Die Rechte attackiert geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung
von Ezra Roth
In den USA eskaliert der Kulturkampf von rechts. Trans Menschen und andere queere und marginalisierte Personen werden für politische Zwecke instrumentalisiert. Politiker:innen, besonders aus der Republikanischen Partei, nutzen trans Menschen als Schachfiguren, denn mit »antiwoken Narrativen« lassen sich Stimmen von Wähler:innen gewinnen – und das Feindbild lenkt ab von wichtigen Debatten wie der Klimakrise oder der sozialen Gerechtigkeit.
Seit Anfang des Jahres wurden mindestens 417 Gesetze in den USA verabschiedet, die sich gegen die Rechte auf Gesundheitsversorgung und Selbstbestimmung von queeren, trans, nichtbinären und gender non-conforming Personen richten. In 30 von 50 Staaten wurde der Zugang zu geschlechterbejahender Versorgung (gender-affirming care) schon eingeschränkt oder es laufen entsprechende Verhandlungen. Solche Maßnahmen können beispielsweise Namens- und Pronomensänderung, Pubertätsblocker, Hormonersatztherapie und Stimmtherapie sein.
Laut einer Untersuchung des Williams Institute vom März 2023 sind von den Einschränkungen 146300 trans Jugendliche betroffen oder in naher Zukunft bedroht. Einige Staaten verhandeln sogar über ein Verbot von geschlechtsangleichenden Maßnahmen bis zum 26.Lebensjahr.
Den Zugang zu geschlechtsangleichender Maßnahmen zu verlieren bedeutet eine massive Einschränkung der Gesundheitsversorgung. Es ist bewiesen, dass selbstgewählte Maßnahmen für trans Menschen das Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit erhöhen. Ein nicht-unterstützendes Umfeld und die Verwehrung von geschlechtsangleichenden Maßnahmen senkt hingegen die psychische Gesundheit und erhöht die Suizidrate. In South Dakota, einem der Staaten, in denen Jugendlichen die geschlechtsangleichende Versorgung genommen wurde, haben im letzten Jahr 53 Prozent der queeren Jugendlichen einen Suizid ernsthaft in Betracht gezogen, 19 Prozent haben einen Suizidversuch unternommen.
In Texas gilt geschlechtsangleichende Versorgung für Minderjährige inzwischen sogar als Kindesmissbrauch. Erwachsene sind gesetzlich dazu verpflichtet, unterstützende Familien zu melden, sonst müssen sie selbst mit Strafen rechnen. Eltern, die ihre trans Kinder unterstützen, kann das Sorgerecht genommen werden, ihnen drohen Gefängnisstrafen.
Ron DeSantis mit »Antiwoke«-Agenda
Der erzkonservative Gouverneur und Präsidentschaftskandidat für die Wahlen 2024, Ron DeSantis, verwandelt den Sunshine-State Florida in einen der restriktivsten Staaten für LBTQIA*: Auch dort kann Eltern das Sorgerecht entzogen werden. Das Gesetz reicht sogar so weit, dass die Kinder nicht einmal in Florida leben müssen. Die Human Rights Campaign spricht Reisewarnungen für queere Menschen nach Florida aus.
Das 2022 in Kraft getretene »Don’t-say-gay«-Gesetz verbietet Lehrer:innen an Grundschulen in Florida, im Klassenunterricht über verschiedene sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten zu sprechen. Seit März 2023 gilt dieses Verbot für alle Jahrgangsstufen. Wie weitreichend das Gesetz gefasst wird, zeigt folgendes Beispiel: Eine Lehrerin wurde angeklagt, weil sie im Unterricht einen Disney-Film gezeigt hat, in dem ein schwuler Charakter vorkam. Ein anderes Gesetz verbietet es trans Mädchen, an Sportkursen oder Wettkämpfen an Mittelschulen und Highschools teilzunehmen. Und beinahe täglich wird die Eskalation weitergetrieben: Auch Pride-Veranstaltungen und All-Gender-Toiletten in Unternehmen könnten in Florida bald verboten werden.
Antiwoke in Deutschland
Rechte und konservative Politiker:innen in Deutschland übernehmen diese Strategie. Im Mai sagte die ehemalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) in einem Interview mit Bild, Dragqueens spielten »nicht nur mit Geschlechtsidentitäten, sondern auch mit Erotik und Sexualität. Und unsere Sexualität ist nichts, was wir Erwachsene von uns aus an Kinder herantragen dürfen!« Markus Söder polemisierte auf dem Politischen Aschermittwoch gegen Hormonersatztherapien für Jugendliche: »Es wird über Hormon im Fleisch debattiert … aber gleichzeitig will eine grüne Ministerin Kindern Hormone verabreichen, um ihr Geschlecht nicht zu entwickeln.«
Die Welle von queerfeindlicher Gesetzgebung darf als Versuch gelesen werden, trans und nichtbinäre Personen vom öffentlichen Leben zu entfernen. Wir erleben einen eklatanten Rückschritt in Gleichstellungsfragen, der eine Bedrohung für uns alle, besonders für marginalisierte und mehrfach marginalisierte Menschen darstellt. Die faschistische Identitätspolitik stürzt sich im Augenblick besonders auf trans Menschen, doch wen wird es als nächstes treffen? Trans Menschen brauchen dringend die Solidarität und den Aufschrei der Cis-Mehrheitsgesellschaft.
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