Die deutsche Regierung unterstützt das sudanesische Regime seit der Unabhängigkeit
von Nora Schmid
Militärflugzeuge fliegen über Khartum. Panzer und Artillerie erschüttern die Straßen. Seit Mitte April tobt ein Machtkampf zwischen den regulären sudanesischen Streitkräften und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF). Die Kämpfe haben mittlerweile weite Teile des Landes erfasst, darunter das westliche Darfur, Kordofan im Süden und Merowe im Norden. Der deutsche Bundestag hat jüngst einem Bundeswehreinsatz zur Evakuierung deutscher Staatsangehöriger nachträglich zugestimmt. Sichere Migrationsrouten für Sudanes:innen werden verwehrt. Dabei stärkt Deutschland auch die dortigen Militärs, die nun gegeneinander kämpfen.
Am 15.April eskalierte die Situation zwischen Teilen der sudanesischen Streitkräfte unter Abdel Fattah al-Burhan und den RSF, den paramilitärischen Kräften unter Mohamed Hamdan Dagalo, bekannt als Hemedti. Die RSF besetzten Luftwaffenstützpunkte, den Flughafen sowie Wohngebiete in Khartum, besonders in der Nähe von zentraler Infrastruktur und Sicherheitsgebäuden. Doch schon am nächsten Tag zeigte sich die Übermacht der sudanesischen Streitkräfte, die Luftangriffe gegen die Stützpunkte der RSF flogen. In den eng besiedelten Gebieten sind die Verluste hoch. Hunderte sind bereits ums Leben gekommen. Die Situation verschlechtert sich von Tag zu Tag: Zentrale Infrastruktur wie Krankenhäuser wurde zerstört, vielerorts bricht die Wasser- und Stromversorgung zusammen.
Was bisher geschah
Als der ehemalige General Omar al-Bashir 1989 durch einen Putsch an die Macht kam, setzte er eine Politik fort, die die Regionen außerhalb der Hauptstadt und die unteren Klassen vernachlässigte. Al-Bashir kürzte Sozialausgaben und privatisierte nicht nur staatliche Unternehmen, sondern gliederte auch Teile des Sicherheitsapparats aus.
Die Kriegführung im Südsudan wurde an Milizen abgegeben, und so auch ab 2003 der Konflikt in Darfur. Al-Bashir stützte sich auf die sog. Janjaweed, die später unter den RSF geeint wurden. Kurz vor der Revolution gliederte al-Bashir wiederum die RSF in das Militär ein.
Die Janjaweed waren zentral am Genozid in Darfur beteiligt. Ihr Kommandeur ist damals wie heute Hemedti. Dieser weitete das Wirtschaftsimperium der RSF von Immobilien und Stahlproduktion bis hin zu Drogen und Gold aus.
Durch die Abspaltung des Südsudan 2011 verlor das Land einen Großteil der Ölquellen. Während das Regime versuchte, mit Landverkäufen, vor allem in die Golfstaaten, staatliche Einnahmen zu erhöhen, setzten die RSF auf Gold, schnell wurde es zu ihrem Hauptexportgut und zur Haupteinnahmequelle. Darüber hinaus erweiterten die RSF stetig ihr Aufgabenspektrum und fungieren auch als Grenzwächter für die EU – der Sudan ist Transitland für Migranten aus den umliegenden Staaten. Die RSF hielten Migrant:innen davon ab, den Sahel zu durchqueren, erpressten später Geld für deren Freilassung. Dabei sollen auch EU-Gelder an die Miliz geflossen sein.
Das Militär und die Revolution
Weder Gold noch der Verkauf von Boden konnten das Land aus der wirtschaftlichen Misere holen. Gefördert von Weltbank und Internationalem Währungsfonds hatten die wirtschaftliche Öffnung und später die Sanktionen die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft stark beeinträchtigt. Gestrichene Subventionen trieben die Lebensunterhaltungskosten nach oben, die Armut nahm zu.
Als es 2018 zur Revolution kam, stellten sich das Militär und die RSF zunächst auf die Seite der Demonstrierenden und setzten al-Bashir ab. Die Sudanes:innen forderten jedoch eine zivile Regierung, keine Fortsetzung der Diktatur unter einem neuen Despoten.
Der kurze Moment, in dem Militärs und Revolutionär:innen geeint waren, zerbrach schnell. Ein Sit-in vor dem Hauptquartier der Armee in Khartum begann. Nachdem klar wurde, dass der Widerstand nicht einfach gebrochen werden konnte, machten die sudanesischen Streitkräfte und die RSF gemeinsame Sache und beendeten den Protest mit Gewalt. Am Morgen des 3.Juni 2019 eröffneten Sicherheitskräfte unter Beteiligung der RSF das Feuer auf die Demonstrierenden. Über hundert Menschen wurden getötet, ihre Leichen im Nil versenkt. Das Ziel, die Opposition zu zerschlagen, wurde jedoch verfehlt. Landesweit entflammten Proteste.
Verrat an den Revolutionär:innen
Oppositionelle Strukturen erstarkten in den letzten zehn Jahren, insbesondere seit der Revolution. Gewerkschaften bekamen Zulauf, Widerstandskomitees breiteten sich in den Nachbarschaften aus. Sie verfestigten sich zu einer zentralen Struktur. Trotzdem konnte die Opposition das Militär weder grundlegend reformieren noch verdrängen. Unterstützt von Staaten wie den USA und Großbritannien sicherte sich die Armee einen festen Platz im neu gegründeten Übergangsrat.
