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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2023

Das Erdöl im Yasuní-Nationalpark bleibt im Boden
von Valeria Bajaña Bilbao

Am 20.August stoppte die Bevölkerung Ecuadors in einem historischen Referendum mit 59 Prozent die Ölförderung im Yasuní-Nationalpark. Zehn Jahre lang haben indigene Gemeinden und Naturschutzorganisationen einen intensiven Kampf darum geführt. Bis zu einem endgültigen Ende der Erdölförderung wird es aber noch ein langer Weg.

Trotz des klaren Ergebnisses äußerte sich Energieminister Fernando Santos Alvite skeptisch. Nur drei Tage nach dem Referendum teilte er mit, dass »die Regierung vorerst nicht an das Ergebnis des Referendums gebunden sein werde« – die Aussage sorgte für Aufruhr.
»Der Kommentar des Energieministers ist antidemokratisch. Hiermit versucht er sich gegen den Willen eines ganzen Landes zu stellen«, erklärte Paola Ortiz Jaramillo von Yasunidos Cuenca gegenüber den Lateinamerika Nachrichten.
Alvite stützt sich bei seiner Aussage auf Umfrageergebnisse in der Provinz, in der sich der Nationalpark befindet, hier hat die Mehrheit der Menschen für eine weitere Ölförderung gestimmt. Schon in einem Interview mit der Zeitschrift Primicias im Juni 2023 hatte er einen möglichen Erfolg der Ja-Kampagne als »ökonomischen Selbstmord« bezeichnet.
Alvites Warnung spiegelt die Ansichten der Regierung von Präsident Guillermo Lasso wider, die Ecuadors wirtschaftliche Stärke im Abbau von fossilen Brennstoffen und anderen Rohstoffvorkommen sieht.

Zehn Jahre
Seit 2013 ist der ITT-Block 43 Gegenstand von Spannungen zwischen der Regierung, der Erdölindustrie, den indigenen Gemeinden und Umweltorganisationen. Damals kündigte der ehemalige Präsident Rafael Correa an, Förderlizenzen an die Erdölindustrie zu vergeben, obwohl er sich verpflichtet hatte, diesen Nationalpark zu schützen. Als Reaktion auf Correas Entscheidung schlossen sich indigene Aktivist:innen, Feminist:innen und Umweltkollektive aus mehreren Provinzen Ecuadors zusammen und gründeten Yasunidos Cuenca.
Seit seiner Gründung hat das Kollektiv zusammen mit anderen Akteur:innen wie dem indigenen Dachverband CONAIE versucht, Unterschriften zu sammeln, um eine Abstimmung zu fordern, in der die Bevölkerung über die Zukunft des Yasuní entscheiden sollte.
Zehn Jahre und drei Regierungen später hat Yasunidos die Umsetzung des Volksentscheids erreicht. Doch der Kampf um den Schutz des Yasuní ist damit nicht beendet. Umweltaktivist:­innen leisten weiter wichtige Aufklärungsarbeit, vor allem durch Präsenz in sozialen Medien.
Der Kampf um den Yasuní hatte sich in den letzten Jahren etwas abgekühlt. Das Kollektiv musste darum kämpfen, das Interesse der Menschen für das Thema überhaupt wieder zurückzugewinnen. Paola zufolge ist der Kampf gegen Fake News die dringendste Arbeit. Das bestätigte Pedro Bermeo, Sprecher von Yasunidos, gegenüber dem Online-Medium GK: »Die Öl- und Bergbauindustrie sowie die gesamte Rohstoffbranche haben die Mainstreammedien genutzt, um zahlreiche Falschdarstellungen zu verbreiten.« Auch lokale Medien hätten vor allem die Positionen der Regierung und der Ölfirmen wiedergegeben, ohne die Sichtweise der Umweltschützer miteinzubeziehen.

Rückbau der Infrastruktur
Am 24.August gab es eine offizielle Stellungnahme des Generalsekretariats für Kommunikation des Präsidenten (Segcom), in der betont wurde, dass die Exekutive sich an die Mehrheitsentscheidung der Bevölkerung halten werde. Jedoch gibt es auch andere Amtsträger und Personen aus dem Privatsektor, die dem Vorbild des Energieministers nacheifern und die Rechtmäßigkeit des Referendums in Zweifel ziehen.
Augusto Tandazo, Rechtsanwalt für Erdölrecht, hat sich der Herangehensweise von Alvites angeschlossen und suchte in einem Interview mit dem YouTube-Kanal Ingobernables nach einer Lücke in der Verfassung, um die Legitimität der Ergebnisse und die Abstimmung selbst in Frage zu stellen. »Es ist wichtig, dass wir uns darüber im klaren sind, was die Verfassung vorschreibt«, betont Ortiz. »Andernfalls könnten diese Personen versuchen, die begrenzten demokratischen Spielräume zu manipulieren, um ihre Interessen auf Kosten unserer Rechte durchzusetzen.«
Mit dem Ja für den Yasuní ist es jetzt die Aufgabe der Regierung, sich an die aus der Abstimmung resultierenden Verpflichtungen zu halten. Dazu zählt der Rückbau der gesamten ölfördernden Infrastruktur sowie die Wiederherstellung der Natur und die Entschädigung der indigenen Bevölkerung. »Wir werden eine Kommission bilden, um die Durchsetzung dieser Forderungen zu sichern«, versichert Paola. So sollen nationale, aber auch internationale Beobachter:innen die jetzige und zukünftige Regierung zur Verantwortung ziehen.

Quelle: Lateinamerika Nachrichten (LN), Nr.591/592, September/Oktober 2023

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