von Marco Parodi und Checchino Antonini
Abgesehen von seinen gerichtlichen und familiären Affären war Berlusconi ein klassenloyaler Vertreter des Neoliberalismus, der deshalb mit großem Getöse gefeiert wird. Für uns bleibt er der Anstifter zur Ermordung von Carlo Giuliani und zur schwerwiegendsten Suspendierung der Menschenrechte im Westen seit dem Zweiten Weltkrieg. Er war Komplize und Partner der schlimmsten Diktatoren und der Architekt eines beispiellosen sozialen Gemetzels.
Der König ist tot… es lebe der König! Die Bedeutung der nationalen Trauer über den Tod Berlusconis ist seit Jahrhunderten in der rituellen Formel der englischen Monarchie verankert. Nicht weil der einzig gute König der tote König wäre, wie man ironisch sagen könnte, sondern weil Staatsbegräbnisse der Ritus sind, mit dem die herrschenden Klassen soziale Hierarchien bekräftigen, um die Formen der Ausbeutung aufrechtzuerhalten, indem sie auch große Teile der Ausgebeuteten in die Rolle von Zuschauern und Konsumenten einbeziehen. Das Leben dieses Mannes endet mit einem Medienereignis, das seinen Unternehmen selbst noch durch den Verkauf von Werbeflächen für Traueranzeigen Gewinn bringt. Und die Börsen registrieren den Stimmungsausschlag mit einem Plus von 7 Prozent für die Aktien der Familienholding.
Andererseits hat B. diese seine Rolle mit seinen Fernsehsendern schon vor seinem Eintritt in die Politik unterstrichen, indem er sich die Formen der Fußballbegeisterung für einen neuen Medienpopulismus nutzbar gemacht hat. Wir sind nicht die ersten, die dies sagen. Die Betonung der Einzigartigkeit des Cavaliere, seiner persönlichen, gerichtlichen, ehelichen und sexuellen Affären, seiner elenden moralischen Haltung, läuft jedoch Gefahr, das Schlüsselelement darin zu verwischen: Der Berlusconismus ist nicht einfach eine Frage der Sitten oder des Fehlverhaltens, er ist eine der Varianten des Kapitalismus im Zeitalter des Neoliberalismus. Eine Variante, die sich aus Deregulierung, Missachtung gewisser Institutionen, Rassismus, Sexismus, Verbotsdenken und grausamer Repression zusammensetzt. Palazzinaro, Verleger und als solcher Mitglied der Loge P2, hat nicht nur die extreme Rechte entdämonisiert, sondern auch die Umsetzung des Plans der "Wiedergeburt von Licio Gelli" maßgeblich vorangetrieben, im übrigen in völliger Übereinstimmung mit der Linie von JP Morgan gegen die Verfassungen, die aus dem Widerstand gegen den Faschismus in Südeuropa hervorgegangen sind und "einen starken Einfluss sozialistischer Ideen aufweisen und damit die große politische Kraft widerspiegeln, die die linken Parteien nach der Niederlage des Faschismus erlangt haben". Es scheint also keine Abweichung von den Orientierungen der italienischen und internationalen Bourgeoisie zu geben. Im Gegenteil, es war Berlusconi, der andere Experimente des turboliberalen Populismus inspiriert hat, allen voran Trump. In diesem Sinne kann man sagen, dass es ein "Format" gegeben hat.
Und wer darauf verweist, dass er seine persönlichen Interessen über die nationalen Interessen gestellt hat, sei daran erinnert, dass es keinen Unternehmer gibt, der dies nicht tut, denn das ist es, was den Kapitalismus ausmacht: ein erbitterter Wettbewerb zwischen Unternehmen um die Aneignung natürlicher Ressourcen, die einzig die Idee teilen, die sozialen und politischen Rechte der Klassen zu verstümmeln, aus denen sie ihre Profite ziehen. Die Unwürdigkeit Berlusconis ist die gleiche wie die eines jeden Chefs. Und die Koexistenz von Politik und Wirtschaft mit der Mafia wurde sicherlich nicht von ihm erfunden, wenn überhaupt, hat er sie interpretiert, ebensowenig wie die Gesetze, die persönliche Interessen in seinem Umfeld begünstigten, wie Steuerhinterziehung und Steuerbetrug und die Angriffe auf die Justiz. Nichts Neues unter der Sonne des Kapitalismus, außer in den Formen, die dem Frontalangriff des Neoliberalismus auf die Reste des sozialen Kompromisses der Nachkriegszeit entsprechen.
Der Tanz ist nicht zu Ende, wir werden noch mehr obszöne Geschichten über Berlusconi – als Mann, Ehemann, Vater und Pate – entdecken oder wiederentdecken, die aber nicht anders sind als die der Mehrheit der weißen, reichen Männer.
Für uns, unsere Generation und für Menschen mit unserem politischen Engagement, war er der moralische und politische Anstifter des Mords an Carlo Giuliani am 20. Juli 2001. Er war der Chef einer Regierung, die ihrer gesamten Polizei befahl, die "größte Menschenrechtsverletzung im Westen seit dem Zweiten Weltkrieg" zu begehen. In den Gesprächen in den sozialen Netzwerken erinnerte nur unsere Genossin Eliana Como in aller Deutlichkeit an ihn, als sie sich u.a. gegen Elsa Fornero stellte, die von sich behauptete, das gute Gesicht des Kapitalismus gegen den verschwenderischen und verrückten Cavaliere zu sein.
Berlusconi verkörperte eine bestimmte Version des politischen Programms der Bourgeoisie und formte damit sogar die sog. Opposition. Seine gerichtlichen Affären sind nur Begleiterscheinungen eines schwer lastenden wirtschaftlichen und sozialen Erbes, an dem die Mitte-Links-Regierungen nicht einmal versucht haben zu kratzen. Im Gegenteil, im Wechselspiel der Regierungen hat sich jeder in den Lücken eingerichtet, die der andere zugunsten einer volks- und arbeiterfeindlichen Politik gerissen hat.
Das Gesetz Biagi zum Beispiel ist das schlechteste aller Gesetze zur Prekarität, kam aber im Gefolge von Prodis Gesetzespaket Treu (benannt nach dem damaligen Arbeits- und Sozialminister Tiziano Treu). Der "Scalone Maroni" war die drastischste Erhöhung des Rentenalters, kam aber nach der von Dini und kurz zuvor von Fornero. Morattis "Reform" der Universität hat die Position des unbefristet beschäftigten Wissenschaftlers praktisch abgeschafft. Gelminis "Reform" hat den Schulen fast 10 Milliarden Euro gestrichen, der schlimmste Aderlass aller Zeiten. Das Gesetz Bossi-Fini, welches das ohnehin horrende Gesetz Turco-Napolitano noch weiter verschärft hat, ist die infamste Vorschrift gegen Migrant:innen überhaupt, weil es die Aufenthaltsdauer für Migranten in den "Lagern" verdoppelt und die Aufenthaltsgenehmigung an die Arbeitserlaubnis bindet, wodurch ein "horizontaler" Konflikt zwischen den Vorletzten und den Letzten auf dem Arbeitsmarkt angeheizt wird. Das Sicherheitsdekret hat das Verbrechen der illegalen Einwanderung erfunden und die angeblich strategischen Gebiete von nationalem Interesse ausfindig gemacht, die die Militarisierung des Susatals und die militärische Absicherung von Baustellen für so genannte Großprojekte ermöglichen. Die Ministerin Brunetta hat den Arbeiter:innen im öffentlichen Dienst den Krieg erklärt und die nachfolgenden Regierungen haben das nicht nennenswert in Frage gestellt, man denke nur an Ichinos Besessenheit, Entlassungen im öffentlichen Dienst durchzusetzen, und Cottarellis Besessenheit von Kürzungen der öffentlichen Ausgaben.
Man kann Berlusconis Hegemonie nicht ganz verstehen, wenn man nicht seine Fähigkeit hervorhebt, einen sozialen Block mit Hilfe des materiellen Bindemittels der Unterstützung von Schwarzarbeit, von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug in jeder Hinsicht ohne Sanktionen und Kontrollen zu errichten; mit Hilfe der Abschaffung der Erbschaftssteuer und der Immobiliensteuer auf hochrentable Häuser; mit der Senkung der Einkommensteuer für hohe Einkommen und der Reform der Kapitalertragssteuer und der massiven Steuerbefreiung reinvestierter Gewinne. Nein, er hat sich nicht nur um seine eigenen Angelegenheiten gekümmert, er hat denjenigen, die waren wie er, der herrschenden Klasse, der Herrenrasse ermöglicht, gute Geschäfte zu machen. Mit anderen Worten, er hat nicht nur gewonnen, weil er die Wähler:innen wie die Kund:innen seiner Werbespots becirct hat, sondern er wurde gewählt, um seiner eigenen Klasse einen grundlegenden Dienst zu erweisen, indem er zur historischen Niederlage der Arbeiterbewegung beitrug.
Der Frontalangriff auf das Arbeitsrecht mit dem Gesetz Sacconi ist einer der Punkte, der ihn am meisten mit denen verbindet, die die Opposition hätten bilden sollen. Dieser Angriff wurde von Renzi und der gesamten Demokratischen Partei (PD) vollendet, auch von denen in der Partei, die sich seit einiger Zeit die Kleider vom Leib reißen, mit Duldung der Gewerkschaften.
Ebenso wie Hang zum Krieg: Er hat Italien an der Seite von Blair und Bush in den Krieg gegen die Zivilbevölkerung zunächst in Afghanistan und später im Irak hineingezogen und war mit seinen Spionen auch an den Fake News über Massenvernichtungswaffen (das Niger-Gate) beteiligt, die als Casus Belli dienten. Er war Freund, Genosse, Komplize und Gefährte der Henker der halben Welt, von Putin (auch nach den Massakern in Tschetschenien und der Ermordung seiner Gegner) bis Gaddafi, von Mubarak bis Sarkozy, über seinen engen Freund Erdogan, zusätzlich zu den beiden oben genannten westlichen Champions.
Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die mit ihm verflochtenen Regierungen über den Krieg anderen Sinnes geworden wären. Berlusconi hat in den sogenannten zwanzig Berlusconi-Jahren insgesamt 2245 von 7300 Tagen im Palazzo Chigi verbracht hat. Der Rest der Geschichte wurde von den Regierungen Dini, Prodi, D’Alema, Amato, Monti, Letta und Renzi mit seiner entscheidenden Unterstützung geschrieben.
Was die Bürgerrechte betrifft, so befindet er sich mit dem Angriff auf die Selbstbestimmung der Frauen, mit dem Gesetz 40 gegen die künstliche Befruchtung und die entsprechende Forschung, mit dem Family Day in guter Gesellschaft. Er hat die privaten Schulen mit Geld überschwemmt und den Diözesen erlaubt, katholische Religionslehrer in Lehranstalten und Schulen aller Stufen einzusetzen. Dafür hat ihn die katholische Kirche mit einer Predigt bedacht, die zumindest wohlwollend war und im Einklang mit allen lehrmäßigen Vorgaben stand: "Er war ein Mensch: ein Wunsch nach Leben, ein Wunsch nach Liebe, ein Wunsch nach Freude. Und jetzt feiern wir das Geheimnis der Erfüllung", sagte der Erzbischof von Mailand vor den 2000 zum Ritus geladenen Gästen.
Schließlich hat er mit dem freiheitstötenden Gesetz Fini-Giovanardi die Gefängnisse mit Drogenkonsumenten gefüllt und dem Drogenhandel, der nur dort gedeihen kann, wo die Prohibition die Preise hoch hält, einen nie dagewesenen Auftrieb verschafft. Die so sehr zur Schau gestellte Verteidigung rechtsstaatlicher Prinzipien diente eher dazu, die Dialektik der schamlosen Straffreiheit für die Mächtigen auf der einen Seite und der schlimmsten Rechtsverfolgung der Schwächsten auf der anderen Seite zu verbergen. Es ist das klassische Sprichwort vom unterwürfigen Lob und der feigen Empörung, ein typisch italienisches Merkmal des ewigen alten Kleinbürgertums, das immer bereit ist, auf diejenigen zu treten, die in eine Grube stolpern, und immer bereit, die Knochen der Reichsten und ihrer Hunde zu lecken.
Berlusconi war der Bannerträger der Postdemokratie, des populistischen Liberalismus ohne soziale Antikörper.
Deshalb sind Staatsbegräbnisse und nationale Trauer das Ritual, das dazu dient, dass nicht einmal ein Krümel seines Dienstes an der Herrenrasse zerstreut werde.
Was er nicht geschafft hat, werden seine Nachfolger versuchen, die faschistoide Rechte, die durch ihn freigesprochen wurde, die aber nur dank eines von der PD verfassten betrügerischen Wahlgesetzes über eine absolute Mehrheit verfügt.
Er hinterlässt eine Partei mit 90 Millionen Euro Schulden, die zerbröckeln und größtenteils in den Klauen von Giorgia Meloni und teilweise in den Klauen von Renzis "Fratelli'Italia Viva" landen wird.
Wir vergießen keine Träne, aber wir erheben auch nicht das Glas auf den Leukämie-Tod eines 86jährigen, was für ein Betrüger er auch immer gewesen sein mag.
Es gibt wirklich nichts, worauf man anstoßen könnte, zumindest solange bis die Unterdrückten sich wieder auf den Weg machen. Es hängt auch ein wenig von uns ab.
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