Für eine radikale Schuldenstreichung
Gespräch mit Sunny Morgan von Debt for Climate
Der südafrikanische Klimaaktivist Sunny Morgan ist einer der Mitbegründer der weltweiten Debt-for-Climate-Bewegung, die sich im Rahmen der Klimadebatte für eine radikale Schuldenstreichung im globalen Süden einsetzt. Mit ihm sprach Eva Hengstermann
Was hat dich dazu bewogen, bei Debt for Climate aktiv zu werden?
Als einer der Gründer war ich von Anfang an dabei. Die Idee der Schuldenstreichung ist nicht neu. Innovativ an Debt for Climate ist: Wir wollen die verschiedenen Krisen verbinden, gemeinsam zur Sprache bringen, vor allem die Schulden- und die Klimakrise. Auch andere Gründungsmitglieder kommen aus Ländern, die wie Südafrika stark von der Ausbeutung durch Schulden und durch fossile Brennstoffunternehmen betroffen sind. Die Verbindung war also leicht herzustellen.
Unsere Forderung ist radikal: Wenn die Schuldenstreichung erfolgreich ist, werden fossile Brennstoffe im Wert von Billionen Dollar im Boden bleiben und uns ein selbstbestimmter Ausstieg aus fossilen Brennstoffen ermöglicht. Das wäre ein großer Schritt in Richtung wahrhafter Klimaschutz.
Für viele Aktivist:innen hierzulande liegt die Verbindung dieser beiden Kämpfe nicht auf der Hand. Konkret: Was hat die Klimakrise mit Schulden zu tun?
Die Länder des globalen Südens sind bei der Weltbank, dem IWF und privaten Kreditgebern wie BlackRock hoch verschuldet. Sie stehen unter enormem Druck, Finanzmittel zu finden, um Zinsen und Zinseszinsen zu zahlen.
Die Art und Weise, wie sich diese Länder die Dollars beschaffen, die sie benötigen, um die Gläubiger zu bezahlen, besteht unter anderem in der Extraktion fossiler Ressourcen. Das wird von den Gläubigerinstitutionen auch oft explizit verlangt! Die verschuldeten Länder geben einen großen Teil ihrer Einnahmen für Zinszahlungen aus, obwohl staatliche Ausgaben an anderer Stelle sinnvoller wären: etwa, um die Resilienz zu erhöhen und Maßnahmen zur Eindämmung und Anpassung an die Klimakrise zu ergreifen. Stattdessen müssen sie aufgrund der Schuldenlast auf diese lebenswichtigen Maßnahmen verzichten.
Welches Potenzial siehst du darin, Schulden stärker in den Klimadiskurs einzubringen?
Es ist eine Ungerechtigkeit, dass diejenigen, die am wenigsten für die Klimakrise verantwortlich sind, die meisten ihrer schädlichen Auswirkungen zu tragen haben.
Diese Ungerechtigkeit wird noch dadurch verschärft, dass diese Länder keine Gegenmaßnahmen ergreifen können, weil sie es sich einfach nicht leisten können. Erstens wegen der Schuldenlast und zweitens, weil die reichen Länder des globalen Nordens nicht die Verantwortung dafür übernehmen wollen, die Klimakrise verursacht zu haben. Eines der mächtigsten Instrumente, den fossilen Extraktivismus weiter zu betreiben, ist die Verschuldung. Solange die Länder des globalen Südens in der Schuldenfalle sitzen, können sie es sich einfach nicht leisten, die fossilen Ressourcen unangetastet zu lassen. Wenn wir Klimagerechtigkeit verwirklichen wollen, müssen wir uns mit den treibenden Kräften der Klimakrise befassen, sonst bekämpfen wir nur die Symptome statt der Ursachen.
Ihr seid in mehr als 30 Ländern in Lateinamerika, Afrika, Europa, Nordamerika und Asien aktiv. Was ist die strategische Stärke eines solchen international vernetzten Bündnisses?
In der Masse liegt die Stärke! Wir müssen unsere Basis noch weiter ausbauen. Um Einfluss auszuüben, müssen wir eine Dynamik entwickeln, unsere Botschaften in der Gesellschaft verankern und die Solidarität unter zivilgesellschaftlichen Organisationen stärken. Das können wir nur erreichen, wenn wir viele sind und unsere Muskeln mit globaler Unterstützung spielen lassen.
Aber am wichtigsten ist, dass wir einen konkreten Vorschlag machen, hinter dem sich Bewegungen aus dem globalen Norden und Süden in Solidarität vereinen können. So können wir die jeweiligen Stärken nutzen: Im globalen Norden befinden sich die mächtigen Akteure der Schuldeninfrastruktur.
