Dem Dokumentationszentrum Emslandlager wird gekündigt
von Rolf Euler
In Esterwegen, Standort eines Konzentrationslagers während der NS-Herrschaft, gibt es eine Gedenkstätte zu den Moorlagern. Im Emsland wurden politische Häftlinge ab 1933, später auch Kriegsgefangene, unter unmenschlichen Bedingungen im Moor eingesetzt, gequält, oft gefoltert und ermordet.
Von den und für die Häftlinge gründete sich 1985 ein Komitee zur Unterstützung ihrer Erinnerungen, ihrer Erkenntnisse und auch zum Zwecke der Aufklärung über die Untaten der SS und SA in diesen Lagern. Das Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Emslandlager gehört zu den ersten bürgerschaftlich getragenen Gedenkstätten in der Bundesrepublik.
In der Stadt Papenburg wurde die Erinnerungsarbeit an die Häftlinge und Gefangenen der Emslandlager – gegen den Widerstand konservativer Kreise – mehr als 25 Jahre lang in einem renovierten Bauernhaus geleistet. Hinterlassenschaften, Berichte, Zeichnungen und Gegenstände der Häftlinge bildeten den Kern der Sammlung. Führungen, Begegnungen, Bildungsarbeit fanden und finden statt.
Papenburg ist ein eher konservativer Kreis. Viele Einwohner waren nach 1933 der Propaganda der Nazis gefolgt, die Insassen der Moorlager seien nur Verbrecher und politische Aufrührer, die eine gerechte Strafe erhielten. Dass darunter Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und christlich eingestellte Menschen waren, hätte zum Nachdenken anregen müssen. Bei der anfänglichen Abneigung gegen das DIZ schwang natürlich auch die Furcht mit, die damalige Duldung und Unterstützung von Teilen der Bevölkerung für die KZs käme ans Licht.
Alljährlich zum 8.Mai kamen ehemalige Häftlinge aus dem Ruhrgebiet, aber auch aus Frankreich, den Niederlanden und anderen Ländern zu einer bewegenden Gedenkfeier auf den Friedhöfen und im DIZ zusammen. Die damals weit über 80 und teilweise 90 Jahre alten ehemaligen »Moorsoldaten« nahmen die oft weite Anreise auf sich, um die Erinnerung an die Moorlager am Leben zu erhalten.
Die Verbindungen zur Résistance in Frankreich, zu Widerständlern in den Niederlanden verlieh den Gedenkfeiern und dem traurigen Erinnern an die getöteten Häftlinge ihre eigene Bedeutung. Das Singen des »Moorsoldatenlieds«, geschaffen von ehemaligen Lagerhäftlingen 1933 in Börgermoor, bildete immer einen Höhepunkt der Treffen.?Der enge Austausch mit den Überlebenden und Angehörigen, eine umfangreiche Bildungsarbeit und der Aufbau einer exzeptionellen Sammlung insbesondere von schriftlichen, materiellen und audiovisuellen Selbstzeugnissen und anderen Quellen zu weit über tausend Verfolgten haben das DIZ zu einer national und international höchst anerkannten Gedenkstätte gemacht.
Insbesondere die Berichte ehemaliger Häftlinge in Schulklassen, auf gesellschaftlichen Veranstaltungen und in Bildungszentren wurden gefördert. Das Land Niedersachsen förderte die Gedenkstättenarbeit des DIZ mit der Stelle einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin. Das Komitee selber hat viele Mitglieder, die nach dem Tod fast aller Überlebenden deren Gedenken fortführen, auch im Sinne der damals und immer noch gültigen Worte: »Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!«
Vorgeschobene Gründe
Im Jahre 2011 hat das DIZ die Einladung des Landkreises Emsland angenommen, seinen Sitz aus Papenburg in die neu gegründete Gedenkstätte Esterwegen zu verlegen, um die »Zusammenarbeit vor Ort vertrauensvoll mit Leben zu erfüllen« (so der Landkreis Emsland an das Aktionskomitee am 23.8.2008). Am Ort des ehemaligen KZs Esterwegen war jahrelang die Bundeswehr stationiert. Nach ihrem Auszug blieben Fundamente und Restgebäude, die nach Renovierung und Neugestaltung eine Gedenkstätte geworden waren. Auf der Basis einer Kooperationsvereinbarung hat das DIZ die praktische Gedenkstättenarbeit vor Ort zwar als Partner und Mitnutzer, aber eigenständig aufgebaut und ein Jahrzehnt lang durchgeführt.
Diese Zusammenarbeit ist seit einigen Jahren massiv gestört. Das Komitee des DIZ hat sich mehrfach sowohl an den Landrat des Kreises (CDU), ein Jurist und Theologe, der Vorsitzender der Stiftung Gedenkstätte ist, gewandt, als auch an die Landesregierung als Förderin der Gedenkstätten. Mehrere Vermittlungsversuche, dem DIZ die weitere Arbeit zu ermöglichen, zu einer Zusammenarbeit zurückzukehren, wurden ohne weitere Begründungen nicht verfolgt, Termine mit den Verantwortlichen der Gedenkstätte verliefen ergebnislos.
Den Höhepunkt der unverständlichen Auseinandersetzung um die Arbeit des DIZ in der Gedenkstätte bildet die Kündigung ihrer Büroräume durch die Gedenkstättenleitung im Juni diesen Jahres.
In einer Presseerklärung schreibt das Komitee dazu: »Mit diesem bundesweit einmaligen Akt geht die Stiftung unter dem Vorsitz des Landrats des Landkreises Emsland, Marc-André Burgdorf, mit aller Härte gegen das bürgerschaftlich getragene DIZ vor und gefährdet so bewusst seine Existenz.«
»Tatsächlich dient dieser Schritt ausschließlich dazu«, schreibt Habbo Knoch, der Vorsitzende des Aktionskomitees für ein DIZ Emslandlager e.V., »die seitens der Stiftung zuletzt mit wachsender Vehemenz erhobene Forderung nach einer Selbstauflösung des DIZ zu erzwingen.« Durch die Kündigung soll dem DIZ jede Möglichkeit genommen werden, seine eigenen Bestände vor Ort zu erschließen und die Arbeit der Gedenkstätte mit seinen Angeboten zu bereichern. Die Dauerausstellung der Gedenkstätte beruht zu großen Teilen auf der Sammlung des DIZ. Die Kündigung widerspreche nicht nur allen bisherigen Vereinbarungen, sondern auch den Bedingungen der Bundes- und Landesförderung für den Aufbau der Gedenkstätte, der eine institutionelle Beteiligung des DIZ zugrunde lag.
»Die Kündigung ist in der Geschichte der bundesdeutschen Gedenkstätten einmalig. Sie richtet sich gegen die bürgerschaftliche Säule der bundesdeutschen Gedenkstättenarbeit und steht den Grundprinzipien einer demokratischen Erinnerungskultur und subsidiären Kulturpolitik diametral entgegen.«
Aufgrund der bisherigen Geschichte des DIZ muss vermutet werden, dass versteckte politische Gründe für die Kündigung eine entscheidende Rolle spielen, sind doch viele Insassen der Moorlager ebenfalls »Politische« gewesen, deren Haltung quer zu Versuchen steht, die Erinnerung an die Nazizeit nicht allzu deutlich mit heutigen Problemen zu verbinden.
Das DIZ ist sicher kein radikales Projekt. Aber die bohrende Erinnerung an das, was Menschen in der dortigen Region angetan wurde, und eine Haltung des »Nie wieder!« sollen anscheinend mit administrativen Methoden eingeschränkt werden.
Weitere Informationen auf: https://diz-emslandlager.de.
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