Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2023

Einstürzende Brandmauern
von Gerhard Klas

Wer in letzten Wochen den Umgang der CDU mit der AfD verfolgt hat, kam aus dem Staunen nicht raus: Hatten da nicht vor kurzem noch prominente Parteimitglieder von einer Brandmauer gesprochen, die angeblich zwischen ihnen und der AfD existiere? Gab es dazu nicht sogar einen Parteitagsbeschluss? Nun, viele Mitglieder beider Parteien hatten schon immer gemeinsame Feindbilder: »Ausländer, Gender-Gaga, Klimahysterie«.

Ausgerechnet Thüringen mit seinem ultrarechten Höcke-Flügel wurde erneut zum Testballon: Mit Hilfe von AfD und FDP setzte die CDU Mitte September eine Senkung der Grunderwerbsteuer durch, nun sollen weitere Gesetze nach dem gleichen Muster den Landtag passieren. Nach Angaben der rot-rot-grünen Minderheitsregierung war das eine Inszenierung, denn auch sie hätte die Grunderwerbsteuer reformieren wollen und sei durchaus verhandlungsbereit gegenüber der CDU gewesen.
Die Minderheitsregierung soll mit Hilfe der AfD nun offensichtlich auch bei der Reform des Vergabegesetzes für öffentliche Aufträge unter Druck gesetzt werden. Der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Martin Henkel, forderte die Landesregierung zwar formal auf, aktiv an einem modernen Vergabegesetz mitzuarbeiten. Ein Vorschlag der CDU liegt jedoch schon auf dem Tisch. Henkel drohte bereits auf Instagram: »Die von uns durchgesetzte Senkung der Grunderwerbssteuer war nur der erste Schritt. Wir fordern von der Landesregierung weitere Maßnahmen für mehr Wachstum und Bürokratieabbau.« Die CDU dringt auf eine »Verschlankung sozialer und ökologischer« Kriterien – wohlwissend, dass sie damit den Markenkern der Minderheitsregierung in Thüringen angreift.
Bis auf wenige Ausnahmen wie den »Arbeitnehmerflügel« der CDU oder den Ministerpräsidenten in Schleswig-Holstein, Daniel Günther, hat die Partei kein Problem mit diesem Vorgehen. Der Vorsitzende der CDU-Grundwertekommission, Andreas Rödder, rechtfertigte am 16.September im Deutschlandfunk sogar die 2020er Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich mit Hilfe der AfD zum Ministerpräsidenten in Thüringen. Der Tabubruch hatte damals noch zu einem internationalen und bundesweiten Aufschrei geführt. Heute sagt Rödder ganz offen, der Rücktritt Kemmerichs sei ein Fehler gewesen. Dafür gab es etwas Kritik aus der Partei, aber niemand fordert deshalb seinen Ausschluss.
Anfang September fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit ein Treffen von CDU- und AfD-Politikern im hessischen Wetzlar statt. Titel der Veranstaltung, zu der 300 Teilnehmer kamen: »Vollversammlung der wahren Schwarmintelligenz«. Dabei waren Lebensschützer von der CDU, ehemalige Bild-Redakteure, zur AfD konvertierte CDUler und andere AfD-Politiker, der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt (CDU), Querdenker und der hessische CDU-Politiker Hans Jürgen Irmer, der zum rechten Berliner Kreis der CDU gehört und nicht zum ersten Mal solche Treffen mitorganisiert.
Inkognito hatte es dennoch ein Journalistin zum Geheimtreffen geschafft und berichtete für die FAZ. Als die Podiumsdiskussion beginnt, tritt der ehemalige Verfassungsschutzpräsident, Hans Georg Maaßen, auf und sagt, die Brandmauern müssten fallen: »Ohne AfD können wir nicht, es geht darum, wie wir mit ihnen können.«
Hier vollzieht sich eine Entwicklung, die in anderen Ländern und auf EU-Ebene längst Normalität geworden ist, etwa wenn die Kommissionspräsidentin von der Leyen zusammen mit der Faschistin Meloni aus Italien über die Abwehr von Geflüchteten berät. Auch in Deutschland bahnt sich eine Zusammenarbeit konservativer und rechtsextremer Kräfte an. Die einen schwadronieren von Leitkultur, die anderen von Nationalstolz. Dass jetzt auch Nancy Faeser oder Robert Habeck die Abwehr von Geflüchteten zum Top-Wahlkampfthema machen, ist Wasser auf die Mühlen der AfD und ihrer Freunde in der CDU. Auch in anderen Parteien bröckelt also die Brandmauer.

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