Die Arbeit von borderline-europe – Menschenrechte ohne Grenzen e.V.
von Judith Gleitze
borderline-europe leistet seit 2007 zivilen Widerstand gegen die europäische Migrations- und Grenzpolitik.
»Wir waren im Juni 2004 mit der Cap Anamur auf dem Mittelmeer unterwegs, als wir etwa hundert Meilen südlich von Lampedusa ein untergehendes Schlauchboot mit 37 Menschen an Bord antrafen. Natürlich haben wir diese Menschen, die wahrscheinlich eine halbe Stunde später ertrunken wären, gerettet und wollten sie in Italien an Land bringen. Das wurde uns jedoch zwei Wochen lang verwehrt.
Dann wurde die Situation an Bord so brenzlig, dass wir trotzdem nach Sizilien gefahren sind. Dort wurden wir dann eine Woche lang eingesperrt und es wurde Anklage gegen uns erhoben – wegen Beihilfe zur unerlaubten Einreise. Es folgte ein fünfjähriger Gerichtsprozess. Wir wollten sehen, was so alles an den Grenzen läuft. Ich selbst merkte, dass da etwas total unfair und ungerecht abläuft, wenn Menschen angeklagt werden, weil sie andere Menschen gerettet haben, und wenn ich Ungerechtigkeit spüre, werde ich total sauer und stur – und musste etwas
tun. So ist dann der Verein borderline-europe entstanden«, erzählt Kapitän Stefan Schmidt, einer der Gründungsmitglieder von borderline-europe.
Er wird in diesem Jahr nach jahrelangem Engagement als Flüchtlingsbeauftragter von Schleswig-Holstein verabschiedet – mit 81 Jahren. Die Kriminalisierung der Seenotrettung im Jahr 2004 hat ihn politisch geprägt und nicht mehr losgelassen.
borderline-europe ist natürlich nicht nur aufgrund des Prozesses gegen die Cap Anamur entstanden, der brutale Umgang mit tschetschenischen Geflüchteten in Polen und in Deutschland in der Mitte der 2000er Jahre hat ebenso dazu beigetragen wie die Situation an der südlichen EU-Außengrenze, z.B. in Italien – es musste etwas geschehen. »Wenn niemand hinschaut, bleiben Menschenrechte auf der Strecke«, formulierte es Volker Maria Hügel, Asylrechtsberater aus Münster und enger Mitstreiter.
Hinschauen…
Hinschauen, dokumentieren, veröffentlichen und unmittelbare Hilfe leisten. Das tun wir nun seit 16 Jahren in Deutschland, Italien und Griechenland, denn das Ziel der Politik ist auf gesamteuropäischer Ebene seit Jahren dasselbe: Abschottung. Deals mit der Türkei, Libyen, Tunesien, Ägypten sowie diversen zentral- und westafrikanischen Staaten werden von der EU ausgebaut, um Menschen bereits vor der Abreise nach Europa aufzuhalten. Die Aufrüstung der Grenzschutzagentur Frontex, der Bau von Mauern und Zäunen und der Einsatz von Waffen und Technologien zur Identifizierung, Überwachung und Abschreckung gehören zu den vielen Strategien, die Europa euphemistisch und zynisch zugleich unter dem Begriff »Migrationsmanagement« zusammenfasst.
Doch die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben immer wieder deutlich gemacht: Kein Vertrag, kein Lager, keine Gefängnisstrafen hindern Menschen daran zu flüchten und Schutz zu suchen. Die fatalen Maßnahmen führen lediglich zu mehr Tod und Leid.
Migration ist kein Verbrechen, wird jedoch in der öffentlichen Diskussion immer wieder als Bedrohung thematisiert. Zunehmend erleben wir ein politisches Klima, in welchem rassistische und diskriminierende Haltungen immer offener artikuliert werden und an gesellschaftlicher und politischer Zustimmung gewinnen.
…was geschieht
Wir von borderline-europe möchten nicht wegschauen. Wir sind ein Verein mit Sitz in Berlin und Außenstellen auf Sizilien und auf Lesbos, wir recherchieren und produzieren umfassende und zuverlässige Dokumentationen zu den Vorgängen in den Grenzregionen und informieren auf unserer Webseite und in den sozialen Medien über aktuelle Entwicklungen der EU-Migrationspolitik. Unsere Themen sind vor allem die Kriminalisierung von Geflüchteten, aber auch der Solidarität, vor allem in Italien und Griechenland; die Externalisierung der Grenzen und die soziopolitische und rechtliche Situation der Geflüchteten an der EU-Außengrenze. Unser Ziel ist es, die immer komplexer werdende Migrationspolitik und ihre Auswirkungen für eine breite Öffentlichkeit aufzubereiten.
Was geschieht in Italien, seit eine postfaschistische Regierung an der Macht ist und die Abschottung massiv vorantreibt? Wie laufen die Prozesse gegen sog. »boat driver«, die angeblich ein Flüchtlingsboot gesteuert haben, tatsächlich in Griechenland ab? Was bedeutet dies für die Betroffenen? Was können wir tun? Allein natürlich wenig, daher arbeiten wir mit (trans)nationalen, Netzwerken zusammen. Eines ist das von uns mitgegründete Alarm Phone, ein 24 Stunden am Tag besetztes Notruftelefon, um Geflüchtete auf See zu unterstützen.
Wir wollen mit unserer Arbeit ein aktives, politisches und kritisches Bewusstsein schaffen, das den rassistischen Strukturen und den tödlichen Konsequenzen der Abschottungspolitik entgegenwirken kann. Viele weitere Informationen finden sich auf unserer Homepage und unseren Social-Media-Kanälen.
Doch um weiterhin gegen das Sterben an den Außengrenzen vorzugehen benötigen wir Unterstützung, denn sonst können wir die aktuellen Zustände nicht mehr sichtbar machen! Widerstand ist möglich! Aktiv handeln, jetzt!
Und hier könnt ihr helfen, damit es uns auch weiterhin gibt:
borderline-europe e.V.
GLS Bank, Bochum
IBAN:DE11430609674005794100
BIC: GENODEM1GLS (Bochum)
Judith Gleitze arbeitet bei borderline Europe in der Geschäftsstelle Palermo.
www.borderline-europe.de/
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