Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2023

BR-Mobbing bei ProMinent. Beschäftigte berichten
dokumentiert

Fünf Betriebsräte sind bereits weg, sieben weitere stehen auf der Abschussliste. So mobbt der Heidelberger Dosierpumpenhersteller ProMinent Betriebsräte. Besonders brisant: Miteigentümer ist Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA). »Ihr könnt helfen: Unterschreibt den Brief von Wallraff an Arbeitsminister Heil«, heißt es auf dem Aktivenportal der IG Metall, auf dem die Originalversion dieses Artikels erschienen ist.

Fünf Betriebsräte sind bereits raus bei ProMinent in Heidelberg. Drei hielten es nicht mehr aus und unterschrieben einen Abfindungsvertrag. Zwei, darunter der frühere Betriebsratsvorsitzende, wurden gekündigt und vor die Tür gesetzt – obwohl das Arbeitsgericht die Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden für nicht rechtens erklärt hat. Sein Nachfolger und dessen Stellvertreter traten nach gerade mal zwei Monaten zurück. Zwei Monate später gab der nächste Betriebsratsvorsitzende auf. Beschäftigte und Betriebsräte berichten von Drohungen, Abmahnungen und Abfindungsangeboten.
Rainer Dulger, dem Präsidenten der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), gehören 48 Prozent des weltweit operierenden Konzerns. Er hält sich raus – obwohl auch er Millionen an ProMinent verdient. Der Boss bei ProMinent ist sein Bruder, Andreas Dulger. Er greift rabiat durch, in »Wildwestmanier«, kritisiert Mirko Geiger, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Heidelberg. »Wer nicht spurt, dessen entledigt man sich.«
Warum mobben die Geschäftsführer Andreas Dulger und Benedikt Nagel ihre Betriebsräte weg? Damit sie durchdrücken können, was sie wollen. Das haben sie in den letzten Jahren bereits klar demonstriert. Das berichteten uns Beschäftigte und Betriebsräte, die aus Angst vor Repressalien anonym bleiben wollen:
– Die Löhne sinken, etwa indem neu eingestellte Beschäftigte niedriger eingruppiert oder gar nicht mehr nach Tarif bezahlt werden.
– Produkte werden billig ausgegliedert oder verlagert.
– Der Arbeitsschutz wird missachtet, wie bei dem Corona-Ausbruch im Service Center Ende 2021. Ende 2021 erkrankten zahlreiche Beschäftigte im neuen Service Center an Corona, weil der Arbeitgeber sie in viel zu engen Büros arbeiten ließ. Der Betriebsrat machte öffentlich Druck.
Zugleich beobachten Beschäftigte, dass immer wieder Produkte wegverlagert werden. »Die Pumpe Evo15 wird in China um 40 Prozent kostengünstiger produziert als der Vorgänger in Heidelberg, dank der tollen deutsch-chinesischen Zusammenarbeit.« Diese Jubelmeldung erschien Anfang 2021 im Intranet. ProMinent hat schon seit vielen Jahren weltweit Standorte – auch im chinesischen Daylan. Doch was und wie viel ProMinent dort produziert, wissen die Heidelberger Beschäftigten nicht. Auch die Betriebsräte im Wirtschaftsausschuss bekommen keinerlei Zahlen.
Ständig wechseln die Führungskräfte. Es gab fünf Personalleiter in den letzten acht Jahren.
Und immer wieder kommen neue Unternehmensberater, krempeln die Arbeitsprozesse um, ohne mit den Beschäftigten zu sprechen, ziehen wieder ab und hinterlassen Chaos und Stress. Der Betriebsrat hat immerhin erreicht, dass einige Änderungen wieder rückgängig gemacht wurden.

»Grausamkeiten bestimmen den Erfolg«
Jetzt ist die nächste Unternehmensberatung da. Die Leonardo Group setzt auf Konzepte des US-Managers Jack Welch (Spitzname »Neutronen-Jack« in Analogie zu einer Neutronenbombe): Komplettumbau des Unternehmens; Outsourcing und Verkauf von Unternehmensteilen; »Low Performer« feuern. Leonardos Motto: »Grausamkeiten bestimmen den Erfolg«.
Das Resultat: Beschäftigte haben Angst, ihre Ideen oder Kritik zu äußern. Die Beurteilungen in Arbeitgeberbewertungsportalen wie »Kununu« sind meist verheerend: intransparent, von oben nach unten, unglaubliche Fluktuation, Unmut, Angst.
Für die Geschäftsführung läuft das Geschäft jedoch offenbar glänzend. Das zeigen die Bilanzberichte der letzten Jahre. In Gesprächen nannte Andreas Dulger 70 Millionen Euro Reingewinn im Jahr 2022. Andreas und auch Bruder Rainer Dulger genehmigen sich jedes Jahr mehrere Millionen von den Gewinnen.
Ja – die Geschäftsführung gönnt auch der Belegschaft was: Die vollen 3000 Euro netto Inflationsausgleichsprämie wurden an einem Stück Anfang 2023 ausgezahlt. (Der Metall-Flächentarif sieht die Zahlung der zweiten Hälfte in Höhe von 1500 Euro erst Anfang 2024 vor.) Und über mehrere Monate hinweg gab es kostenloses Kantinenessen – vom Arbeitgeber bezahlt.
Damit wird aber auch die Belegschaft ruhiggestellt und abgelenkt, warnen kritische Beschäftigte. Zwar ist ProMinent im Metall-Tarif – und hält sich auch daran, aber nur im Hauptbetrieb. Auf der Straßenseite gegenüber bei der 2013 ausgegründeten Vertriebsgesellschaft gilt kein Tarif. Unter den rund 100 Beschäftigten sind immer mehr neu eingestellte, die weit unter Tarif bezahlt werden. Einige haben nur halb so viel Geld wie ihre dienstälteren Kolleg:innen an ihrer Seite. Und die Geschäftsführung drohte auch damit, mit dem Hauptbetrieb ebenfalls aus dem Tarif auszusteigen.
Ausstieg aus dem Tarif, Verlagerungen, ständige Wechsel, Angst. So nicht, sagten die Betriebsräte – und mischten sich ein, drohten mit Klagen und setzten sich durch.
Das passt der Geschäftsführung nicht. Vor rund sieben Jahren stellte Andreas Dulger den Geschäftsführer Benedikt Nagel ein, der zuvor als Anwalt bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Hogan Lovells arbeitete. Hogan Lovells ist als »Union Buster« (Gewerkschaftsvernichter) bekannt und hat bereits in vielen Betrieben im Organisationsbereich der IG Metall die Bekämpfung von Betriebsräten betrieben.
Der Ton gegenüber den Betriebsräten bei ProMinent verschärfte sich: Die »Loser« kosten zu viel. Dafür werde man der Belegschaft die kostenlosen Parkplätze und die Klimaanlagen wegnehmen. Und der Betriebsrat ist dann schuld.

