Das Militär ist ein Tabuthema für den weltweiten Klimaschutz
von Elvi Claßen
Die im militärischen Zusammenhang erzeugten CO2-Emissionen (operativer Bereich, Rüstungsproduktion und Krieg) gelten weltweit als Tabuthema. Die Staaten der Welt geben aktuell nicht nur sechsmal so viel für ihr Militär aus wie für Klimaschutzmaßnahmen; der gesamte militärische CO2-Fußabdruck macht auch etwa 5,5 Prozent der globalen Emissionen aus. Wäre das Militär ein Land, wäre es der viertgrößte Emittent weltweit, nach China (33 Prozent), den USA (13 Prozent), Indien (7 Prozent) und vor Russland (5 Prozent); Deutschlands Anteil beträgt 1,8 Prozent.
Das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, jährlich dezidierte Berichte über ihre zivilen Treibhausgasemissionen zu veröffentlichen, eine Pflicht zur Berichterstattung über nationale militärisch bedingte CO2-Emissionen hatten die USA jedoch schon während der Verhandlungen zum Kyoto-Protokoll 1997 verhindert.
Bis heute ist die nationale Auflistung militärisch bedingter CO2-Emissionen freiwillig und in der Regel unvollständig. Meist werden nur die Emissionen der militärischen Dienststellen und Liegenschaften oder der reguläre Treibstoff- und Energieverbrauch im eigenen Land ausgewiesen. Weder die CO2-Bilanz von Auslandseinsätzen oder großen Manövern noch die der Produktion von Waffen, Munition und Militärgerät wird erfasst. Emissionen im Zusammenhang mit Kriegsfolgen wie etwa kriegsbedingte Umweltveränderungen oder auch der Wiederaufbau nach einem Krieg bleiben ebenfalls unberücksichtigt. Die CO2-Emissionen UN-mandatierter multinationaler Militäreinsätze werden nicht erfasst, weil die national gegliederte Struktur der Berichte dies nicht zulasse.
Angesichts der immer dramatischeren Auswirkungen des Klimawandels sollten Militär, Rüstungsproduktion und Krieg als tödliche, zerstörerische und ressourcenfressende Kategorien nicht nur mit ihrem Beitrag an der Klimakatastrophe dezidiert abgebildet werden: Die konsequente Forderung müsste die nach umfassenden internationalen Abrüstungsmaßnahmen, der Ächtung des Krieges als Mittel der Politik und der Priorisierung ziviler Konfliktlösungsmechanismen sein. Aber es kommt ganz anders.
Der Klimawandel – ein Sicherheitsproblem
Der aktuelle Sachstandsbericht des Weltklimarats gibt an, dass bis zu 3,6 Milliarden Menschen in Regionen leben, die besonders unter den Folgen des Klimawandels leiden; an den Küsten, in wenig entwickelten Ländern des Südens, kleinen Inselstaaten und Regionen in der Arktis. Es trifft insbesondere die Armen, die Marginalisierten und indigene Völker, die zu der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung gehören und nur 13–15 Prozent zum CO2-Ausstoß beitragen, während die reichsten 10 Prozent für 34–45 Prozent der Emissionen verantwortlich sind.
Im globalen Süden nehmen regionale Armuts- und Hungerkonflikte um Wasser, landwirtschaftliche Flächen und nach Naturkatastrophen wie Dürren, Stürme, Überflutungen zu; zugleich erschweren hier schon jetzt kriegerische Konflikte die notwendigen Anpassungen an den Klimawandel. Direkte Hilfe für die Betroffenen, der Aufbau klimafreundlicher Infrastrukturen und die Schaffung von mehr Resilienz gegen klimabedingte Naturkatastrophen sind humanitäre, wissenschaftliche, politische und wirtschaftliche Aufgaben auf globalem Niveau, die militärisch nicht bewältigt werden können.
Statt sich dieser Aufgaben anzunehmen, definieren die Staaten im Norden, ihre Militärs und die Rüstungsindustrie die Folgen des Klimawandels und die daraus entstehende Konfliktlagen als »Bedrohung der nationalen Sicherheit« und nutzen sie als Legitimation für Aufrüstungs- und weitere Militarisierungsmaßnahmen.
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg spricht seit Jahren vom Klimawandel als einem »schwerwiegenden Krisenmultiplikator«; er wirke sich »wirklich auf unsere Sicherheit aus. Wir müssen dies in einem neuen strategischen Konzept angehen«. Auch die Bundeswehr hat sich auf diese Argumentation eingestimmt. Im Dossier »Klimawandel und Sicherheit« heißt es: »Der Klimawandel ist eine globale Herausforderung, die erheblichen Einfluss auf die Sicherheit Deutschlands haben kann und sich auch auf die deutsche Sicherheitspolitik auswirkt.«
Der Beitrag der Rüstungsproduktion
Die Auswirkungen des Klimawandels gefährden die nationalen und global verteilten US-amerikanischen Militäreinrichtungen und Infrastrukturen und damit auch die weltweite strategische und operative Handlungsfähigkeit der USA. Das ist inzwischen eine der Hauptsorgen des Pentagon: »Können wir überhaupt dort operieren, wo wir investiert haben, um zu operieren? Welche Maßnahmen müssen wir ergreifen, um mit diesen Faktoren fertig zu werden? … Die Truppen, die an diesen Orten stationiert sind, können sich nicht auf den Einsatz konzentrieren.«
Seitdem in den letzten Jahren Überflutungen und Stürme auf Militärbasen Schäden in Milliardenhöhe verursachten, hat das Pentagon damit begonnen, landesweit Stützpunkte der Armee und der Luftwaffe einem Stresstest zu unterziehen, um sich auf die zunehmenden Unwetterereignisse vorzubereiten.
