns zum Beispiel mit Bundesverkehrsminister Volker Wissing getroffen.
Ihr habt das Gespräch mit dem Minister Anfang Mai als »menschlich respektvoll und äußerst ergiebig« bezeichnet und auf eine Fortsetzung gehofft, auch mit dem Bundeskanzler. Wenige Tage später ließ Volker Wissing verlauten, dass er in einem zweiten Treffen keinen Sinn sieht. Hältst du solche Gespräche wirklich für einen Erfolg?
Dass dieses Gespräch überhaupt stattfand, ist ein Riesenerfolg. Volker Wissing ist der erste Minister der Bundesregierung, der bereit war, sich mit uns zu treffen. Wir konnten uns darüber verständigen, dass zu wenig gegen die Klimakrise unternommen wird. Was fehlt, ist die Übersetzung ins Handeln. Wir haben uns diese Bundesregierung nicht ausgesucht, aber sie ist nun einmal die einzige, mit der wir arbeiten können, weil es nach der nächsten Wahl für sehr vieles bereits zu spät sein wird.
Letztes Jahr hattet ihr angekündigt, bundesweit aktiv werden zu wollen. Warum der erneute Fokus auf die Hauptstadt?
Unsere Strategie der Lokalisierung hat funktioniert, wir haben viele neue Mitstreiterinnen gewonnen. Jetzt sind wir mit ihnen wieder in Berlin, weil dort die politischen Entscheidungen getroffen werden.
Ihr habt während der Aktionswochen vermehrt die Treibhausgas-Emissionen durch Luxuskonsum angeprangert. Zum Beispiel habt ihr ein Modegeschäft und ein Privatflugzeug mit roter Farbe markiert, um darauf hinzuweisen, dass ein nur vierstündiger Privatflug so viel CO2 ausstößt wie eine durchschnittliche Person in einem Jahr verursacht – ein ökologischer Fußabdruck einer ganz anderen Größenordnung!
Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten! Wer so reich ist, dass er in ein Privatflugzeug steigen und ohne Not von Amsterdam nach Paris fliegen kann, trägt unmittelbar dazu bei, dass andere Menschen sterben. Die unteren zwei Drittel der deutschen Gesellschaft haben ihren CO2-Ausstoß während der vergangenen dreißig Jahre kontinuierlich gesenkt, der der Reichen ist dagegen immer weiter gestiegen.
Diese Leute können sich von den Folgen der Klimakrise freikaufen, jedenfalls noch für eine Weile, alle anderen nicht. Bei Hitzewellen können sie sich in kühle Luxusvillen zurückziehen, während in den ärmeren, dicht bebauten Stadtvierteln die Sterblichkeit steigt. Im letzten Jahr gab es in Europa 20000 Hitzetote. Ein erster, ganz einfacher Schritt, um die Emissionen zu senken, wäre es, private Jachten und Flugzeuge zu verbieten.
Wäre es keine gute Idee, die sozialen Aspekten der Klimakrise ins Zentrum zu rücken?
Soziale Gerechtigkeit steht im Zentrum. Die Aktionen gegen Privatflugzeuge zeigen den Reichen: »Nur weil ihr einen Zaun um eure Flugzeuge spannt, bedeutet das nicht, dass ihr so weiter machen könnt! Euer Reichtum ist eine Gefahr für uns alle, und das ist nicht fair.«
Mit unserem gewaltfreien Widerstand wollen wir die größtmögliche Störung der öffentlichen Routine erzeugen. Diese Routine findet hierzulande nun einmal größtenteils im Straßenverkehr statt, und die Blockaden haben sich als sehr wirksam erwiesen. Aber wir sind natürlich immer weiter auf der Suche nach neuen gewaltfreien Formen des zivilen Widerstands.
In der Bewegung ist oft die Rede von sogenannten sozialen Kipppunkten, die es zu erreichen gelte, damit wir endlich wirksamen Klimaschutz umsetzen. Was bedeutet das für dich?
Der Punkt, an dem wir so viele geworden sind, dass wir nicht mehr ignoriert werden können, das bedeutet für mich sozialer Kipppunkt. Ich kann mir vorstellen, dass wir davon gar nicht mehr so weit entfernt sind, vielleicht sogar nur wenige Monate. Das zu beeinflussen, liegt bei uns allen.
Ihr beschränkt euch bei euren Forderungen auf die sprichwörtlichen niedrig hängenden Früchte – einfache Maßnahmen wie zum Beispiel ein allgemeines Tempolimit, für das wir lediglich ein paar neue Autobahnschilder bräuchten, oder das 9-Euro-Ticket. Warum?
Das sind die allerersten, einfachen Sicherheitsmaßnahmen, die die Regierung ergreifen sollte, um uns zu schützen und zu zeigen, dass sie die Dringlichkeit der Lage erkennt. Dass das nicht passiert ist, zeigt uns, die Regierung braucht unsere Hilfe. Wir fordern einen Gesellschaftsrat, in dem repräsentativ ausgeloste Bürger:innen einen Plan entwickeln, wie Deutschland bis 2030 sozial gerecht aus den fossilen Energien aussteigen kann.
Sicher, so stellt ihr die Tatenlosigkeit und Verantwortungslosigkeit der Regierenden bloß. Aber ist der gewaltige Abstand zwischen den sehr zahmen Forderungen und dem nötigen Umfang der notwendigen Reformen nicht auch problematisch? In nennenswerten Teilen der Bevölkerung herrscht eine diffuse Angst vor den notwendigen Einschränkungen, teilweise wird sie gezielt geschürt. Müssen wir nicht viel konkreter in unseren Forderungen und Konzepten werden, um die Verleugnung und völlige Verweigerung aufzubrechen?
Wir protestieren, damit die Verantwortlichen ins Handeln kommen. Eine Mehrheit identifiziert sich mit unseren Zielen, wenn auch vielleicht nicht mit unseren Protestformen. Die meisten Menschen sind bereit, ihr Verhalten zu ändern.
Es ist nicht unsere Aufgabe, die Details der Dekarbonisierung zu planen. Wir sind der Alarmknopf dieser Gesellschaft. Es gibt genug konkrete Vorschläge, es mangelt am Handeln. Wir sagen: Fangt endlich an!
Ich halte es auch für ein großes Problem in der Klimakommunikation, dass viel zu viel über Einschränkungen gesprochen wird, statt die positiven Seiten einer klimafreundlichen Gesellschaft zu betonen.
Du hattest heute eine Gerichtsverhandlung wegen Sachbeschädigung, weil du eine Parole ans Bundeskanzleramt geschrieben hast. Wie ist es gelaufen?
Super! Der Staatsanwalt und der Richter haben eigentlich allen meinen Aussagen zugestimmt, sowohl was die Notwendigkeit des Handelns angeht, als auch das Versagen der Politik. Dann haben sie mich zum geringstmöglichen Strafmaß verurteilt, aber dazu aufgefordert, weiterzumachen! Das zeigt doch die Absurdität unserer Situation.
Sie fordern dich auf, für sie das Klima zu retten…
Sie sagen, sie können sich nicht aus den Rahmen herausbewegen, in denen sie stecken. Aber vor dieser Herausforderung stehen wir alle in der Klimakrise: Wozu bin ich bereit? Welche Grenzen muss ich überschreiten?
Irma Trommer ist Schauspielerin.
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