Betriebsräte auf »Abschussliste«
Andreas Dulger sprach offen darüber, wen im Betriebsrat er auf seiner »Abschussliste« hat.
Zunächst wurden Betriebsräte zu Aufhebungsverträgen mit Abfindung bewegt. Dem Betriebsratsvorsitzenden bot der Geschäftsführer väterlich vom Autotelefon aus an, ihm ein Restaurant auf Mallorca zu kaufen, wenn er geht.
Anfang 2022 trat dann eine neue vom Arbeitgeber unterstützte Liste unter dem Namen »Pro ProMinent« zur Betriebsratswahl an. Vorgesetzte übten vor der Wahl Druck aus.  »Pro ProMinent« gewann mit sechs Stimmen Vorsprung. Und sofort kündigte die Geschäftsleitung dem bisherigen Betriebsratsvorsitzenden. Vorwand war ein Facebook-Post gegen Union Busting.
Doch das ging anscheinend auch den neu gewählten Betriebsräten von »Pro ProMinent« zu weit. Der Betriebsrat stimmte einstimmig gegen die Kündigung. Doch die Geschäftsführung machte unablässig Druck, schrieb den neuen Betriebsrat wiederholt an. Nach nur zwei Monaten traten der neue Betriebsratsvorsitzende und sein Stellvertreter schon wieder zurück – und neue wurden gewählt.
»Mit dem neuen Betriebsratsvorsitzenden sind wir eigentlich sehr schnell ins Gespräch gekommen«, berichtet der Heidelberger IG-Metall-Bevollmächtigte Mirko Geiger. »Wir haben Linien der Zusammenarbeit vereinbart – und auch, dass es keine Kündigung des früheren Betriebsratsvorsitzenden geben darf.«

Geschäftsführung missachtet Gerichtsurteil
Nach ein paar Wochen war der neue Betriebsratsvorsitzende dann im Urlaub – die Zustimmung zur Kündigung des ehemaligen Vorsitzenden erfolgte in seiner Abwesenheit knapp mit 6 zu 5 Stimmen. Zwei Wochen später trat auch der zweite neue Betriebsratsvorsitzende innerhalb von nur vier Monaten nach der Betriebsratswahl zurück.
Der frühere Betriebsratsvorsitzende ging gegen seine Kündigung vor Gericht – und gewann. Die Kündigung ist unwirksam, stellte das Arbeitsgericht fest. Aber der Geschäftsführung ist das egal. Sie weigert sich bis heute, eine Wiedereingliederungsvereinbarung zu unterzeichnen – und erhält das Hausverbot gegen ihn aufrecht. Der ehemalige Betriebsratsvorsitzende kam trotzdem für ein paar Wochen in den Betrieb, wo er in einem Glaskasten unter Beobachtung stand und sich bei der Geschäftsleitung an- und abmelden musste.
Als ihn seine Kolleginnen und Kollegen im Betriebsrat vor sieben Jahren zum Vorsitzenden wählten, wollte der Wirtschaftsingenieur und Verfahrensingenieur zuerst gar nicht. Er wollte eigentlich weiter seine Projekte machen, vor allem in Süd- und Mittelamerika, wo er auch einen speziellen Draht zu den Menschen vor Ort hatte. Für den Betriebsrat kandidierte er, weil er als aktiver Metaller mehr soziale Gerechtigkeit im Betrieb erreichen wollte. Dafür haben sie ihn fertiggemacht.
Auch auf die anderen kritischen Betriebsratsmitglieder übt die Geschäftsführung weiter Druck aus. Sie bekommen Ermahnungen und Abmahnungen. Sie müssen detailliert darlegen, welche Arbeit sie im Betriebsrat machen – für die Zeit im Betriebsrat wird ihnen Lohn abgezogen. Ihnen wird gesagt, man werde ihnen »das Leben zur Hölle machen«, wenn sie nicht gehen.
Fünf Betriebsratsmitglieder sind bereits raus bei ProMinent, sieben weitere stehen noch auf der Abschussliste.

Der offene Brief von Günter Wallraff kann hier unterschrieben werden: www.netigate.se/ra/s.aspx?s=1151263X385586598X71018/. Wir danken der IG Metall für die Nachdruckgenehmigung.

Anmerkung der Redaktion
Obwohl der Artikel einen anderen Eindruck erweckt, lässt die Unterstützung der vom Bossing betroffenen Kolleg:innen durch die Heidelberger IG Metall nach Aussagen einiger ProMinent-Beschäftigter die notwendige Konsequenz und Konfliktbereitschaft vermissen.

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