Kommentar zu den bevorstehenden Wahlen
Przeglad, 4.9.2023
Der Tag der Wahlen rückt immer näher und das ist allerorts zu spüren. Mit großen Liebesbeteuerungen werden alle bombardiert, besonders aber die Senioren. Ihrer gibt es immer mehr und sie sind fleißige Wahlgänger. Die Regierung gibt ihnen nicht nur eine 14.Rente, sondern organisiert für sie und alle anderen große Volksfeste und lässt alles auffahren, was unter ihrem Kuratel ist: Armee, Polizei, Feuerwehr. Eigentlich sollten diese sich aus der Politik heraushalten. Aber wer es wagen würde, sich der Regierung zu widersetzen, der fliegt raus. Es gibt kaum Politiker, die sich entschlossen dem entgegenstellen. Schließlich sind sie eher an ihren Gewinnen interessiert, daran heraus zu finden, wer größeren Einfluss gewinnen wird. Am Abend der Wahl werden sie ihre Wahlversprechen vergessen.
Also sollte man sich die Kandidaten genau anschauen, was haben sie in der Vergangenheit gemacht, was versprechen sie, ist es realistisch?, – und schon bald werden es immer weniger. Dazu kommen all diejenigen, die während des Galopps das Pferd wechseln.
Beim Betrachten der Liste der Kandidaten fällt eines auf – es fehlen die Kompeteteren und Gebildeten. Wer hat Einfluss auf die Liste der Kandidaten? Natürlich bei der PiS Kaczynski allein, niemand wird sich ihm widersetzen. Tusk hat die Bürger Plattform wieder aus dem Tief hervorgeholt und ein Grüppchen von Parteiführern mit wenig Charisma hat sich ihm ohne großen Widerstand untergeordnet. Und die Linke? Czarzasty hat auf eine brutale Weise die Neue Linke an sich gerissen und die Liste stellt er entsprechend seiner Favoriten auf.
(Czarzasty ist eine Koalition aus SLD, dem Bündnis Linker Demokraten, Wiosna mit Biedron und Razem mit Zandberg.)
Wahlmanöver Kaczynskis
Wieder einmal hat er seine Anhänger überrascht und sie konnten wieder einmal feststellen, wie pfiffig ihr Chef ist. Er wird nicht in Warschau kandidieren – mit Tusk als Rivalen, sondern in Kielce. Dort hat schließlich bei den letzten Wahlen die PiS 55 Prozent geholt und 10 von 16 Mandaten errungen. Allerdings wird er sich an Ziobro messen müssen, der 2019 dort die Wahlliste anführte und ein gutes Ergebnis einfuhr. Jetzt wird er dagegen mit Roman Giertych konkurrieren, der für die Bürger Koalition antritt. Die Plattform erreichte 2019 in Kielce 16,6 Prozent. Giertych ist auch einer, der die Pferde gewechselt hat. Einst war er Vorsitzender der ultrakonservativen Liga Polnischer Familien, die mit der PiS koalierte, Hasstiraden verbreitete und finstere Zeiten im Bildungsministerium heraufbeschwor.
Die Kandidatenlisten
OKO.press, 3.9.2023
Kaczynski ließ seine Getreuen bis zuletzt im Ungewissen und legte erst am 1. September seine Karten auf den Tisch. Roman Giertych, der für die Bürger Koalition (KO) startet nun doch in Kielce, obwohl er nicht der Forderung nachkam, die Liberalisierung des Abtreibungsverbots zu unterstützen.
Bei der Neuen Linken gab es eine einzige Überraschung: Aus dem Lager der KO nehmen sie Jana Szostak, die von der Liste der KO gestrichen wurde, weil sie zu „liberale“ Auffassungen zum Schwangerschaftsabbruch vertritt.
Immer wieder diese Deutschen, Polityka, 3.9.2023
die sich in die polnische Politik einmischen. In der Vereinigten Rechten gibt es viele Mitglieder, die sich mit Deutschen auskennen und sie von einem echten Polen unterscheiden können. Die meisten Deutschen sind in der KO (Bürger Koalition) zu finden, wie übrigens ihr Chef Tusk. Der Abgeordnete Kowalski, der sich besonders gut mit Deutschen auskennt und sie entlarvt, demaskierte den Abgeordneten Nitras. Der habe nämlich ein „deutsches Lächeln“, sprich mit einer „deutschen Stimme“. Natürlich ist so ein Mensch, zumal er Mitglied einer deutschen Partei ist, weder Franzose, noch Belgier oder Pole, er ist ganz einfach ein DEUTSCHER!
Umfragen zum Verhältnis Deutschland–Polen Polityka, 29.9.2023
Keine Überraschungen gibt es bei der Frage nach der Verantwortung für den schlechten Zustand der gegenseitigen Beziehungen. Die Wähler von Recht und Gerechtigkeit (mit ihren 32 Prozent) und der Konferderacja (13 Prozent) verweisen auf die Politik der deutschen Regierung und die unzureichende Abrechnung der Deutschen mit der Geschichte (39 Prozent der Anhänger von Recht und Gerechtigkeit und 45 Prozent der Anhänger des Konferderacja).
Die Oppositionsanhänger sehen die Schuld vor allem auf Seiten der polnischen Regierung: 84 Prozent der KO-Wähler, 75 Prozent der Linken und 54 Prozent des Dritten Weges sehen das so.
