Im Kielwasser der AfD
von Matthias Becker
Welcher Weg führt die Christdemokraten zurück zur Macht? Von der Unzufriedenheit mit der Bundesregierung profitiert die AfD. Die Ampel zeigt dauerhaft rot und grün gleichzeitig, nichts geht voran – und dennoch kommt die CDU in den Umfragen nicht nach oben.
Hilft ihr Rechtspopulismus? In einem Interview mit der Welt am Sonntag probiert Jens Spahn es aus.
Der ehemalige Gesundheitsminister warf der Regierung vor, einen »Kulturkampf« zu führen: »Den Leuten wird gesagt: Ihr fahrt das falsche Auto. Ihr habt das falsche Haus, die falsche Heizung! … Ihr esst das falsche Essen. Ihr habt die falsche Einstellung.« Zwei Passagen in dem sorgfältig formulierten Interview müssen aufhorchen lassen. »Selbst die Ansicht, ein Mann hat einen Penis und eine Frau nicht, gilt inzwischen in Teilen der Ampel-Koalition als problematisch«, findet Jens Spahn, und geißelt die Überheblichkeit einer »großstädtisch geprägten Elite«.
Was Frauen mit Penis mit Viehhaltung, Fleischpreisen, Individualverkehr und Energiegewinnung zu tun haben, verrät Spahn nicht. Aber er offenbart seine Bereitschaft, die Kritik an der »Wokeness« zum Leitmotiv zu machen und selbst Politik als »Kulturkampf« zu führen. Das Kampffeld von der Sachebene aufs Kulturelle zu verlagern, führt zum politischen Erfolg, vielleicht zur Macht, wie in Ungarn, Italien, USA.
Das Vorbild heißt Ron de Santis, Gouverneur von Florida. Der verwendet den größeren Teil seiner Zeit darauf, gegen akzeptierende Darstellungen queerer Sexualität vorzugehen. Gleichzeitig lebt in dem Bundesstaat jeder achte Bewohner und jedes fünfte Kind in Armut, jeder fünfte hat keine Krankenversicherung. Dennoch inszeniert sich de Santis als Kämpfer für den kleinen Mann – sofern sich dieser von Frauen mit Penis belästigt fühlt.
Von Florida lernen heißt siegen lernen, mögen CDU-Politiker sich denken. Aber der Kulturkampf von rechts hat die Tendenz zur Eskalation. Er blockiert alle umwelt- und sozialpolitischen Initiativen, die den neoliberalen Status quo gefährden könnten. Gleichzeitig schürt er Ressentiments gegen Minderheiten und eine vermeintlich liberale Elite. Angehörige von Funktionseliten nennen andere Angehörige der Funktionselite elitär, weil sie wissen, dass die Bevölkerung die Nase voll hat. Gerade weil aber diese Identitätspolitik von rechts deren materiellen Bedürfnisse nicht berührt, muss die Dosis gesteigert werden. An die Macht gelangt, haben die Kulturkämpfer dann die Mittel in der Hand, ihrerseits die Bevölkerung »umzuerziehen«.