Aber auch das Militär konnte die Revolutionäre nicht für sich gewinnen, geschweige denn die Bewegung zerschlagen. Eine Pattsituation entstand, die den Boden für die aktuellen Kämpfe bereitete.
Die neue Regierung sah sich bald mit neuen Protesten konfrontiert, Rufe nach Rücktritten wurden laut. Die RSF und die sudanesischen Streitkräfte nutzten diese Gelegenheit und putschten im Oktober 2021 gegen den zivilen Premierminister. Im November desselben Jahres übernahm der General al-Burhan den Vorsitz des Rates.
Volker Perthes, ehemaliger Direktor der deutschen Stiftung Wissenschaft Politik, half, diesen Deal mit Unterstützung der UN auszuhandeln. Die Verhandlungen fanden hinter geschlossenen Türen statt, die Basis der Revolution wurde von der Beteiligung ausgeschlossen. Statt auf eine zivile Regierung zu drängen, unterstützte Perthes eine militärische Beteiligung und eine Aussöhnung mit dem Militär.
Seit Monaten finden nun weitere Gespräche statt, wieder geleitet von Perthes, der längst zur Hassfigur der Bewegung geworden ist. Bei den Verhandlungen über die Zukunft des Sudan und einer Reform des Sicherheitssektors kam es zum Zwist. Al-Burhan wollte die RSF innerhalb von zwei Jahren in die staatliche Militärstruktur integrieren, Hemedti forderte einen Prozess von zehn Jahren, fürchtete um seinen Einfluss. Zwar einigten sich die Parteien auf ein Rahmenabkommen, die RSF sicherte sogar zu, einige Goldminen abzugeben, dann jedoch scheiterten die Gespräche Anfang April. Die Kämpfe begannen.
Wirtschaftsinteressen
Beide Militärfraktionen konkurrieren nicht nur militärisch, sondern sind in mit der kapitalistischen Klasse verwoben. Die RSF konnte sich insbesondere durch Goldabbau, Söldnereinsätze und Anteile an Banken ein beträchtliches Vermögen sichern. Die sudanesische Armee hingegen verfügt über ein Imperium, das von Importunternehmen bis hin zu Landwirtschaftskonzernen reicht.
Durch die Vielzahl internationaler Interessen verkompliziert sich die Lage. Russland strebt eine Militärbasis am Roten Meer an, die Wagner-Gruppe beteiligt sich in Zusammenarbeit mit den RSF am Goldabbau im Land. Al-Burhan unterhält gute Beziehungen zu Ägypten, gleichzeitig sollen die Vereinigten Arabischen Emirate auf seiner Seite stehen. Staaten wie Saudi-Arabien und China versuchen, ihre Rolle im Land systematisch auszuweiten.
Die deutsche Regierung hat verschiedene Interessen in Sudan. Besonders wichtig: Stabilität, um den Schutz der EU-Außengrenzen aufrechtzuerhalten und Migrant:innen an der Weiterreise zu hindern. Darüber hinaus ist Gummi Arabicum ist ein wichtiger Rohstoff für die Pharma- und Lebensmittelindustrie. Die deutsche Regierung unterstützt das sudanesische Regime seit der Unabhängigkeit in den 50er Jahren: Waffen wurden geliefert, Soldaten ausgebildet und eine Munitionsfabrik aufgebaut. In Darfur wird mit deutschen Waffen gemordet.
Der ›Evakuierungseinsatz‹
Ende April hat der Bundestag nachträglich, ohne Gegenstimme einen Evakuierungseinsatz der Bundeswehr für deutsche Staatsangehörige aus dem Sudan genehmigt. Saudi-Arabien oder die UN brachten ihre Staatsangehörigen bzw. Mitarbeiter:innen auf zivilen Wegen aus dem Land, die USA blieben in dieser Hinsicht gar tatenlos.
Deutschland hingegen nutzte die Gelegenheit, Bundeswehreinsätze im Ausland zu normalisieren und die Opposition gegen diese aufzuweichen. Sogar die LINKE stimmte zu großen Teilen dafür und ging damit einen weiteren Schritt weg vom Konsens gegen Bundeswehr und NATO. Gleichzeitig bleiben sichere Fluchtrouten für Sudanes:innen oder gar eine erleichterte Einreise in die EU aus. Ganz im Gegenteil: Organisationen wie Sudanese Uprising Germany berichten, dass die deutsche Botschaft im Sudan Pässe, die zur Visavergabe einbehalten wurden, zurückhält und damit Menschen an der Ausreise hindert.
Viele Sudanes:innen sind auf der Flucht, anderen fehlen die finanziellen Mittel, sich selbst in Sicherheit zu bringen. Wieder sind die Widerstandskomitees zur Stelle, organisieren Grundversorgung und Evakuierungen. Sie erklären: »Wir bekräftigen, dass wir keine Seite gegenüber der anderen unterstützen, und wir lehnen diesen Krieg in seiner Gesamtheit ab. Die Forderungen unserer Revolution bleiben fest und unverändert, einschließlich der Rückkehr des Militärs in die Kasernen und der Auflösung der Janjaweed-Milizen.«
Staaten wie Deutschland sehen jedoch weiterhin Teile der alten Diktatur als legitime Verhandlungspartner an und unterstützen die Beteiligung der Militärs an der Regierung. Sie schwächen damit die Revolution und schaffen die Grundlage für diesen entfesselten Krieg. Dabei liegt die Hoffnung auf den Widerstandskomitees, den Gewerkschaften und den Arbeiter:innen, die Macht in die eigenen Hände zu nehmen.