Schließen

Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2023

Wasserkrisen in Indonesien und ihre Ursachen
von Prathiwi Putri

Indonesien liegt auf dem Platz sieben der Länder mit den meisten erneuerbaren Süßwasserressourcen, wenn man die Europäische Union als Staatenbund mit einem Rang knapp über Indonesien ausklammert (an der Spitze liegt Brasilien, gefolgt von Russland, den USA, Kanada, China und Kolumbien). Indonesiens durchschnittliche monatliche Niederschlagsmenge pro Quadratmeter beträgt das ganze Jahr über 180 bis 280 mm; in Deutschland sind es 35 bis 100 mm. Wohin fließt das Wasser auf dem Archipel, wer zapft das Regenwasser an und profitiert davon?

Die Mehrheit der indonesischen Stadtbevölkerung, die in einem wasserreichen Gebiet lebt, ist auf Trinkwasser in Flaschen angewiesen. Die offiziellen Daten der Nationalen Behörde zur Überwachung von Lebensmitteln und Arzneimitteln (BPOM) zeigen für das Jahr 2020, dass 7780 Marken registriert sind, die von 1032 Unternehmen in Plastikverpackungen unterschiedlicher Größe und Materialart abgefüllt werden. Allein im Jahr 2015 produzierten sie zusammen rund 25 Milliarden Liter, seit 2009 wächst die jährliche Produktion um 12 Prozent. Das französische Unternehmen Aqua-Danone ist derzeit der größte Akteur in dieser Branche.
Das Trinken von abgefülltem Wasser ist kein Lebensstil, den man sich aussuchen oder ablehnen könnte, sondern eine Notwendigkeit. Die Wasserwerke in Jakarta bspw. versorgen nur etwa 60 Prozent der Bevölkerung mit Wasser ohne Trinkwasserqualität, und selbst in einigen flachen Küstengebieten ist die Versorgung wegen des geringen Wasserdrucks in den Rohrnetzen nur unregelmäßig.
Ein Grundschullehrer in Jakarta, einer meiner langjährigen Gesprächspartner in den vergangenen acht Jahren meiner Forschung, lebte allein in einem 9 Quadratmeter großen gemieteten Zimmer ohne eigene Toilette und Küche im Haus. Er deckt seinen Bedarf zum Trinken und Kochen zu 100 Prozent aus nicht wiederverwertbaren Plastikflaschen. Die Menschen in seinem Kampung, der sog. informellen Siedlung, neigen wie viele andere nach dem Anstieg der Energiepreise dazu, von der bisherigen Versorgung mit Wasser zum Kochen aus Brunnen oder dem Wasserhahn auf abgefülltes Trinkwasser umzusteigen. Während meiner Feldforschung im Jahr 2018 habe ich einen solchen Teppich von kommerziellem Flaschenwasser im Kampung des Lehrers nicht bemerkt, er wurde häufig heftig überschwemmt. Jetzt wird es als normal empfunden, dass auch mehr Plastikflaschen weggeworfen werden, wie meine Feldforschungspartner, die jungen Künstler von Muara Suara, einem Kunst- und Medienkollektiv mit Sitz in Samarinda und Jakarta, 2022 berichteten.

Wasserkioske
Es mag den Anschein haben, dass die Ausgaben für Trinkwasser nur einen kleinen Prozentsatz des monatlichen Einkommens ausmachen (wenn man das Glück hat, einen regulär bezahlten Arbeitsplatz zu haben), aber es handelt sich tatsächlich um erhebliche Ausgaben, solange es kein gutes Sozialsystem gibt. Die Ausgaben für Trinkwasser im Haushalt eines Lehrers mit zwei Kindern können bis zu 5 Prozent des Jahreseinkommens ausmachen. Der Prozentsatz könnte geringer sein, wenn ein Haushalt Wasser von Wasserkiosken konsumierte, die privat von kommunalen Unternehmern betrieben werden – ein Wasserkiosk kauft von ländlichen Anbietern Wasser in großen Mengen in Lkw, der Kiosk reinigt und lagert es in lokal sterilisierten gebrauchten Gallonen.
Die Qualität des sog. markenlosen nachgefüllten Wassers ist fragwürdig. Familien der gehobenen Mittelschicht neigen dazu, zu Hause, im Büro, in Cafés und Restaurants auf Markenwasser in Flaschen zurückzugreifen. Die Metropolregion Jakarta, in der rund 30 Millionen Menschen leben, ist auf Plastikflaschen angewiesen, um den Durst ihrer Bewohner zu stillen.