Regierung unterschätzt Wissenschaft
2019 gab Polen 1,4 Prozent des BIP für die Wissenschaft aus, in der EU waren es im Durchschnitt 2,3 Prozent und in entwickelten Ländern 3-3,5 Prozent.
++++
„Das ist mein Aufschrei“
Agnieszka Holland über das kleine und große Böse
https://www.polityka.pl/tygodnikpolityka/kraj/2225018,1,to-jest-moj-krzyk-agnieszka-holland-mowi-jackowi-zakowskiemu-o-malym-i-wielkim-zlu.read, 31.8.2023
Im Interview mit der Polityka spricht die Regisseurin über ihren neusten Film “Zielona Granica“ (Die Grüne Grenze), darüber wie zusammen mit den Geflüchteten an den Grenzen europäische Werte sterben: „Fast jeder Mensch hat das Potenzial für Gut und Böse. Es hängt von den Umständen ab, was mehr zum Vorschein kommt. Menschen, bei denen das Gute immer überwiegt – ungeachtet von Angst, Propaganda, Druck – gibt es nur wenige. Sie sind ein Geheimnis, das mich seit langem fasziniert.“
Reine, natürliche Güte?
"Angeboren, selbstlos, reflexartig, ohne Berechnung, manchmal vielleicht rau, aber bedingungslos."
Wer ist der Gute in Ihrem neuesten Film "Grüne Grenze"?
"Das Gute ist am einfachsten im Opfer zu sehen. Das Opfer erweckt Mitgefühl. Denn es ist verletzlich, gekränkt, leidet…"
Es ist einfacher, das Opfer zu belohnen?
"Das ist klar. Aber auch die, die Gutes tun. Wir sehen das Gute in Aktivisten, die Flüchtlinge retten, obwohl wir natürlich wissen, dass nicht jeder 24 Stunden am Tag ein guter Mensch ist. Aber das Potenzial für das Gute liegt auch in dem Grenzsoldaten, der schreckliche Dinge tut. Wahrscheinlich wäre er lieber ein guter Mensch, aber die Umstände zwingen ihn dazu, Böses zu tun. Das trifft auf die meisten seiner Kollegen zu."
In ‚Die grüne Grenze‘ scheint diese Beziehung zwischen dem institutionellen und dem individuellen Bösen entscheidend zu sein?
"Das System schafft das Böse. Wir alle gehen gewisse Kompromisse mit ihm ein. Wenn der Staat böse ist, ist es unmöglich, Kompromisse mit dem Bösen zu vermeiden. Wenn der Staat das Böse erzwingt, unterwirft sich ihm ein großer Teil von uns, obwohl die große Mehrheit lieber das Gute tun möchte."
Es wird immer davon gesprochen, dass Migranten den Rechten Zulauf geben und unsere Demokratie zerstören. Aber Migranten aufzuhalten, weckt auch das Böse in uns.
"Das Problem ist, dass sich diese Welle ohnehin bewegen wird oder bereits in Bewegung ist, und dass sie unweigerlich hier ankommen wird. Sie hat sich jetzt etwas verlangsamt, aber sie wird sich nicht vermeiden lassen. Wir wissen nur nicht, wann dieser große Marsch stattfinden wird. Vielleicht in fünf oder zehn Jahren, aber die Völkerwanderung ist ziemlich unvermeidlich. Wann sie kommt, hängt davon ab, welche Auswirkungen die Klimakatastrophe haben wird. Wie sie sich auf die politische Situation in Afrika und Asien auswirken wird. Ob Putin sich damit begnügen wird, Flüchtlinge in Polen abzuladen."
Zehntausende starben, Hunderttausende überlebten. Für Millionen verzweifelter Menschen in Afrika und Asien scheint dies ein akzeptables Verhältnis zu sein.
"Dennoch glauben sie, dass die Chance, die Migration zu überleben und dann ein erträgliches Leben zu führen, größer ist als in ihrem Land. Das vermeintlich 'kleinere Übel', für das sich die Politiker entscheiden, nämlich Flüchtlinge in Todesgefahr zu bringen, verhindert also nicht das 'große Übel', d.h. den unkontrollierten Zustrom von Millionen von Menschen nach Europa, vor dem uns das 'kleine Übel' eigentlich schützen soll."
Die EU sorgt in 'Partnerstaaten' dafür, dass Geflüchtete gefangengenommen und inhaftiert werden und bezahlt sie dafür.
"Das ist die Wirkung der EU-Strategie. Und ich spreche über das Handeln der PiS-Regierung. Wenn die PiS wirklich wollte, dass der Druck an der polnischen Grenze abnimmt, würde sie in kurdische, syrische und afghanische Portale investieren, um potenzielle Flüchtlinge mit der Information zu erreichen, dass Lukaschenko lügt und sie in eine Falle lockt. Dass sie in Weißrussland ausgeraubt werden, dass sie auf beiden Seiten des Zauns missbraucht werden und dass entlang der Route Menschen sterben. Das hätte nicht nur den Flüchtlingen Leid, sondern auch den Polen moralische Konflikte erspart – den Grenzschützern, Polizisten, Zeugen, also uns allen. Wir alle sind durch diesen Alptraum an der Grenze demoralisiert. Er lehrt uns, mit dem Bösen zu leben. Er übt uns in sozialer Gleichgültigkeit. Und die Mauer bringt nicht viel. Es kommen jetzt noch mehr Flüchtlinge über Polen nach Deutschland als vor dem Bau der Mauer. Der polnische Staat unternimmt keine vernünftigen Schritte, um das Ausmaß dieser Migration zu begrenzen. Denn diese Behörde hat zwei linke Hände. Nichts gelingt ihr, außer der Kampf um ihre Macht.
