Welches Spiel treibt die Bundesregierung?
von Angela Klein
In der Ausgabe 35/2023 vom 28.August widmete der Spiegel der Sabotage gegen die Erdgaspipeline Nordstream 2 einen ausführlichen Bericht. Mehr als zwei Dutzend Journalist:innen des Spiegel und des ZDF hatten sechs Monate lang recherchiert, um herauszufinden, wer die Urheber des Anschlags sein könnten, den der deutsche Generalbundesanwalt als »verfassungsfeindliche Sabotage« qualifiziert hatte.
Die Ermittlungen führten das Team rund um die halbe Welt. Das Segelschiff Andromeda war Ausgangspunkt der Nachforschungen – dort waren zahlreiche Spuren des unterwassertauglichen Sprengstoffs Oktogen gefunden worden, mit dem eine Pipeline von Nordstream 2 und beide Pipelines von Nordstream 1 zerstört wurden. Der Bericht liest sich wie ein Krimi:
Die Andromeda sticht am 6.September von Warnemünde aus in See, tankt in Wiek im Norden Rügens, taucht zehn Tage später vor der Insel Christiansø, in dem dem Anschlagsort nächstgelegenen Hafen auf, unternimmt am 19.September einen Abstecher nach Kolberg in Polen und verlässt den Ort einen Tag später wieder. »Vermutlich sind Sprengladungen zu diesem Zeitpunkt bereits gelegt und mit Zeitzündern versehen worden«, so der Spiegel.
Das Kommando auf See bestand »wohl aus sechs Personen“, darunter Waleryj K., ein Soldat der 93.Mechanisierten Brigade der ukrainischen Armee, der sich beim Bootsverleih mit einem gefälschten rumänischen Pass auswies. An der A-Röhre von Nordstream 2 wurden zwei Sprengungen angebracht, die B-Röhre hingegen blieb gänzlich intakt, was darauf schließen lässt, dass sie irrtümlich verwechselt wurde.
Die Recherchen bestätigen voll und ganz einen Bericht der Washington Post vom 6.Juni 2023 (siehe SoZ 7-8/23), wonach »ein sechsköpfiges Team ukrainischer Spezialeinheiten beabsichtigte, das Erdgasprojekt zwischen Russland und Deutschland zu sabotieren«.
Nachdem der Spiegel nun so prominent mit der Geschichte herausgekommen ist, und es daraufhin auch kein Dementi gab, stellt sich nicht mehr die Frage, ob der Anschlag von der Ukraine aus verübt wurde, sondern nur, ob staatliche Stellen davon wussten. Dass Selenskyj selber von der Tat nicht unterrichtet worden war, hatte schon die Post berichtet, aber: »die Regierung Biden [erfuhr] von einem engen Verbündeten, dass das ukrainische Militär einen verdeckten Angriff auf das Unterwassernetz geplant hatte, bei dem ein kleines Team von Tauchern eingesetzt wurde, das direkt dem Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte unterstellt war«, so die Post, »Der Geheimdienstbericht basierte auf Informationen, die von einer Person in der Ukraine stammen«, außerdem, so die Post weiter, unterstanden »die Männer … dem Kommando des ukrainischen Oberbefehlshabers Walerij Saluschnyj«.
Der Bundesnachrichtendienst wurde im Juni 2022 vom niederländischen Geheimdienst vor dem Anschlag gewarnt. Er sollte angeblich während des NATO-Manövers Baltops 2022 in der Ostsee stattfinden – dies ging allerdings zu Ende, ohne dass etwas passiert war, woraufhin das Kanzleramt der Warnung keine weitere Beachtung mehr schenkte.
Der Spiegel-Bericht stößt bislang auf merkwürdiges Stillschweigen – so ziemlich im gesamten Blätterwald. Dabei ist die Sache hochbrisant. Wenn staatliche Stellen der Ukraine involviert waren, war es ein kriegerischer Akt der Ukraine gegen Deutschland. Daraufhin müsste die Bundesregierung umgehend jede Hilfestellung an die Ukraine einstellen und die Auslieferung der Täter sowie die Bestrafung der Verantwortlichen fordern. Das würde die Ukrainepolitik der Regierung auf den Kopf stellen.
Man könnte argumentieren, dass die Aktion sich gar nicht gegen Deutschland richtete, sondern es Russland unmöglich machen sollte, weiterhin mit Erdgaslieferungen an Deutschland Geld zu scheffeln. War die Militärführung aber mindestens indirekt involviert, zieht dieses Argument nicht mehr, denn sie musste sich zweifelsfrei über die Folgen des Sabotageakts im klaren sein. Es ist also begreiflich, dass die ukrainische Seite versucht, die Sache in Vergessenheit geraten zu lassen. Genau das kann die Bundesregierung ihr aber nicht erlauben, sollen die Ermittlungen des Generalbundesanwalts mehr sein als ein Feigenblättchen, was einer Beugung der Justiz gleichkäme. Sollte die ukrainische Seite aber glaubhaft darlegen, dass es sich um eine »private Initiative« handelte, dann dürfte sie auch kein Problem damit haben, sich förmlich davon zu distanzieren und die Täter auszuliefern.
Wenn die Bundesregierung darauf aber so schmallippig reagiert wie Frau Faeser, die »auf eine Anklage hofft«, dann setzt sie sich dem Verdacht aus, eher eine Kriegshandlung zu tolerieren als sich ihren politischen Konsequenzen zu stellen. Man wisse weit mehr, als öffentlich bekannt sei, zitiert das Magazin einen Spitzenbeamten. Doch man scheue den Weg eines Rechtshilfeersuchens, weil die deutschen Behörden dann offenbaren müssten, was sie wissen.
Auf diese Weise die Sache im Sand verlaufen zu lassen, grenzt bei dem Schaden, den die Sprengung der deutschen Wirtschaft und der deutschen Bevölkerung zugefügt hat, an Hochverrat.
Wir sollten den politisch Verantwortlichen nicht erlauben, billig davon zu kommen.
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