Sunjeev Sahota: Das Porzellanzimmer. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. München: Hanserblau, 2023. 240 S., 23 Euro
von Gerhard Klas
Leid und Schmerz prägen die beiden Hauptfiguren im Roman des Briten Sujeev Sahota, dessen Familie 1966 vom Punjab nach England einwanderte. Patriarchalische Machtstrukturen und rassistische Gewalt erzeugen bei ihnen nicht nur Sucht und Depression, sondern die Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung.
Auf der letzten Seite des Buchs hat Sujeev Sahota ein Foto veröffentlicht: Es zeigt seine eigens aus Indien angereiste Urgroßmutter Mehar Kaur im englischen Wohnzimmer, die ihren Urenkel kurz nach seiner Geburt in den Armen wiegt. Es ist die einzige persönliche Begegnung zwischen zwei Menschen, die in völlig unterschiedlichen Welten aufgewachsen sind: Mehar Kaur in einer arrangierten, unglücklichen Ehe im ländlichen Indien der 1920er Jahre; S., wie der männliche Protagonist kurz genannt wird, in einer vom Rassismus geprägten englischen Kleinstadt der 90er Jahre.
Sunjeev Sahota beschreibt nicht nur subtile, sondern auch brachiale Rassismuserfahrungen: Als sein schwerkranker Vater von Briten wegen seiner Hautfarbe brutal zusammengeschlagen wird, zerbricht etwas in S. Mit Heroin flieht er in andere Welten. Um der Sucht zu entgehen, schicken die Eltern den 18jährigen in das indische Dorf, in dem seine Mutter aufgewachsen ist. Für seinen Entzug zieht er sich auf die mittlerweile verfallene Farm zurück, in die seine Urgroßmutter Mehar siebzig Jahre zuvor mit zwei anderen Frauen eingeheiratet hatte. Keine der drei Frauen wusste zunächst, mit welchem der drei Söhne sie verheiratet ist. Mehar verliebte sich in den jüngsten, der aber nicht ihr Ehemann war. Ein Frevel, der schwer bestraft wurde.
Sahotas Roman ist nicht stringent, eher assoziativ und anekdotisch. So schreibt man Romane über die eigene Familie, wenn es viele erzählte Geschichten, aber wenig Dokumente und Gewissheiten gibt. Sunjeev Sahota ist es gelungen, daraus einen spannenden Roman über die langen Schatten der Migration zu schreiben.
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