Dahinter steckt mehr als nur Ungeschicklichkeit. In dieser Politik steckt auch eine Methode, Chaos zu schüren, Krisen zu entfachen und dann die Reaktionen zu testen. Die Grenze ist ein Testgelände. Lukaschenko testet den Zustand unseres Staates, und die PiS testet die Gesellschaft und ihren eigenen Apparat. Wie wird die Reaktion auf den Ausnahmezustand sein? Wie weit kann er gehen, bevor das Volk revoltiert und der Staatsapparat beginnt, Befehle zu sabotieren? Für Kaczynski ist das eine zynische Methode, um sein eigenes Volk und seine Dienste abhängig zu machen. Wie bei Dostojewski. Einer tötet und die anderen sehen es, tun aber nichts und werden alle schuldig, also müssen sie schon zusammenhalten, um nicht bestraft zu werden.“
So holt man das Schlechte aus den Menschen heraus und unterdrückt das Gute in ihnen.
"Und ihre Loyalität ist gesichert. Denn sie werden immer Angst haben, dass aufgedeckt wird, was sie an der Grenze getan haben, und wenn sie sich von der Gruppe lösen, wird sie jemand für diese Verbrechen bestrafen. Das Verbrechen eint. Eine solche Politik ist eine Prüfung für uns alle. Kaczynski war neugierig, was die normalen Menschen tun würden, wenn der Ausnahmezustand verhängt würde. Sie taten nichts. Ein beträchtlicher Teil Polens wurde zum rechtsfreien Raum und selbst die Eliten reagierten kaum. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, haben Journalisten, Anwälte, Ärzte, Politiker, ganz zu schweigen von den Uniformierten, dies wie Lämmer hingenommen. Die Regierenden haben gelernt, dass sie auf die Passivität der Gesellschaft zählen können, wenn es um persönliche Freiheiten geht."
Und nach der Anti-Terrorismus-Hysterie. Seit 2001 ist die Freiheit im Westen Stück für Stück verschwunden. Mit wenig Protest.
"Für Regierungen wie Polen und Ungarn ist die Ankunft einer Flüchtlingswelle der perfekte Vorwand, um weitere Scheiben der Demokratie abzuschneiden. Würden Lukaschenko und Putin aufhören, sie hierher zu locken, müsste Kaczynski sie wahrscheinlich selbst anliefern lassen. Denn schließlich werden sie diese Grenze nicht von allein erreichen. Aber sie werden zu den anderen kommen und es werden immer mehr werden, egal wie wir sie aufhalten. Denn wenn Menschen an einem Ort nicht mehr leben können, suchen sie sich einen anderen. Und Europa ist für Hunderte von Millionen Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten der Ort, der einem erträglichen Leben am nächsten kommt. Ich habe große Angst davor, was Europa tun wird, wenn diese Millionenschar losziehen wird und Flickschusterei wie Zäune, Verstrickungen und die Bezahlung diverser Diktatoren, um Flüchtlinge in Lagern zu halten, nicht mehr ausreichen. Wie viel Böses wird dann in uns geweckt werden, und wie viel Gutes?"
Es tun sich zwei Wege auf. Der eine ist das Ende unserer Wertewelt und der andere ist unser Ende.
"Eben. Das Mittelmeer könnte zu einem roten Meer werden, denn wenn es zehnmal so viele dieser Boote gibt, werden wir sie bombardieren, anstatt sie von der Küste wegzudrängen. Wir bereiten uns darauf vor, indem wir Frontex und die Küstenwache dazu bringen, ihre Augen abzuwenden, wenn Menschen vor den Küsten Italiens oder Griechenlands ertrinken. Und wir werden Truppen mit Maschinengewehren am Zaun im Bialowieza-Wald aufstellen und ihnen befehlen, in Stößen auf sie zu schießen, so wie die Saudis jetzt auf die Äthiopier schießen. Wenn wir den eingeschlagenen Weg weitergehen, sehe ich keine andere Perspektive."
Das Problem ist nicht, dass irgendeine europäische Regierung bereit ist, dies zu tun, sondern dass die liberalen westlichen Gesellschaften dies grundsätzlich akzeptieren. Und wir wissen, dass das Böse ganzheitlich ist. Wenn jemand Flüchtlinge auf diese Weise behandelt, wird er jeden, der ihm in die Quere kommt, ähnlich behandeln. Und diese wunderbaren, zivilisierten Europäer sagen: "Und was ist unser Ausweg?".
"Nein, das ist nicht das, was irgendjemand sagt. Wir stecken den Kopf in den Sand und tun so, als gäbe es kein Problem. Niemand muss in den Wäldern und Meeren herumirren, während die Dienste ihre Schwarzarbeit verrichten. Niemand fragt in der Volksabstimmung, ob Sie mit Pushback, dem Erschießen von Migranten, dem Versenken ihrer Boote und der Verweigerung von Hilfe auf See einverstanden sind. Die Regierungen geben sich große Mühe, unser Gewissen zu schützen, indem sie uns helfen, uns hinter einem Schleier der Unwissenheit zu verbergen. Sie geben uns eine Dosis Horror, indem sie die Brände in der Nähe von Paris zeigen und sagen: ‚Mischen Sie sich nicht ein, wir werden das schon regeln’."
