Flüchtlinge sollen künftig schon an den EU-Außengrenzen abgefertigt werden
von Angela Huemer
Haftlager an den Außengrenzen, sog. sichere Drittstaaten und Schnellverfahren ohne Prüfung der Fluchtgründe – diese Verschärfungen stehen bevor, sofern sich der EU-Gipfel am 8.Juni darin einig wird. Neu ist daran, dass die deutsche Innenministerin Nancy Faeser Verständnis gegenüber den um einiges härteren Haltungen von Ländern wie Ungarn oder Italien zeigt. Man will sich nun für Asylverfahren an den Außengrenzen Europas einsetzen.
Dass die EU-Asylregeln einer Reform bedürfen, ist schon lange offensichtlich. Ein erster Anlauf scheiterte 2016, ein weiterer, der „New Pact on Migration and Asylum“ enttäuschte in menschenrechtlicher Hinsicht – so die Analyse zahlreicher NGOs, vor allem von Pro Asyl. Vor diesem Hintergrund machten die Vorgaben im Koalitionsvertrag der Ampel zunächst Hoffnung:
»Wir wollen die illegalen Zurückweisungen und das Leid an den Außengrenzen beenden. […] Der Asylantrag von Menschen, die in der EU ankommen oder bereits hier sind, muss inhaltlich geprüft werden«, hieß es da.
Nun scheint davon nichts mehr übrig zu bleiben, schreibt Pro Asyl. Es droht im Gegenteil die Aushebelung des Asylrechts. Im geplanten EU-Grenzverfahren, das am 8.Juni erneut auf einem EU-Gipfel verhandelt werden soll, wird der Fluchtweg der Schutzsuchenden ermittelt. Wer über einen sog. sicheren Drittstaat eingereist ist, muss wieder dorthin zurück. „Werden die EU-Pläne umgesetzt“, so die Analyse von Pro Asyl, werden Asylansuchende inhaftiert und ihr Antrag „wird nicht inhaltlich geprüft“. Pro Asyl hat bei einer Anhörung im Bundestag vergangenen März deutlich vor diesen Plänen gewarnt. Leider bekräftigen auch die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz vom 10.Mai, dass sich die Bundesregierung für Asylverfahren an den Außengrenzen einsetzen soll.
Um zu sehen, wie schlecht solche Lager an den Außengrenzen Europas funktionieren, muss man lediglich nach Griechenland schauen, Stichwort Moria. Auch ohne neues EU-Abkommen praktizieren schon jetzt etliche Länder der EU die aktive Abwehr von Schutzsuchenden – so Kroatien, Griechenland, Bulgarien, Ungarn und Polen. Aus Griechenland belegten erst jüngst wieder Videos Pushback-Aktionen von der griechischen Insel Lesbos in Richtung Türkei (die griechische Küstenwache ist seit Jahrzehnten für ihr grausames Vorgehen bekannt). Länder wie Ungarn und zuletzt Litauen, das sich an Ungarn orientiert, tun sich bei der gesetzlichen Verankerung der Zurückdrängung von Schutzsuchenden hervor.
Die Idee ist alt
Schlecht Ding braucht Weile, möchte man hier anmerken und eine Information von Pro Asyl aus dem Jahr 2004 zitieren: „Die bundesweite Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl kritisiert die heute erneut von Bundesinnenminister Schily in der Süddeutschen Zeitung vorgestellten Ideen für „EU-Aufnahmeeinrichtungen“ für Flüchtlinge in Nordafrika als einen Versuch, Europa unter Umgehung völkerrechtlicher Verpflichtungen flüchtlingsfrei zu machen. Selbst diejenigen Flüchtlinge, die auch Schily für schutzbedürftig hält – nach seiner Ansicht nur eine „relativ kleine Gruppe“ –, will er in der Region unterbringen. Die angedachte EU-Außenstelle in Nordafrika soll sich nach diesen Vorstellungen darum kümmern, prioritär einen afrikanischen Aufnahmestaat zu finden, der von der EU finanziell zu unterstützen wäre.“ Die ersten Anstöße für die Auslagerung von Asylzentren kam übrigens aus England – Tony Blair war damals federführend.
Die Idee für die Auslagerung von Asylverfahren an die Außengrenzen bzw. vor den Grenzen Europas ist also alt. Mittlerweile gehört Grossbritannien nicht mehr der EU an und schmiedet seinerseits Pläne, Asylsuchende nach Ruanda auszufliegen.
Damals wie heute klingen die Argumente für solche Zentren „humanitär“. Man will den Schmugglern das Geschäft vermiesen und verhindern, dass sich so viele auf den Weg machen und dabei ihr Leben riskieren. Die Gründe für das Entstehen dieser tödlichen Fluchtroute waren vielfältig: Neue Visa-Regelungen (etwa die Einführung der Visumspflicht für Tunesier für Italien) sowie Pogrome gegenüber Schwarzafrikaner:innen in Ländern wie Libyen führten dazu, dass das, was zuvor eher eine Art Fährverkehr von Saisonarbeitern war, nun zur tödlichen Fluchtroute wurde. Die Todeszahlen gehen seither allein auf dieser Fluchtroute in die Zehn- wenn nicht sogar Hunderttausende. Aktuell ertrinken wieder besonders viele Menschen vor den Küsten Tunesiens, auch diesmal sind offen rassistische Vorfälle einer der Gründe, warum sich viele auf den Weg machen. So mancher Friedhof entlang der tunesischen Küste ist überfüllt.
Was sich geändert hat
Geändert hat sich in den letzten zwanzig Jahren, dass die Schiffbrüche und die vielen Toten so gut wie keine Schlagzeilen mehr verursachen. Geändert hat sich, dass es keinen Aufschrei des Entsetzens und kein Staatsbegräbnis gibt, wenn tote Schiffbrüchige aufgegriffen werden. Geändert hat sich auch, dass die Erosion des Seenotrechts weiter fortgeschritten ist und dass private Seenotrettungen unerlässlich geworden sind (und stetig mehr behindert werden). Und geändert hat sich auch, dass es mittlerweile immer mehr Initiativen gibt, die zumindest versuchen, den vielen Toten ein Gesicht zu geben.
Geändert hat sich leider seither die weltweite Anzahl an Schutzsuchenden – sie beträgt inzwischen nahezu 100 Millionen. Gleich geblieben ist hingegen, dass die meisten dieser Menschen in der Nähe ihrer Herkunftsorte bzw. -länder ausharren und sich nur ganz, ganz wenige in Richtung Europa aufmachen.
Schlimmer geworden ist, dass man die Toten schulterzuckend in Kauf nimmt und keine legalen Wege der Einreise für Schutzsuchende schafft. Als es angesichts des Ukraine-Krieges plötzlich möglich war, dass Leute regulär, sprich per Eisenbahn oder organisierte Transporte Schutz finden konnten, brachte das leider kein Umdenken dahingehend, dass ein solches Vorgehen für alle Schutzsuchenden sinnvoll wäre. Die Zukunft sieht düster aus.
Wie schreibt Pro Asyl?: „Werden die EU-Pläne umgesetzt, sieht die Realität künftig so aus: Fliehende erreichen einen Staat an der EU-Außengrenze. Sie bitten um Asyl. Doch ihr Asylantrag wird nicht inhaltlich geprüft, stattdessen werden sie inhaftiert. Alles, was sie ab diesem Moment von Europa noch zu sehen bekommen, sind Mauern, Stacheldraht und Sicherheitspersonal.“
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.