Die GKN-Belegschaft in Florenz ist seit zwei Jahren im Widerstand
von Kathy Ziegler
Statt am 9.Juli 2021 ihre Kündigung und die Schließung der GKN-Fabrik bei Florenz hinzunehmen, halten die Beschäftigten seit zwei Jahren eine unbefristete Betriebsversammlung ab und planen die Konversion des Autozulieferbetriebs. Kathy Ziegler, Mitglied der Initiative »Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter für den Klimaschutz«, berichtet von einer Delegationsreise, die sie im vergangenen Juli unternommen hat.
Der folgende Artikel ist eine gekürzte und überarbeitete Version ihres Beitrags auf Labournet.de, mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
Dario Salvetti würde am liebsten mit dem Wandel sofort beginnen, doch aktuell kann er nichts weiter tun, als zu warten. Seit zwei Jahren kämpft er mit seinen Kolleg:innen für die Konversion des ehemaligen Autozulieferers GKN Automotiv Driveline in Campi Bisenzio.
Die Fabrik bei Florenz, die Achswellen für Fiat herstellte, sollte abgewickelt und geschlossen werden. Doch die Arbeiter:innen wollen für nachfolgende Generationen Arbeitsplätze und somit die Fabrik erhalten, in der schon ihre Großväter gearbeitet haben. Deshalb haben sie das Fabrikkollektiv gegründet und halten in der Fabrik seit zwei Jahren eine ständige Betriebsversammlung ab.
»Insorgiamo« – Lasst uns aufstehen! – ist zu ihrer Parole geworden, die Partisanen riefen sie einst im Kampf gegen die Nazis und zur Befreiung von Florenz am 11.August 1944. Den zweijährigen Widerstand gegen die Schließung haben die Arbeiter:innen am 8.Juli 2023 mit einem großen Fest vor den Toren der Fabrik gefeiert.
Zum Fest kamen viele Vertreter:innen verschiedener sozialer Bewegungen und der italienischen Klimagerechtigkeitsbewegung, die den Widerstand des Collettivo di Fabbrica unterstützen. Darunter auch eine 45köpfige Solidaritätsgruppe aus Deutschland und der Schweiz, die sich spontan aus Leuten unterschiedlicher Gruppen der Klimagerechtigkeitsbewegung, aus politischen Vereinigungen und aus Gewerkschaften zusammengefunden hat. Vor dem Fest sind die Gruppen zu einem Austausch und in verschiedenen Workshops zur Verkehrs- und Energiewende, aber auch gegen faschistische und rechtsextreme Entwicklungen in Europa zusammengekommen.
»Das Collettivo di Fabbrica ist ein Vorzeigebeispiel dafür, Gruppen und Menschen zusammenzubringen. Hier ist etwas im Entstehen, also wollten wir kommen, um zu unterstützen und zu sehen, was passiert, und um aus den Widersprüchen, den Schwierigkeiten, die es vielleicht gibt, zu lernen«, sagt Esteban Servat von Debt for Climate.
»Wir sehen diesen gefährlichen Trend der Spaltung und Feindschaft zwischen den Arbeiter:innen und den Klimaaktivist:innen. Faschistische Führer machen Klimaaktivisten zu Sündenböcken und beschuldigen sie, den Fortschritt zu blockieren«, sorgt sich Esteben Servat, der 2019 nach Deutschland fliehen musste, weil er in Argentinien gegen Fracking protestierte und Repressionen fürchtete.
Arbeit und Klima verbinden
»Ich fand das Treffen mit der italienischen Klimabewegung total spannend und hoffe, dass wir es schaffen, auch über die Kampagne #WirFahrenZusammen diese Climate-Labour-Turn-Strategieausrichtung stärker zu verankern«, sagt Franziska Heinisch. Die Aktivistin engagiert sich seit 2020 für die Kampagne »Wir fahren zusammen«, bei der der Schulterschluss zwischen Beschäftigten im öffentlichen Personennahverkehr und der Klimagerechtigkeitsbewegung zentral ist. Sie hat bereits im Frühjahr 2023 Veranstaltungen mit Vertretern des Fabrikkollektivs in Deutschland organisiert.
Auch das Crowdfunding des Unterstützervereins SOMS Insorgiamo für das Fabrikkolletiv endete mehr als erfolgreich. Mit über 170000 Euro hat er das Ziel um mehr als 200 Prozent übererfüllt. Mit dem Geld sollen die Arbeiter:innen finanziell unterstützt werden, die seit November 2022 keinen Lohn und keine sozialen Leistungen erhalten haben. Vor allem soll damit die erste finanzielle Grundlage für die Gründung der Genossenschaft geschaffen werden, die später die Konversion durchführt, die neue Produktion von Lastenrädern und Fotovoltaikmodulen aufbaut und künftig die Fabrik leiten soll.
»Wir müssen unseren Plan in einer sehr schwierigen Situation umsetzen. Es ist jedenfalls nicht einfach zu planen, was im nächsten Jahr zu tun ist, wenn man daran denken muss, wie man am nächsten Tag im Supermarkt einkaufen gehen soll, wenn man kein Geld hat«, erklärt Dario in einem sorgenvollen Ton. Denn diesen finanziellen Druck baut GKN-Eigentümer Francesco Borgomeo gezielt als einen Teil seiner Zermürbungsstrategie auf. Er übernahm im Dezember 2021 von dem britischen Private-Equity-Fonds Melrose Industries den Autozuliefererbetrieb und versprach neue Investoren für den Weiterbetrieb zu finden.