Agnieszka Holland vertritt weiterhin die Meinung, dass die Aktivisten an der Grenze, die den Geflüchteten helfen, das Gute generieren. Diese Geflüchteten mit diesen guten Erfahrungen werden gute Europäer und keine Terroristen. Sie ist davon überzeugt, dass es in Podlasie (Grenzgebiet zu Belarus) in 50 Jahren in jeder Familie einen Gerechten geben wird. Schließlich steckt in jedem Menschen das Gute, was auch darin zu sehen ist, wie die Ukrainer aufgenommen werden. Schließlich glaubt das Gute im Menschen nicht der Rechnung der Politiker, wenn wir nur genug Migranten töten, kommen weniger. Dies widerspricht der Moral der Menschen.
Die Europäische Union praktiziert ein solches Kalkül.
"Aber sie übt sich in Heuchelei.“
Das ist für mich ein schwacher Trost.
"Aber solange wir es nicht offen aussprechen, können wir immer noch einen Rückzieher machen. Nur wenn das Böse zu einer offenen Ideologie oder einer politischen Agenda wird, zum 'politischen Gold' von irgendjemandem, dann gibt es kein Zurück mehr vor dem Völkermord."
Mit der einen Hand zählen sie sich zu den Gerechten, mit der anderen verdammen sie Flüchtlinge zum Sterben im Sumpf.
"Ich glaube, nur wenige denken über den Sinn ihres Handelns nach. Früher haben wir uns beklagt, dass Politiker von Wahl zu Wahl denken, heute denken sie von Umfrage zu Umfrage. Welcher Politiker denkt heute noch ernsthaft darüber nach, wohin wir uns als Menschheit, als Europa oder als Polen bewegen. Nicht nur die Politiker leiden unter diesem Mangel an Weitblick. Deshalb haben die Menschen in Europa aufgehört sich fortzupflanzen, weil sie ihren Sinn für das Wesentliche verloren haben. Der einzige Sinn ist Selbstgefälligkeit, Ruhe und Bequemlichkeit.“
Bei allem Pessimismus ist Agnieszka Holland der Meinung, dass in der Geschichte sich im Grunde immer etwas zum Besseren entwickelt hat. Schritt um Schritt gab es mehr Freiheiten, ob für Frauen, Kinder, Homosexuelle, Bauern, Farbige, ja sogar Tiere und Pflanzen. Wenn Millionen von Migranten Europa erreichen, werden sie in unsere Fußstapfen treten, schließlich sind auch die Römer einst „ersetzt“ worden – durch das Volk der Barbaren.
Im Augenblick sei es aber wichtiger dafür einzutreten, dass unser Bild, unser Ansehen in Afrika nicht durch die Politik noch mehr leidet. Gewinner davon werden Putin und China sein, die mit großen Freuden aufgenommen werden.
So berichtet Agnieszka Holland von einer Äthiopierin, die krank im Wald von Podlasie gefunden wurde. Die Aktivisten meldeten es, damit sie Hilfe bekam. Die Polizei gab es weiter an den Grenzschutz. Verschiedene Aktivisten suchten sie dann, nachdem sie eine Woche keine Nachrichten lang erhielten, und fanden sie an der von ihnen gemeldeten Stelle im Wald. Niemand hatte sich um sie gekümmert. Es gelang, Geld für die Überführung nach Äthiopien zu sammeln. An der Beerdigung nahmen Tausende teil und es wurde in Medien berichtet. Die Mutter und die Schwester bedankten sich bei den Aktivistinnen und – beschuldigten den polnischen Staat für den Tod der jungen Frau.
Und in Afrika denken sie, wir seien Monster.
"Ja, Afrika baut sich ein Bild von Europa. Das Ergebnis ist, dass Putin dann dort wie Butter reingeht und Afrika gewinnt."
Das 'kleine Übel', das durch die Macht der lokalen Funktionäre geweckt wird, wird zum 'großen Übel' im Kampf um die Welt.
"Es handelt sich um miteinander verbundene Systeme. Ein paar Schurken und Dummköpfe in polnischen Uniformen können eine Lawine mit unvorstellbaren globalen Folgen auslösen."
Das liegt jenseits des Horizonts des Durchschnittsmenschen. Wie kann er, dem es wie Ihnen an Wissen und Selbsterkenntnis mangelt, seine traditionellen Werte retten und nicht zu einem Nazi werden, der mit einer Kalaschnikow auf eine Menschenmenge, die in Europa Rettung sucht, schießt oder wegschaut, wenn andere schießen?
"Wenn man sich retten will, muss man aufhören, nur in der Sprache des Pragmatismus und der Geopolitik zu denken. Man muss alle möglichen Mittel einsetzen, um elementare Empathie in den Menschen zu wecken. Das geschieht ein wenig, während der erste Schock abklingt. In der Region Podlasie gibt es immer mehr Menschen, die, wenn sie auf Flüchtlinge treffen, helfen, anstatt zum Telefon zu greifen und die Grenzbeamten anzurufen. Nicht jeder muss heldenhaft sein. Für die meisten reicht einfache Freundlichkeit aus."