Weltweit gelten 128 Küstenanlagen des US-Militärs als mehr oder weniger akut überflutungsgefährdet, von denen fast die Hälfte Einrichtungen der Marine im Wert von rund 100 Milliarden US-Dollar sind. Von den 79 US-Militärstützpunkten in der Arktis und Antarktis sind nach Angaben des Pentagon zwei Drittel durch zunehmende Überschwemmungen und die Hälfte durch zunehmende Dürre und Waldbrände gefährdet.
Über den jährlichen CO2-Fußabdruck der Bundeswehr werden wir nur bruchstückhaft informiert. Zwar gibt das Verteidigungsministerium (BMVg) inzwischen jährlich einen »Nachhaltigkeitsbericht« heraus und betont die Bemühungen um Emissionsreduktionen in den eigenen Liegenschaften sowie Forschungen zu erneuerbarem Kerosin und der Nutzbarkeit synthetischer Kraftstoffe, dokumentiert aber zugleich – indirekt – die Prioritätensetzung in den wirklich relevanten Bereichen: Im Jahr 2021 hat die Bundeswehr 1,71 Millionen Tonnen CO2-Equivalent ausgestoßen, gegenüber 1,45 Millionen Tonnen im Jahr 2019 – ein Plus von 18 Prozent.
Auch im Bereich der »militärspezifischen Mobilität« sind die Emissionen gestiegen – von 2019 bis 2021 um 25 Prozent. Begründet wird dies mit einer erhöhten »Aufgabenerfüllung der Teilstreitkraft Luftwaffe« und dem »Zulauf neuer Mobilitätssysteme«. Dabei werden weder die umfangreichen Manöveraktivitäten und Truppenverlegungen – mit und ohne NATO – im In- und Ausland, noch der auswärtige Treibstoffverbrauch in den aktuell 20 Auslandseinsätzen von Estland bis Südsudan im »Nachhaltigkeitsbericht« erfasst.
Allein das Manöver Air Defender 2023 über Deutschland hat nach BMVg-Angaben 35235 Tonnen CO2-Emissionen verursacht; die zum Kauf geplanten 35 F35-Kampfflugzeuge haben einen durchschnittlich etwa 60 Prozent höheren Treibstoffverbrauch als Eurofighter und Tornado.
Eine vollständige Abrechnung der mit Militär, Aufrüstung und Krieg erzeugten CO2-Emissionen muss natürlich auch die Rüstungsindustrie umfassen. Für die USA geht man davon aus, dass die in der Rüstungsproduktion emittierten Treibhausgase rund 15 Prozent der gesamten industriell erzeugten CO2-Emissionen ausmachen. Dann hätte die US-Kriegsproduktion zwischen 2001 und 2017 etwa 153 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr erzeugt. Für Deutschland gibt es kaum vergleichbare Zahlen.
Für die Bemühungen, gegen den Klimawandel viel schneller viel mehr zu tun, ist der aktuelle Aufrüstungsboom eine Katastrophe. Nehmen wir Rheinmetall: Das Unternehmen will in der Ukraine eine Panzerfabrik aufzubauen und dort jährlich bis zu 400 Kampfpanzer des 2022 erstmals vorgestellten Typs »Panther« produzieren. Das bedeutet nur für die Stahlproduktion 31624 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr, so viel wie ein Dorf in Deutschland mit etwa 4000 Einwohner:innen.
Klimakiller Ukrainekrieg
Die Auswirkungen des Ukrainekriegs auf das Klima sind schon jetzt katastrophal. Die Initiative on GHG Accounting of War hat in Vorbereitung des UN-Klimagipfels im vergangenen Jahr in Ägypten eine Studie vorgelegt, die die kriegsbedingten CO2-Emissionen aufschlüsselt. Danach wurden in den ersten sieben Monaten des Krieges mindestens 100 Millionen Tonnen CO2-Emissionen freigesetzt. Der Wiederaufbau zerstörter Infrastruktur wird weitere 49 Millionen Tonnen CO2 erzeugen. Die ukrainische Waffenproduktion und der Einsatz von Munition und Sprengstoff auf den Schlachtfeldern emittierte bisher etwa 950000 Tonnen CO2.
Diese Erkenntnisse werden kaum ein Umdenken bewirken. Die Deutsche Welle zitiert den Hauptautor der Studie, Lennerd de Clerk: »Mit einem ›aggressiven Nachbarn im Osten‹ werde Europa stark aufrüsten müssen, um eine ›ausreichende Abschreckung‹ zu schaffen. Ein stärkeres Militär in Europa werde dazu führen, dass ›die Emissionen in einer Zeit steigen, in der sie sinken müssen‹.«
Der Kampf für Abrüstung und Frieden ist auch immer ein aktiver Beitrag zum Klimaschutz. Weder solarbeheizte Kasernen noch wasserstoffbetriebene Panzer bieten zukunftsfähige Antworten auf die Auswirkungen und Herausforderungen des Klimawandels, mit denen die Menschheit in den nächsten Jahrzehnten konfrontiert sein wird. Ein konkretes Ziel wäre, Druck auf die Bundesregierung zu machen, dass sie alle Daten zum CO2-Fußabdruck der Bundeswehr erhebt und öffentlich macht. Die Herstellung einer permanenten Vorkriegssituation ist keine Strategie, mit der man Frieden schafft. Dafür braucht man kluge Diplomatie und mutige zivile Lösungen.
Die Autorin ist Mitarbeiterin im Büro von MdB Kathrin Vogler (Die Linke).
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