Neben der räumlichen Nähe verfügt die Bewegung im globalen Norden auch über gewisse Privilegien. Auf der anderen Seite stehen die erfahrenen Bewegungen im globalen Süden, die seit Jahrhunderten widerständig sind und über Betroffenheitserfahrungen mit den Gläubigern und multinationalen Konzernen verfügen.
Wie schafft ihr es, über so große Entfernungen vernetzt zu bleiben, und gelingt es euch überhaupt, dem Anspruch gerecht zu werden?
Wir haben das Glück, dass uns die sozialen Medien und die digitale Vernetzung helfen. Bei unseren Treffen versuchen wir, so viele diverse Stimmen wie möglich einzubeziehen. Das fängt bei den Sprachen an: Wir bieten Übersetzungsdienste für unsere Sitzungen an, um sicherzustellen, dass die Menschen in ihrer Muttersprache sprechen und zuhören können. Viele von uns haben sich noch nie persönlich getroffen, aber wir mobilisieren regelmäßig eine große Anzahl von Menschen zu unseren Treffen und Aktionen.
Im globalen Süden wird der Kampf gegen die Verschuldung schon seit Jahrzehnten als antikolonialer Kampf geführt. Welche Rolle spielen Aktivist:innen aus dem globalen Norden in dieser Bewegung?
Die Aktivist:innen aus dem globalen Norden müssen zunächst einmal akzeptieren, dass ihre Länder für die Klimakrise verantwortlich sind, dass sie vom Kolonialismus und von der Sklaverei profitiert haben. Dieses zentrale Eingeständnis ist die Grundlage für unsere Arbeit. Wenn sie diese Realität akzeptieren, dann wird es erst möglich, effektiv zu arbeiten. Erst dann können sie die Motivation, die Verpflichtung und die Verantwortung aufbringen, die Ungerechtigkeiten zu bekämpfen.
Unsere Bewegung kann nicht wirksam sein, solange diese Fakten geleugnet werden, aber sie kann auch nicht ohne Verbündete und Aktivist:innen im globalen Norden ihre Arbeit machen. Diese Aktivist:innen haben Privilegien, Nähe zur Macht und Ressourcen, die wir sehr effektiv nutzen können, um die Ungerechtigkeiten im globalen Süden zu bekämpfen und die doppelte Auswirkung der Klima- und Schuldenkrise anzugehen.
Welche Aktionen plant ihr als nächstes?
Wir rufen zu globalen Aktionen vom 12. bis 15.Oktober auf, um auf die Verbindung von Schulden- und Klimakrise aufmerksam zu machen. Diesen Zeitraum haben wir zum einen gewählt, weil dann die Weltbank und der IWF in Marrakesch tagen. Zum anderen sind sie für antikoloniale Kämpfe von großer Bedeutung: Der 12.Oktober ist der Internationale Tag des indigenen Widerstands, und der 15.Oktober ist der Gedenktag für die Ermordung von Thomas Sankara.
Auch in Deutschland sind dann Aktionen geplant. Deutschland hat die viertgrößte Stimmenmacht im IWF und in der Weltbank, spielt also eine wichtige Rolle in der globalen Schuldeninfrastruktur und verdankt sein sogenanntes Wirtschaftswunder selbst einem erheblichen Schuldenschnitt nach dem Zweiten Weltkrieg.
Thomas Sankara war der sozialistische Präsident von Burkina Faso, auf den ihr euch immer wieder bezieht. Was macht ihn heute noch aktuell?
Die Lehren von Thomas Sankara sind die zentrale Grundlage unserer Arbeit. Seine Ansichten, insbesondere über die Verschuldung und den Einfluss der globalen Eliten auf den globalen Süden, waren in der Tat revolutionär. Wenige Tage nachdem er in einer leidenschaftlichen Rede zu einer Einheitsfront gegen die Schulden aufrief, wurde er ermordet. Die herrschende Klasse fühlte sich durch ein befreites Afrika und einen befreiten globalen Süden offensichtlich bedroht.
Sankaras Botschaften sind heute so aktuell wie vor drei Jahrzehnten, denn die Ungerechtigkeiten bestehen ja weiter. Neben Thomas Sankara haben natürlich auch viele andere Aktivist:innen und Kämpfer:innen Opfer gebracht. Wir schulden es ihnen weiterzukämpfen, bis wir von der Schuldenlast befreit sind und bis wir das Knie brechen, das im Nacken des globalen Südens sitzt.
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