3.9.2023
Kommentar zu den bevorstehenden Wahlen
Przeglad, 4.9.2023
Der Tag der Wahlen rückt immer näher und das ist allerorts zu spüren. Mit großen Liebesbeteuerungen werden alle bombardiert, besonders aber die Senioren. Ihrer gibt es immer mehr und sie sind fleißige Wahlgänger. Die Regierung gibt ihnen nicht nur eine 14.Rente, sondern organisiert für sie und alle anderen große Volksfeste und lässt alles auffahren, was unter ihrem Kuratel ist: Armee, Polizei, Feuerwehr. Eigentlich sollten diese sich aus der Politik heraushalten. Aber wer es wagen würde, sich der Regierung zu widersetzen, der fliegt raus. Es gibt kaum Politiker, die sich entschlossen dem entgegenstellen. Schließlich sind sie eher an ihren Gewinnen interessiert, daran heraus zu finden, wer größeren Einfluss gewinnen wird. Am Abend der Wahl werden sie ihre Wahlversprechen vergessen.
Also sollte man sich die Kandidaten genau anschauen, was haben sie in der Vergangenheit gemacht, was versprechen sie, ist es realistisch?, – und schon bald werden es immer weniger. Dazu kommen all diejenigen, die während des Galopps das Pferd wechseln.
Beim Betrachten der Liste der Kandidaten fällt eines auf – es fehlen die Kompeteteren und Gebildeten. Wer hat Einfluss auf die Liste der Kandidaten? Natürlich bei der PiS Kaczynski allein, niemand wird sich ihm widersetzen. Tusk hat die Bürger Plattform wieder aus dem Tief hervorgeholt und ein Grüppchen von Parteiführern mit wenig Charisma hat sich ihm ohne großen Widerstand untergeordnet. Und die Linke? Czarzasty hat auf eine brutale Weise die Neue Linke an sich gerissen und die Liste stellt er entsprechend seiner Favoriten auf.
(Czarzasty ist eine Koalition aus SLD, dem Bündnis Linker Demokraten, Wiosna mit Biedron und Razem mit Zandberg.)
Wahlmanöver Kaczynskis
Wieder einmal hat er seine Anhänger überrascht und sie konnten wieder einmal feststellen, wie pfiffig ihr Chef ist. Er wird nicht in Warschau kandidieren – mit Tusk als Rivalen, sondern in Kielce. Dort hat schließlich bei den letzten Wahlen die PiS 55 Prozent geholt und 10 von 16 Mandaten errungen. Allerdings wird er sich an Ziobro messen müssen, der 2019 dort die Wahlliste anführte und ein gutes Ergebnis einfuhr. Jetzt wird er dagegen mit Roman Giertych konkurrieren, der für die Bürger Koalition antritt. Die Plattform erreichte 2019 in Kielce 16,6 Prozent. Giertych ist auch einer, der die Pferde gewechselt hat. Einst war er Vorsitzender der ultrakonservativen Liga Polnischer Familien, die mit der PiS koalierte, Hasstiraden verbreitete und finstere Zeiten im Bildungsministerium heraufbeschwor.
Die Kandidatenlisten
OKO.press, 3.9.2023
Kaczynski ließ seine Getreuen bis zuletzt im Ungewissen und legte erst am 1. September seine Karten auf den Tisch. Roman Giertych, der für die Bürger Koalition (KO) startet nun doch in Kielce, obwohl er nicht der Forderung nachkam, die Liberalisierung des Abtreibungsverbots zu unterstützen.
Bei der Neuen Linken gab es eine einzige Überraschung: Aus dem Lager der KO nehmen sie Jana Szostak, die von der Liste der KO gestrichen wurde, weil sie zu „liberale“ Auffassungen zum Schwangerschaftsabbruch vertritt.
Immer wieder diese Deutschen, Polityka, 3.9.2023
die sich in die polnische Politik einmischen. In der Vereinigten Rechten gibt es viele Mitglieder, die sich mit Deutschen auskennen und sie von einem echten Polen unterscheiden können. Die meisten Deutschen sind in der KO (Bürger Koalition) zu finden, wie übrigens ihr Chef Tusk. Der Abgeordnete Kowalski, der sich besonders gut mit Deutschen auskennt und sie entlarvt, demaskierte den Abgeordneten Nitras. Der habe nämlich ein „deutsches Lächeln“, sprich mit einer „deutschen Stimme“. Natürlich ist so ein Mensch, zumal er Mitglied einer deutschen Partei ist, weder Franzose, noch Belgier oder Pole, er ist ganz einfach ein DEUTSCHER!
Umfragen zum Verhältnis Deutschland–Polen Polityka, 29.9.2023
Keine Überraschungen gibt es bei der Frage nach der Verantwortung für den schlechten Zustand der gegenseitigen Beziehungen. Die Wähler von Recht und Gerechtigkeit (mit ihren 32 Prozent) und der Konferderacja (13 Prozent) verweisen auf die Politik der deutschen Regierung und die unzureichende Abrechnung der Deutschen mit der Geschichte (39 Prozent der Anhänger von Recht und Gerechtigkeit und 45 Prozent der Anhänger des Konferderacja).
Die Oppositionsanhänger sehen die Schuld vor allem auf Seiten der polnischen Regierung: 84 Prozent der KO-Wähler, 75 Prozent der Linken und 54 Prozent des Dritten Weges sehen das so.
