Repression gegen die Initiative VerkehrsWende läuft ins Leere
Gespräch mit Tobi Rosswog
Fast hätte es niemand bemerkt: Einen Tag nach den Hausdurchsuchungen bei der Letzten Generation Ende Mai durchsuchte die Polizei auch die Räume der Wolfsburger Initiative »VerkehrsWende«. Auf der Ökosozialistischen Konferenz der ISO sprach Gerhard Klas mit dem Umweltaktivisten Tobi Rosswog, der das dortige VerkehrsWende-Zentrum »Amsel 44« entscheidend mit aufgebaut hat (siehe auch SoZ 4/2023).
Wie erklärst du dir den Zeitpunkt der Hausdurchsuchung?
Die Presse war voll mit Berichten über der Polizeiaktionen gegen die Letzte Generation, die Durchsuchung der Amsel 44 passierte sozusagen im Windschatten. Sie sollte kein mediales Echo bekommen. Denn anders als bei der Letzten Generation hat die Justiz ihr repressives Vorgehen nicht mit dem Verdacht auf eine kriminelle Vereinigung nach §129 Strafgesetzbuch begründet. Das ist schon absurd genug, aber bei uns war es noch viel lächerlicher: Sachbeschädigung wegen eines Graffitis »Lützi bleibt« auf der übergroßen Skulptur eines Golf GTI, den VW der Stadt gestiftet hat. Und Urkundenfälschung, weil auf Flyern, die irgendwo verteilt worden sind, das VW-Logo verwendet worden sei. Eine Braunschweiger Richterin hatte daraufhin eine Hausdurchsuchung angeordnet.
Diese fadenscheinigen Vorwände für ein doch sehr repressives Mittel dienen offensichtlich einem Zweck: Bei wem eine Hausdurchsuchung durchgeführt wird, der muss auch etwas verbrochen haben. Ganz im Sinne von VW, Polizei, Justiz und einigen Parteien, allen voran die Junge Union und die CDU: Sie wollen uns gerne als Gesetzesbrecher markieren, damit sich die Leute von uns abgrenzen.
Ist die Rechnung aufgegangen?
Bei uns haben sich viele Organisationen, darunter der ADFC, NABU, BUND, Attac und die Falken, Nachbarn und viele andere gemeldet, die ihre Solidarität bekundeten und die Aktion völlig absurd fanden. Sogar die Lokalpresse, die uns vor neun Monaten noch als »Autohasser« bezeichnete, kritisierte das Vorgehen der Polizei als überzogen. Bei den Beschäftigten im Werk gab es wohl unterschiedliche Reaktionen, wie unsere Kontaktleute aus dem Betrieb erzählt haben. Aber auch dort fanden viele die Polizeiaktion völlig daneben.
Wie geht ihr im nachhinein mit der Hausdurchsuchung um?
Die Hausdurchsuchungen bedeuten für mich zweierlei: Unser Projekt gibt es ja erst sei neun Monaten. Es ist uns also immerhin gelungen, dass sie uns ernst nehmen, sie möglicherweise sogar fürchten, das wir mit unseren Aktionen und unserer Kreativität mehr Einfluss auf die gesellschaftliche Stimmung nehmen, als ihnen lieb sein kann, und dass der automobile Konsens aufgebrochen wird. Die Hausdurchsuchung belegt also gewissermaßen den bisherigen Erfolg unseres Projekts Verkehrswende.
Zweitens eröffnen sich uns durch die Einsicht in die Akten ganz neue Zusammenhänge. So gibt es bei VW etwa eine Forensik, bei der sämtliche Beweismittel landen, bevor sie irgendwann an die Polizei gehen. Das sind natürlich Seilschaften, die Beweismanipulationen ermöglichen und mit einem rechtsstaatlichen Prinzip nur schwer vereinbar sein dürften. Grundsätzlich war es aber auch nervig, dass mehrere Dutzend Laptops, Handys und Computer beschlagnahmt worden sind, die wir erst mal ersetzen mussten.
Die extreme Rechte wähnt sich ja gerne als Vollstreckerin eines vermeintlichen Volkswillens. Habt ihr manchmal Ärger mit denen?
Anders als in Braunschweig gibt es in Wolfsburg keine ausgeprägte rechte Szene. Auch unser Protestcamp Mitte Mai konnte völlig ungestört stattfinden. Nur einige Autos sind laut hupend vorbeigefahren und wollten uns so offensichtlich zu verstehen geben, dass sie mit unseren Inhalten nicht einverstanden sind.
Viel interessanter ist unser Verhältnis zur Stadt: Eigentlich gibt es ein von oben angeordnetes faktisches Kooperationsverbot. Aber wir erleben immer wieder, dass städtische Beschäftigte dieses Verbot unterlaufen, weil sie unser Anliegen unterstützen wollen. Sowohl unser Protestcamp gegen die E-Autofabrik in Warmenau von September bis November 2022 als auch unser Verkehrswende-Klimacamp Mitte Mai mitten in Wolfsburg konnten völlig ungestört stattfinden. Und auch bei VW wächst der Anteil der Arbeiter:innen, die etwas anderes als Autos produzieren wollen und mit uns kooperieren.
Eine kritische Wahrnehmung der Polizeiaktion, wohlwollende VW-Beschäftigte, Lokalmedien, die über eure Anliegen seriös berichten – wie erklärst du dir den bisherigen Erfolg eurer Kampagne?
Vielleicht liegt es mit daran, dass wir die soziale Frage in den Mittelpunkt stellen. Wir nehmen die Angst der Beschäftigten vor dem Verlust der Arbeitsplätze ernst und machen deutlich: Wenn VW die Frage der Konversion der Produktion – von Autos hin zu Straßenbahnen etwa – außer acht lässt, wird es hier bald aussehen wie in der ehemaligen US-Autostadt Detroit, wo es zu dramatischen Massenentlassungen kam und heute viele Menschen arbeitslos sind. Wir argumentieren für eine Vergesellschaftung der Produktion, denn Leuten wie dem Konzernchef Oliver Blume und den Eigentümerfamilien Porsche und Piech ist es herzlich egal, wer am Ende seinen Arbeitsplatz behält oder verliert. Hauptsache, die Rendite stimmt. Die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und solche Ungerechtigkeiten werden wir nicht länger hinnehmen, wir werden gemeinsam dagegen kämpfen.
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