Marie Vieux-Chauvet: Der Tanz auf dem Vulkan. Aus dem Französischen von Nathalie Lemmens. München: Manesse, 2023. 496 S., 28 Euro
von Gerhard Klas
Die Autorin Marie Vieux-Chauvet ist 1973 gestorben und die bekannteste Schriftstellerin Haitis. Als sich François Duvalier 1957 zum Diktator aufschwang, bedeutete das für sie massive Einschränkungen. Schließlich musste sie ins US-amerikanische Exil fliehen und lebte bis zu ihrem Tod in New York. Der gerade erst ins Deutsche übersetzte Klassiker der modernen haitianischen Literatur porträtiert Saint Domingue mit seiner rassistisch-kolonialen Gesellschaft, die mit der Revolution der Sklaven 1804 zur Republik Haiti wurde.
In der offiziellen Geschichtsschreibung sind es vor allem männliche Helden, die damals den Sklavenaufstand in Saint Domingue angeführt haben. Im Roman von Marie Vieux-Chauvet spielen jedoch Frauen die Hauptrollen. Allen voran die junge Minette mit ihrer außergewöhnlichen Singstimme. Die rassistischen Gesetze stehen einer Karriere als Sängerin im Weg.
Der erste Auftritt Minettes im Theater von Port au Prince muss heimlich organisiert werden, weil sie keine Weiße ist. Aber mit ihrer Stimme weiß sie so sehr zu begeistern, dass auch ein Teil der Kolonialherrscher ihre Auftritte duldet. Anders als ihre weißen Kollegen erhält sie jedoch keinen Lohn. Aber sie beweist Verhandlungsgeschick: Als sie droht, nicht mehr aufzutreten, beschwört sie einen Skandal herauf und bezieht schließlich eine Gage. Und verliebt sich dann in einen affranchi, einen »Freigelassenen«, der nun selbst Plantagenbesitzer ist. Sie verbringt einige Liebesnächte mit ihm, muss aber erkennen, dass er nicht besser ist als die weißen Sklavenhalter.
Minette beendet die Liebesbeziehung und schließt sich einer Untergrundorganisation an. Die Autorin entwickelt die bemerkenswerte Geschichte von Minette auf der Grundlage einer historischen Abhandlung über das domingische Theater. Sie hat aus der wahren Geschichte dieser bemerkenswerten Frau einen großartigen, sprachgewaltigen Roman gemacht, der Konflikte und Ausbeutungsverhältnisse zur Sprache bringt, die auch heute noch aktuell sind.
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