Regierung unterschätzt Wissenschaft
2019 gab Polen 1,4 Prozent des BIP für die Wissenschaft aus, in der EU waren es im Durchschnitt 2,3 Prozent und in entwickelten Ländern 3-3,5 Prozent.
++++
„Das ist mein Aufschrei“
Agnieszka Holland über das kleine und große Böse
https://www.polityka.pl/tygodnikpolityka/kraj/2225018,1,to-jest-moj-krzyk-agnieszka-holland-mowi-jackowi-zakowskiemu-o-malym-i-wielkim-zlu.read, 31.8.2023
Im Interview mit der Polityka spricht die Regisseurin über ihren neusten Film “Zielona Granica“ (Die Grüne Grenze), darüber wie zusammen mit den Geflüchteten an den Grenzen europäische Werte sterben: „Fast jeder Mensch hat das Potenzial für Gut und Böse. Es hängt von den Umständen ab, was mehr zum Vorschein kommt. Menschen, bei denen das Gute immer überwiegt – ungeachtet von Angst, Propaganda, Druck – gibt es nur wenige. Sie sind ein Geheimnis, das mich seit langem fasziniert.“
Reine, natürliche Güte?
"Angeboren, selbstlos, reflexartig, ohne Berechnung, manchmal vielleicht rau, aber bedingungslos."
Wer ist der Gute in Ihrem neuesten Film "Grüne Grenze"?
"Das Gute ist am einfachsten im Opfer zu sehen. Das Opfer erweckt Mitgefühl. Denn es ist verletzlich, gekränkt, leidet…"
Es ist einfacher, das Opfer zu belohnen?
"Das ist klar. Aber auch die, die Gutes tun. Wir sehen das Gute in Aktivisten, die Flüchtlinge retten, obwohl wir natürlich wissen, dass nicht jeder 24 Stunden am Tag ein guter Mensch ist. Aber das Potenzial für das Gute liegt auch in dem Grenzsoldaten, der schreckliche Dinge tut. Wahrscheinlich wäre er lieber ein guter Mensch, aber die Umstände zwingen ihn dazu, Böses zu tun. Das trifft auf die meisten seiner Kollegen zu."
In ‚Die grüne Grenze‘ scheint diese Beziehung zwischen dem institutionellen und dem individuellen Bösen entscheidend zu sein?
"Das System schafft das Böse. Wir alle gehen gewisse Kompromisse mit ihm ein. Wenn der Staat böse ist, ist es unmöglich, Kompromisse mit dem Bösen zu vermeiden. Wenn der Staat das Böse erzwingt, unterwirft sich ihm ein großer Teil von uns, obwohl die große Mehrheit lieber das Gute tun möchte."
Es wird immer davon gesprochen, dass Migranten den Rechten Zulauf geben und unsere Demokratie zerstören. Aber Migranten aufzuhalten, weckt auch das Böse in uns.
"Das Problem ist, dass sich diese Welle ohnehin bewegen wird oder bereits in Bewegung ist, und dass sie unweigerlich hier ankommen wird. Sie hat sich jetzt etwas verlangsamt, aber sie wird sich nicht vermeiden lassen. Wir wissen nur nicht, wann dieser große Marsch stattfinden wird. Vielleicht in fünf oder zehn Jahren, aber die Völkerwanderung ist ziemlich unvermeidlich. Wann sie kommt, hängt davon ab, welche Auswirkungen die Klimakatastrophe haben wird. Wie sie sich auf die politische Situation in Afrika und Asien auswirken wird. Ob Putin sich damit begnügen wird, Flüchtlinge in Polen abzuladen."
Zehntausende starben, Hunderttausende überlebten. Für Millionen verzweifelter Menschen in Afrika und Asien scheint dies ein akzeptables Verhältnis zu sein.
"Dennoch glauben sie, dass die Chance, die Migration zu überleben und dann ein erträgliches Leben zu führen, größer ist als in ihrem Land. Das vermeintlich 'kleinere Übel', für das sich die Politiker entscheiden, nämlich Flüchtlinge in Todesgefahr zu bringen, verhindert also nicht das 'große Übel', d.h. den unkontrollierten Zustrom von Millionen von Menschen nach Europa, vor dem uns das 'kleine Übel' eigentlich schützen soll."
Die EU sorgt in 'Partnerstaaten' dafür, dass Geflüchtete gefangengenommen und inhaftiert werden und bezahlt sie dafür.
"Das ist die Wirkung der EU-Strategie. Und ich spreche über das Handeln der PiS-Regierung. Wenn die PiS wirklich wollte, dass der Druck an der polnischen Grenze abnimmt, würde sie in kurdische, syrische und afghanische Portale investieren, um potenzielle Flüchtlinge mit der Information zu erreichen, dass Lukaschenko lügt und sie in eine Falle lockt. Dass sie in Weißrussland ausgeraubt werden, dass sie auf beiden Seiten des Zauns missbraucht werden und dass entlang der Route Menschen sterben. Das hätte nicht nur den Flüchtlingen Leid, sondern auch den Polen moralische Konflikte erspart – den Grenzschützern, Polizisten, Zeugen, also uns allen. Wir alle sind durch diesen Alptraum an der Grenze demoralisiert. Er lehrt uns, mit dem Bösen zu leben. Er übt uns in sozialer Gleichgültigkeit. Und die Mauer bringt nicht viel. Es kommen jetzt noch mehr Flüchtlinge über Polen nach Deutschland als vor dem Bau der Mauer. Der polnische Staat unternimmt keine vernünftigen Schritte, um das Ausmaß dieser Migration zu begrenzen. Denn diese Behörde hat zwei linke Hände. Nichts gelingt ihr, außer der Kampf um ihre Macht.