Eine Landschaft von Staudämmen
Die obige Geschichte sagt uns etwas über die strukturell problematische Infrastruktur. Jakarta kann das Regenwasser seines eigenen Verwaltungsgebiets nicht nutzen. Das Unternehmen für Leitungswasser nutzt die Flusseinzugsgebiete Jakartas nur für weniger als 5 Prozent seines gesamten Rohwasserinputs, weil die Flüsse stark verschmutzt sind. In den mehr als 30 Jahren ihrer Entwicklung, die von internationalen Schulden und Korruptionsskandalen geprägt war, hat die Provinz Jakarta Abwassersammelnetze und Klärsysteme für nur etwa 5 Prozent ihrer Fläche entwickelt.
Infolgedessen müssen 82 Prozent der Rohwasserressourcen des Leitungswassersystems aus dem etwa 80 Kilometer entfernten Jatiluhur-Damm in Westjava bezogen werden. Westjava ist eine sehr fruchtbare Region, die die Menschen mit ausreichend landwirtschaftlichen Produkten versorgen soll, aber die Bauern und Landwirte haben mit Wasserkonflikten zu kämpfen.
Staudämme, Wasserreservoirs und Kanäle sind auf dem indonesischen Archipel das modernistische Symbol für Fortschritt und Wohlstand. Allein auf Java gibt es 86 Staudämme, die für die Bewässerung, die Versorgung mit sauberem Wasser für Haushalte und Industrie sowie für die Stromerzeugung gebaut und genutzt werden (laut dem Ministerium für öffentliche Arbeiten und Wohnungsbau, 2021). Viele politische Berichte suggerieren eine erhebliche Verbesserung der Bewässerung durch die Kanalisierung von Wasser aus diesen Dämmen, da sie nun fast 720000 Hektar landwirtschaftliche Flächen versorgen.
Ironischerweise wurden große Staudämme gebaut, indem man den Gemeinden fruchtbares Land wegnahm, deren Funktion aber, den Wasserfluss zurückzuhalten, zerstörte die Wassersysteme der Gemeinden. Sie fressen erstens Land, zweitens Wasser.

Zement
Die Gemeinden des Dorfes Wadas in Zentraljava wehren sich gegen Steinbrüche. Das daraus gewonnene Material soll zum Bau des neuen Staudamms Bendungan Bener genutzt werden, durch den 313 Hektar Gemeindeland geflutet werden. Der Damm wird die Haupt-Wasser- und Energiequelle für den neu gebauten Flughafen in der Universitäts- und Tourismusstadt Yogyakarta sein.
Project Multatuli, eine fortschrittliche journalistische Plattform, die das kollektive Wissens fördert, hat ausführlich über den Fall Wadas berichtet. Fruchtbare Landschaften mit Gemeindewäldern und Landwirtschaft, die jährlich Waren im Wert von fast 14 Milliarden indonesischen Rupiahs produzieren, sind in Gefahr. Eine kapitalistische Wassersicherheit wurde auf Kosten der kommunalen Ernährungssicherheit konzipiert, der Zweck der Wasserversorgung besteht nun darin, das Wirtschaftswachstum zu fördern.
Nicht weit von Wadas entfernt, in den Kendeng-Karstgebieten in Zentraljava, in denen sich Süßwasser ablagert, kämpfen die örtlichen Gemeinden gegen die Zementindustrie, auf die der Bau von Staudämmen angewiesen ist. Die Zementfabriken auf Java, einschließlich derer, in die das Unternehmen Heidelbergcement investiert, decken den größten Teil des indonesischen Baubedarfs. Die Produktionskapazität ist größer als der aktuelle Bedarf, aber es wird auch immer wieder neuer Bedarf geschaffen. Man denke nur an den gigantischen Plan einer neuen indonesischen Hauptstadtregion auf Borneo oder an den im Bau befindlichen gigantischen Seedamm und die Landgewinnung in einer Dubai-ähnlichen Bucht von Jakarta.

Landnahme stoppen!
Unsere Wasserkrise ist eine Mehrfachkrise. Es geht nicht um Knappheit oder schlecht verwaltete Ressourcen. Die Krise ist Ausdruck einer sozialökologischen Ungerechtigkeit. Internationale Organisationen fordern zwar in höflichem Ton eine Veränderung der Wasserbewirtschaftung, aber sie sagen nicht lautstark, dass die Landnahme gestoppt werden muss, die eine Schlüsselrolle in unserer Wasserkrise spielt.
Wir wissen sehr gut, wozu das Land dient, das den lokalen Gemeinschaften gestohlen wurde: der kapitalistischen Industrialisierung und dem Finanzkapital. Es ist eine wichtige Forschungsaufgabe, die Zusammenhänge zwischen Wasser- und Landraub nachzuvollziehen, und alle damit verbundenen kausalen Mechanismen zu erklären. Dazu gehören auch Mechanismen, wie Menschen zum Schweigen gebracht und stärkere soziale Bewegungen behindert werden.
Während immer mehr Denkfabriken im Bereich Wasser daran arbeiten, die neoliberale Wasserpolitik voranzutreiben, gibt es vor Ort nur schwache Alternativen, um sozial und ökologisch gerechtere Modelle der Wasserversorgung und der Wiederherstellung von Wasserressourcen umzusetzen. Immerhin hat die globale Bewegung für Wassergerechtigkeit zur Gründung des People’s Water Forum und zur Opposition gegen das Weltwasserforum geführt. Kritische Forscher sollten am kommenden People’s Water Forum in Bali 2024 teilnehmen.

Prathiwi Putri ist Postdoktoranden-Stipendiatin an der Universität Kassel

Teile diesen Beitrag: