Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2023

Die Pläne für den Ausbau der Offshore-Windkraft
von Burkhard Ilschner

Ende Mai veranstaltete der lokale Industriekonzern Steelwind in Nordenham, ein auf Windkrafttechnik spezialisierter Stahlbauer, eine von derzeit vielen Konferenzen über Offshore-Windkraft. Gäste waren Angehörige der Landesregierung, der IG Metall Küste, des Verbands Schiffbau und Meerestechnik (VSM) sowie einer Lobbyorganisa­tion. Am Ende verkündeten sie alle in ihrer Nordenhamer Erklärung vollmundig: »Der Offshore-Windenergie gehört die Zukunft – sie bietet zahlreiche Chancen, die es zu nutzen gilt.«

Manche feiern den Bau und Betrieb von Offshore-Windenergieanlagen (OWEA) als Beitrag zur »sicheren Gewährleistung einer unabhängigen, regenerativen Energieversorgung«, andere warnen vor erheblichen ökologischen Risiken und äußern auch mal Zweifel an der Wirtschaftlichkeit dieser Art von Energieerzeugung. Zum Problem wird die Sache, weil aktuell – Stichworte »Energiekrise« und Scholzsche »Zeitenwende« – der Ausbau des deutschen OWEA-Potenzials auf Nord- und Ostsee massiv gefördert und für das Ziel einer »prosperierenden Offshore-Windenergieindustrie in Deutschland« Normen angepasst, Bedenken kleingeredet und Infrastruktur auf Steuerzahlerkosten ausgebaut werden: Windkraftnutzung ist vor allem ein lukratives Geschäft.
Nach Industrieangaben haben im Jahr 2022, Stand Jahresende, in deutschen Seegewässern 1539 OWEA mit einer Leistung von insgesamt 8,1 Gigawatt (GW) rund 24,7 Terawattstunden (TWh) Strom erzeugt. Davon entfallen auf die Nordsee rund 7 GW, der verbleibende Teil auf die Ostsee. Der überwiegende Anteil – rund 7,8 GW – steht in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) jenseits der 12-Seemeilen-Grenze, innerhalb sind es nur 0,3 GW*. Bemessen nach Lage der landseitigen Netzanschlüsse entfallen in der Nordsee rund 4,9 GW auf Niedersachsen und 2,1 GW auf Schleswig-Holstein, die Ostsee-Leistung entfällt vollständig auf Mecklenburg-Vorpommern.

Mehr als 10000 Anlagen zusätzlich
Am 1.Januar 2023 trat das neue Windenergie-auf-See-Gesetz des Bundes in Kraft, wonach bis 2030 mindestens 30 GW, bis 2035 mindestens 40 GW und bis 2045 mindestens 70 GW installierter Leistung erreicht sein sollen. Um diesen massiven Ausbau durchsetzen zu können, sieht das Gesetz Schritte zur Planungsbeschleunigung – also Einschränkung von Bürgerrechten – vor, z.B. »zügigere Plangenehmigungsverfahren«, »Vorgaben« zur Verfahrensdauer oder eine »stärkere Bündelung« von Umweltprüfungen und Beteiligungsrechten.
Wenn gut 8 Gigawatt OWEA-Leistung von rund 1500 Anlagen erzeugt werden, dann bedeutet die Zielsetzung »70 GW bis 2045« – selbst unter Berücksichtigung technischer Weiterentwicklung –, dass in den kommenden 20 Jahren mehr als 10000 Anlagen zusätzlich errichtet und/oder ausgetauscht werden müssen. Um das begreifen zu können, muss man sich den erforderlichen Aufwand vor Augen führen. Die Finanzierung, ein komplexes Gefüge aus Subventionen, Vergütungen und Entgelten, ist dabei ein wesentlicher Aspekt: OWEA sind ein typisch kapitalistisches Vorhaben – erhebliche öffentliche Mittel bewirken erhebliche private Profite.
Das zeigt auch ein Blick auf Technik und Logistik: Jede OWEA benötigt ein stabiles Fundament, bislang werden diese Gründungsstrukturen oft per Rammung erstellt, das erfordert Mehraufwand wegen Lärmschutz. Errichtet werden die immer gigantischeren OWEA in der Regel aus landseitig vormontierten Teilen. Anschließend müssen die Einzelanlagen eines Windparks (OWP) verkabelt werden mit einer lokalen Offshore-Umspannstation, die ihrerseits an den Netzzugang an Land anzuschließen ist.
Das klingt einfacher als es ist, denn Gründungs-, Installations- und spätere Wartungstechnik der OWEA sowie landseitige Produktion samt Vormontage und Transport zum Standort setzen die spezifische Entwicklung von Geräten, Hafenanlagen, Schiffen oder Kränen voraus. Zwar verweisen Gewerkschaften immer wieder auf die Arbeitsplatzfrage – aber das ist eben nur ein Teilaspekt: Viele der benötigten Aktivitäten werden staatlich gefördert, Infrastruktur und andere Vorleistungen überwiegend aus Steuergeldern bezahlt.

Der Nordseegipfel
Anfang Mai haben die Regierungschefs von neun Staaten der Nordatlantikregion mit EU-Kommissions­chefin Ursula von der Leyen beim Nordseegipfel im belgischen Ostende eine Erklärung beschlossen, die das Meer vor unserer Haustür kurzerhand zum »grünen Kraftwerk Europas« erklärt. Bis 2050 sollen in den AWZ aller Beteiligten OWEA mit einer Gesamtleistung von 300 GW errichtet werden.
Verglichen mit den Zahlen für das deutsche Seegebiet (siehe oben) läuft das auf eine Stromproduktion von grob geschätzt 900 TWh hinaus. Davon, so damals Belgiens Regierungschef Alexander De Croo, könnten 300 Millionen Haushalte mit Energie versorgt werden. Laut Euro­stat hatte die EU Ende 2021 aber nur knapp 197 Millionen Haushalte. Was das mit Energiesparen zu tun hat, bleibt offen.
Die Ostende-Erklärung spricht von »massiven Investitionen in Infrastruktur sowohl an Land als auch auf See« – man darf raten, wer das bezahlen soll. Auch hier wird die Aushebelung geltender Rechte angekündigt: Man könne »nicht jahrelang auf Genehmigungsprozesse warten«. Und natürlich braucht Infrastruktur auf See und unter Wasser mehr Sicherheit, dafür bedarf es einer Kooperation von EU und NATO. Es geht also auch um die Militarisierung des Meeres und seiner Küsten.

Kritik
Ob all dieser Aufwand ökologisch und ökonomisch sinnvoll ist, wurde – soweit bekannt – nie qualifiziert untersucht. Bereits 2002 hatten Energieexperten diesbezügliche Zweifel geäußert und u.a. eine »ökologische Gesamtbilanz« für OWEA angemahnt; dabei müsse der »im Lebenszyklus eines Rotors zu leistende Aufwand für Entwicklung, Herstellung, Aufbau, Betrieb, Wartung, Demontage und Entsorgung aller Einzelteile … der erbrachten Strommenge gegenübergestellt werden«.
Addiert man dem die öffentliche Infrastruktur- und Förderfinanzierung hinzu, klingen die damaligen Expertenworte noch schlüssiger: »Ich bin nicht sicher, ob diese Rechnung positiv ausgeht für die Offshore-Windrotoren.«
Ab 2002 ließ die Bundesregierung in deutschen Seegebieten mit Millionenaufwand eigens drei Forschungsplattformen (FINO1–3) errichten. Zwar sollten diese in mehrjährigen Projekten Modalitäten für den OWEA-Ausbau erforschen, tatsächlich begann der Aufbau des ersten OWP, »alpha ventus«, in unmittelbarer Nähe von FINO1 lange vor Abschluss dieser Programme. Jahre später ließ das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) – das skurrilerweise zugleich Planungs-, Genehmigungs- und Überwachungsbehörde ist – eine Studie zum angeblich umweltverträglichen OWEA-Ausbau erstellen, die aber bei Meeresumweltschützern heftige Kritik erntete.
Das BSH veranstaltet übrigens seit langem eine Meeresumwelt-Symposium genannte Vortragsreihe, auf der Jahr für Jahr Experten neben vielen anderen marinen Themen auch die Risiken des OWEA-Ausbaus für Meeressäugetiere, Fische und Vögel erörtern und wissenschaftlich fundiert vor Gefahren für die marine Biodiversität oder die wichtige Funktion der Meere für das Klima warnen. Nur vereinzelt geht das aber in die BSH-Genehmigungsverfahren ein, die Masse der Bedenken wird quasi mit der nächsten OWEA in den Meeresboden gerammt.
Nicht einmal wirtschaftsnahe Studien scheinen die Gigawatt-Gier der OWEA-Branche und der sie fördernden »Zeitenwende«-Politiker bremsen zu können: Jüngst stellte die norwegisch-deutsche Klassifikationsgesellschaft Det Norske Veritas (DNV) fest, es könne auf europäischen Meeren – insbesondere »in der Nordsee … und in der Ostsee« – eng werden mit konkurrierenden Nutzungsansprüchen durch OWP, Aquakultur, Schifffahrt, Sand- und Kiesabbau, Fischerei oder Tourismus.
Nun ist die DNV beileibe keine Umweltschutzinstitution – einst nur eine Art TÜV für Schiffe ist sie mittlerweile auch Zertifizierer, Berater und Gutachter in nahezu allen maritimen Wirtschaftsbereichen. So gesehen war die Studie also eine Art Warnung an die eigene Zunft – erkennbare Folgen hatte das (bislang) nicht.
Fehlentwicklungen im Kontext des OWEA-Ausbaus gibt es viele, eine sei hier beispielhaft erwähnt: Zu Beginn des Booms wollte Bremen unbedingt einen Offshore-Terminal Bremerhaven (OTB) ins EU-rechtlich geschützte Weserwatt rammen. Die Branche, der das nutzen sollte, winkte ab: kein Interesse an Bau und Betrieb. Also wurde das Projekt mit öffentlichen Geldern vorangetrieben – bis ein Gericht 2022 das umstrittene Vorhaben endgültig stoppte. Bis zu diesem Zeitpunkt waren – nur für Planung usw.! – 35 Millionen Euro Steuergelder verbraten worden. Und was lernt Bremen daraus? Wenige Meter neben dem geplanten OTB-Standort plant das Land – Zeitenwende! – einen »energy port« für Wind- und Wasserstoffwirtschaft, die Branche mahnt: »Lieber gestern als heute.«

*Laut UN-Seerechtskonvention stehen Küstenstaaten bis zu 200 (in Ausnahmen 350) Seemeilen als sog. AWZ zu, in denen sie exklusiv wirtschaften, die Schifffahrt z.B. aber nicht behindern dürfen. Da sich in Nord- und Ostsee die AWZ der Anrainer überlappen, hat man hier eine gegenseitige Zonierung vereinbart.

Quellen:
https://waterkant.info/
www.mw.niedersachsen.de/download/195680/Nordenhamer_Erklaerung.pdf

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