Dahinter steckt mehr als nur Ungeschicklichkeit. In dieser Politik steckt auch eine Methode, Chaos zu schüren, Krisen zu entfachen und dann die Reaktionen zu testen. Die Grenze ist ein Testgelände. Lukaschenko testet den Zustand unseres Staates, und die PiS testet die Gesellschaft und ihren eigenen Apparat. Wie wird die Reaktion auf den Ausnahmezustand sein? Wie weit kann er gehen, bevor das Volk revoltiert und der Staatsapparat beginnt, Befehle zu sabotieren? Für Kaczynski ist das eine zynische Methode, um sein eigenes Volk und seine Dienste abhängig zu machen. Wie bei Dostojewski. Einer tötet und die anderen sehen es, tun aber nichts und werden alle schuldig, also müssen sie schon zusammenhalten, um nicht bestraft zu werden.“
So holt man das Schlechte aus den Menschen heraus und unterdrückt das Gute in ihnen.
"Und ihre Loyalität ist gesichert. Denn sie werden immer Angst haben, dass aufgedeckt wird, was sie an der Grenze getan haben, und wenn sie sich von der Gruppe lösen, wird sie jemand für diese Verbrechen bestrafen. Das Verbrechen eint. Eine solche Politik ist eine Prüfung für uns alle. Kaczynski war neugierig, was die normalen Menschen tun würden, wenn der Ausnahmezustand verhängt würde. Sie taten nichts. Ein beträchtlicher Teil Polens wurde zum rechtsfreien Raum und selbst die Eliten reagierten kaum. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, haben Journalisten, Anwälte, Ärzte, Politiker, ganz zu schweigen von den Uniformierten, dies wie Lämmer hingenommen. Die Regierenden haben gelernt, dass sie auf die Passivität der Gesellschaft zählen können, wenn es um persönliche Freiheiten geht."
Und nach der Anti-Terrorismus-Hysterie. Seit 2001 ist die Freiheit im Westen Stück für Stück verschwunden. Mit wenig Protest.
"Für Regierungen wie Polen und Ungarn ist die Ankunft einer Flüchtlingswelle der perfekte Vorwand, um weitere Scheiben der Demokratie abzuschneiden. Würden Lukaschenko und Putin aufhören, sie hierher zu locken, müsste Kaczynski sie wahrscheinlich selbst anliefern lassen. Denn schließlich werden sie diese Grenze nicht von allein erreichen. Aber sie werden zu den anderen kommen und es werden immer mehr werden, egal wie wir sie aufhalten. Denn wenn Menschen an einem Ort nicht mehr leben können, suchen sie sich einen anderen. Und Europa ist für Hunderte von Millionen Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten der Ort, der einem erträglichen Leben am nächsten kommt. Ich habe große Angst davor, was Europa tun wird, wenn diese Millionenschar losziehen wird und Flickschusterei wie Zäune, Verstrickungen und die Bezahlung diverser Diktatoren, um Flüchtlinge in Lagern zu halten, nicht mehr ausreichen. Wie viel Böses wird dann in uns geweckt werden, und wie viel Gutes?"
Es tun sich zwei Wege auf. Der eine ist das Ende unserer Wertewelt und der andere ist unser Ende.
"Eben. Das Mittelmeer könnte zu einem roten Meer werden, denn wenn es zehnmal so viele dieser Boote gibt, werden wir sie bombardieren, anstatt sie von der Küste wegzudrängen. Wir bereiten uns darauf vor, indem wir Frontex und die Küstenwache dazu bringen, ihre Augen abzuwenden, wenn Menschen vor den Küsten Italiens oder Griechenlands ertrinken. Und wir werden Truppen mit Maschinengewehren am Zaun im Bialowieza-Wald aufstellen und ihnen befehlen, in Stößen auf sie zu schießen, so wie die Saudis jetzt auf die Äthiopier schießen. Wenn wir den eingeschlagenen Weg weitergehen, sehe ich keine andere Perspektive."
Das Problem ist nicht, dass irgendeine europäische Regierung bereit ist, dies zu tun, sondern dass die liberalen westlichen Gesellschaften dies grundsätzlich akzeptieren. Und wir wissen, dass das Böse ganzheitlich ist. Wenn jemand Flüchtlinge auf diese Weise behandelt, wird er jeden, der ihm in die Quere kommt, ähnlich behandeln. Und diese wunderbaren, zivilisierten Europäer sagen: "Und was ist unser Ausweg?".
"Nein, das ist nicht das, was irgendjemand sagt. Wir stecken den Kopf in den Sand und tun so, als gäbe es kein Problem. Niemand muss in den Wäldern und Meeren herumirren, während die Dienste ihre Schwarzarbeit verrichten. Niemand fragt in der Volksabstimmung, ob Sie mit Pushback, dem Erschießen von Migranten, dem Versenken ihrer Boote und der Verweigerung von Hilfe auf See einverstanden sind. Die Regierungen geben sich große Mühe, unser Gewissen zu schützen, indem sie uns helfen, uns hinter einem Schleier der Unwissenheit zu verbergen. Sie geben uns eine Dosis Horror, indem sie die Brände in der Nähe von Paris zeigen und sagen: ‚Mischen Sie sich nicht ein, wir werden das schon regeln’."
