Über die Hintergründe des Ukrainekriegs und seine Folgen
von Albrecht Kieser
Kriegsfolgen. Wie der Kampf um die Ukraine die Welt verändert. Hrsg. von Hannes Hofbauer und Stefan Kraft. Wien: Promedia, 2023. 255 S., 23 Euro
Wer künftig über den Ukrainekrieg und seine Folgen mitreden will, muss dieses Buch gelesen haben. Es ist eine Pflichtlektüre zumindest für Menschen, die sich aus der kurzatmigen Betrachtungsweise lösen wollen, von der aus diese Schlächterei gemeinhin beurteilt wird.
Auf 255 Seiten analysieren siebzehn Texte von sechzehn Autorinnen und Autoren (Hofbauer hat zwei Artikel beigesteuert) den Krieg aus der einzig sinnhaften Perspektive, der historischen. Deutlich wird so: Es ist wesentlich erkenntnisfördernder, das Morden nicht im nachempfundenen oder tatsächlich erlebten Kugelhagel verstehen zu wollen, sondern sich ihm durch Einordnung in das politische Weltgeschehen der letzten zwanzig oder dreißig Jahre zu nähern. Der Krieg verliert dadurch nichts von seinem Grauen, das grausige Ausmaß des staatlich ebenso befehligten wie erlaubten Mordens und seine Folgen werden im Gegenteil so erst wirklich sichtbar.
Der Ukrainekrieg, so die wesentliche Erkenntnisse der Texte, ist nicht auf Kurzschlusshandlungen durchgeknallter Ostdespoten zurückzuführen und nicht auf überhastete Doppelwummse von Westpolitikern, die der Eskalation hinterherlaufen. Dieser Krieg wird um die Zukunft oder vielleicht auch das Ende des Planeten Erde geführt, so wie es sich schon in den Kriegen im Nahen Osten und auf dem Balkan angedeutet hat.
Des Pudels Kern
Weit entfernt von einer Rechtfertigung des Angriffs der russischen Armee auf die Ukraine arbeitet das Buch heraus, worum es eigentlich geht: Das Ende des Sowjetreichs katapultierte die USA in den Status des Alleinherrschers über die Geschicke der Erde. Die stärkste Wirtschaftsmacht und mehr noch die stärkste Militärmacht hatte keine ernst zu nehmenden Gegner mehr. Die führenden strategischen Köpfe der USA schworen das politische System in jenen Jahren darauf ein, dass das so bleiben und dass jedes Emporkommen eines irgendwann womöglich gleichberechtigten Konkurrenten unterbunden werden müsse.
Nur war dadurch die Geschichte nicht aufzuhalten, deren Ende damals bereits großspurig verkündet wurde. Die Menschheit erlebte im Gegenteil eine die unipolare Welt erschütternde ökonomische Entwicklung von Staaten wie Südafrika, Brasilien, Indien und natürlich in erster Linie China. Und auch Russland erholte sich ökonomisch. Die vorliegenden Texten verfolgen entlang markanter Messgrößen und in guter Tradition der »Kritik der politischen Ökonomie« den wirtschaftlichen Kräfteschwund der USA ebenso wie das Erstarken der anderen Mächte. Wobei Russland entgegen den Weissagungen Annalenas und westlicher Analysten durch den laufenden Wirtschaftskrieg nicht zu Tode boykottiert werden konnte, sondern weniger geschunden daraus hervorzugehen scheint als beispielsweise die EU.
Damit wird der Wahnsinn dieses Krieges zum Wahnsinn der Supermacht USA und in ihrem Schlepptau der EU, die darauf hofften oder vielleicht sogar noch immer hoffen, dem Emporkömmling Russland in der Ukraine sein Waterloo, sein Vietnam oder sein zweites Afghanistan zu bescheren. Dies Kalkül scheint fehlzugehen, wie z.B. die Mitte Juli hässlich geplatzte Blase einer von Brüssel erhofften neuen EU-Dominanz über Südamerika [das Gipfeltreffen der EU mit den lateinamerikanischen Staaten, Celac] zeigte. Der Rest der Welt will sich nicht mehr von der westlichen Menschenrechtsheuchelei beglücken und dann nach der bekannten neokolonialen Art weiter ausbeuten lassen. Nicht dass es Russland oder China altruistisch meinen, wenn sie in aller Welt investieren. Aber wenn sich die multipolare Welt durchsetzt, haben der globale Süden und die BRICS-Staaten zumindest die Option, drei verschiedene Großmächte gegeneinander auszuspielen.
Dies mit Zähnen und Klauen, mit Streubomben und mit 4000 Seiten neuer NATO-Strategie (wie in Vilnius verabschiedet) verhindern zu wollen, macht Angst, weil derartige Eskalationen den Planeten schneller verbrennen können als die Klimakatastrophe. Linke Politik, so eine sicher zutreffende Quintessenz des Buches, muss sich aus diesem manischen Irrsinn verabschieden und sich der Verteidigung der (unipolaren) Welt, wie sie war, entschieden verweigern.
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