Doch über Monate geschah außer runden Tischen und Gesprächen mit Betriebsräten, Gewerkschaften und lokaler Politik nichts. »Im Sommer 2022 wurde dann klar, dass der Eigentümer keinen Geschäftsplan hatte und keinen Investor. Seine Aufgabe war es nur, uns langsam sterben zu lassen«, beschreibt Dario die Lage vor einem Jahr. In der Zwischenzeit haben sie mit wissenschaftlichen Beiräten einen Plan für eine nachhaltige Produktion von Lastenrädern und Fotovoltaikmodulen ausgearbeitet.
Dann stellte Borgomeo im November die Zahlung des Kurzarbeitergelds ein, das sie bis dahin erhalten hatten. Eine weitere Zermürbungstaktik. Deshalb haben Arbeiter des Fabrikkollektivs in Florenz Ende Juni den Turm des historischen Stadttors San Niccolò besetzt, um gegen dieses »Aushungern« zu protestieren und die lokale Politik dazu zu bewegen, sich für die Fortsetzung des Kurzarbeitergeldes einzusetzen.
Die Rolle der italienischen Gewerkschaften
Unterstützt wurden sie während der Turmbesetzung von dem nahegelegenen Circolo San Niccolò, einem von Arbeiter:innen, antifaschistischen und linken Gruppen betriebenes Lokal, wo nach Feierabend gemeinsam getrunken und gegessen, diskutiert wird und Veranstaltungen stattfinden.
Von dort hat zum Beispiel Antonella Bundu, linke Stadträtin in Florenz, die Streikenden mit Essen und Getränken versorgt. Sie setzt sich seit Beginn der ständigen Betriebsversammlung für das Fabrikkollektiv ein. »Ich glaube, das Fabrikkollektiv ist nicht nur bahnbrechend für Florenz, nicht nur für die Region, auch nicht nur für Italien. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es die längste ständige Versammlung in einer Fabrik, die es gegeben hat, und sie haben jedes einzelne Gerichtsverfahren gewonnen«, so die Stadträtin.
Am 6.Juli kommt es zur Einigung und sie erhalten wieder ein wenig Geld – »viel zu wenig«, sagt Dario. Formal werden sie auch von einer der größten Gewerkschaften, der Metallarbeitergewerkschaft FIOM unterstützt, in der GKN-Arbeiter:innen organisiert sind. Die FIOM hat sie bei den Kündigungsschutzklagen vertreten.
Dario ist selbst in der FIOM organisiert und wurde 2017 Betriebsrat bei GKN. Den starken Zusammenhalt unter den Arbeiter:innen und später im Fabrikkollektiv erklärt er mit dem tiefen und gewachsenen Vertrauen seitens der Belegschaften in die Betriebsräte. Bereits Jahre bevor Melrose GKN 2017 übernommen hat, haben sie auf verschiedenen Wegen versucht, die Arbeit zu demokratisieren. Mit der Übernahme sahen sie sich gezwungen, ihre Prozesse zu beschleunigen, und gründeten das Fabrikkollektiv.
Bereits 2019 haben sie sich als Betriebsräte und Fabrikkollektiv gegen den Verkauf von 30 Prozent des Produktionsvolumens nach Spanien erfolgreich zur Wehr gesetzt, sodass die Entscheidung zurückgenommen wurde. Das Fabrikkollektiv hat »auf diese Weise den Boden für das vorbereitet, was im Juli 2021 geschah«, erzählt Dario. Heute gehören alle dem Kollektiv an. »Ich denke, das Collettivo di Fabbrica hat viele Betriebsräte und Vertrauensleute inspiriert«, ergänzt Dario.
Von den Gewerkschaften gebe es keine aktive Sympathie, dafür aber viel Unterstützung von sozialen Bewegungen und aus der Klimagerechtigkeitsbewegung. Im September 2021 hat das Fabrikkollektiv das Klimacamp in Mailand besucht.
Die Arbeiter:innen wollen nicht weiter Achswellen für den Automobilhersteller Fiat produzieren, sondern nachhaltige Produkte, die dem Gemeinwohl, dem Klimaschutz und zukünftigen Generationen dienen. Sie haben ihren Kampf durch den Schulterschluss mit der Klimabewegung auf eine breitere Basis gestellt und bei einer Demo in Florenz im März 2022 mit mehr als 30000 Menschen gemeinsam auf die Straße gebracht.
»Gewinnen können wir nur gemeinsam«
Aktive Solidarität bedeutet für das Kollektiv, am Jahrestag nachmittags die Arbeiter der Basisgewerkschaft SI Cobas bei ihrem Streik im Möbelhaus Mondo Convenienza vor Ort in Campi Bisenzio zu unterstützen.
Gemeinsam mit den verschiedenen Gruppen, die zur Feier angereist sind, verbünden sie sich mit den Arbeiter:innen und demonstrieren im Möbelhaus – an einem Samstagnachmittag während der besten Verkaufszeit. Die Arbeitenden im Möbelhaus sind Migrant:innen, für die Solidarität bei der Durchsetzung ihrer Forderungen ein entscheidender Faktor ist. Das Kollektiv nennt das Mutualismus. Der Begriff lässt sich mit Gegenseitigkeit übersetzen und bedeutet so viel wie: Euer Kampf ist auch unserer, es gibt nur einen Kampf, wir können nur gemeinsam gewinnen. Damit schließt das Kollektiv an die Carovana dei Mutualismo an – der Karawane der Gegenseitigkeit, die derzeit an vielen Orten in Italien aktiv ist.
Auch der Schulterschluss von Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr und der Klimabewegung in Deutschland berge viel Potenzial, glaubt Franziska von der Kampagne »Wir fahren zusammen«. Das Fabrikkollektiv zeige, was Klimabewegung und Belegschaften gemeinsam erreichen könnten.
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