Agnieszka Holland vertritt weiterhin die Meinung, dass die Aktivisten an der Grenze, die den Geflüchteten helfen, das Gute generieren. Diese Geflüchteten mit diesen guten Erfahrungen werden gute Europäer und keine Terroristen. Sie ist davon überzeugt, dass es in Podlasie (Grenzgebiet zu Belarus) in 50 Jahren in jeder Familie einen Gerechten geben wird. Schließlich steckt in jedem Menschen das Gute, was auch darin zu sehen ist, wie die Ukrainer aufgenommen werden. Schließlich glaubt das Gute im Menschen nicht der Rechnung der Politiker, wenn wir nur genug Migranten töten, kommen weniger. Dies widerspricht der Moral der Menschen.
Die Europäische Union praktiziert ein solches Kalkül.
"Aber sie übt sich in Heuchelei.“
Das ist für mich ein schwacher Trost.
"Aber solange wir es nicht offen aussprechen, können wir immer noch einen Rückzieher machen. Nur wenn das Böse zu einer offenen Ideologie oder einer politischen Agenda wird, zum 'politischen Gold' von irgendjemandem, dann gibt es kein Zurück mehr vor dem Völkermord."
Mit der einen Hand zählen sie sich zu den Gerechten, mit der anderen verdammen sie Flüchtlinge zum Sterben im Sumpf.
"Ich glaube, nur wenige denken über den Sinn ihres Handelns nach. Früher haben wir uns beklagt, dass Politiker von Wahl zu Wahl denken, heute denken sie von Umfrage zu Umfrage. Welcher Politiker denkt heute noch ernsthaft darüber nach, wohin wir uns als Menschheit, als Europa oder als Polen bewegen. Nicht nur die Politiker leiden unter diesem Mangel an Weitblick. Deshalb haben die Menschen in Europa aufgehört sich fortzupflanzen, weil sie ihren Sinn für das Wesentliche verloren haben. Der einzige Sinn ist Selbstgefälligkeit, Ruhe und Bequemlichkeit.“
Bei allem Pessimismus ist Agnieszka Holland der Meinung, dass in der Geschichte sich im Grunde immer etwas zum Besseren entwickelt hat. Schritt um Schritt gab es mehr Freiheiten, ob für Frauen, Kinder, Homosexuelle, Bauern, Farbige, ja sogar Tiere und Pflanzen. Wenn Millionen von Migranten Europa erreichen, werden sie in unsere Fußstapfen treten, schließlich sind auch die Römer einst „ersetzt“ worden – durch das Volk der Barbaren.
Im Augenblick sei es aber wichtiger dafür einzutreten, dass unser Bild, unser Ansehen in Afrika nicht durch die Politik noch mehr leidet. Gewinner davon werden Putin und China sein, die mit großen Freuden aufgenommen werden.
So berichtet Agnieszka Holland von einer Äthiopierin, die krank im Wald von Podlasie gefunden wurde. Die Aktivisten meldeten es, damit sie Hilfe bekam. Die Polizei gab es weiter an den Grenzschutz. Verschiedene Aktivisten suchten sie dann, nachdem sie eine Woche keine Nachrichten lang erhielten, und fanden sie an der von ihnen gemeldeten Stelle im Wald. Niemand hatte sich um sie gekümmert. Es gelang, Geld für die Überführung nach Äthiopien zu sammeln. An der Beerdigung nahmen Tausende teil und es wurde in Medien berichtet. Die Mutter und die Schwester bedankten sich bei den Aktivistinnen und – beschuldigten den polnischen Staat für den Tod der jungen Frau.
Und in Afrika denken sie, wir seien Monster.
"Ja, Afrika baut sich ein Bild von Europa. Das Ergebnis ist, dass Putin dann dort wie Butter reingeht und Afrika gewinnt."
Das 'kleine Übel', das durch die Macht der lokalen Funktionäre geweckt wird, wird zum 'großen Übel' im Kampf um die Welt.
"Es handelt sich um miteinander verbundene Systeme. Ein paar Schurken und Dummköpfe in polnischen Uniformen können eine Lawine mit unvorstellbaren globalen Folgen auslösen."
Das liegt jenseits des Horizonts des Durchschnittsmenschen. Wie kann er, dem es wie Ihnen an Wissen und Selbsterkenntnis mangelt, seine traditionellen Werte retten und nicht zu einem Nazi werden, der mit einer Kalaschnikow auf eine Menschenmenge, die in Europa Rettung sucht, schießt oder wegschaut, wenn andere schießen?
"Wenn man sich retten will, muss man aufhören, nur in der Sprache des Pragmatismus und der Geopolitik zu denken. Man muss alle möglichen Mittel einsetzen, um elementare Empathie in den Menschen zu wecken. Das geschieht ein wenig, während der erste Schock abklingt. In der Region Podlasie gibt es immer mehr Menschen, die, wenn sie auf Flüchtlinge treffen, helfen, anstatt zum Telefon zu greifen und die Grenzbeamten anzurufen. Nicht jeder muss heldenhaft sein. Für die meisten reicht einfache Freundlichkeit aus."
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