Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2023

Der Verkehrsminister subventioniert lieber die Auto- und Bauindustrie
von Paul Michel

Elf Millionen Menschen nutzen es täglich – doch Volker Wissing könnte es bald abschaffen. Das 49-Euro-Ticket steht möglicherweise vor dem Ende, wenn der FDP-Verkehrsminister das nötige Geld nicht freigibt.

Das 49-Euro-Ticket, offiziell »Deutschlandticket”, ist das Nachfolgeangebot des sehr erfolgreichen 9-Euro-Tickets: Für 49 Euro pro Monat kann man damit seit dem 1.Mai 2023 den öffentlichen Nahverkehr in ganz Deutschland nutzen – unabhängig von Bundesland oder Verkehrsverbund.
Nach dem kurzen Sommer des 9-Euro-Tickets und der ungewohnten Mobilität für ärmere Bevölkerungsteile im vergangenen Jahr war das 49-Euro-Ticket eine Enttäuschung. Mehrere Verkehrsinitiativen hatten für ein 29-Euro-Ticket plädiert, weil nur dann Menschen, die ihren Unterhalt mit dem zu »Bürgergeld« aufgehübschten Hartz IV bestreiten müssen, sich das leisten könnten. Wenig hilfreich ist der 49-Euro-Fahrschein zudem für Menschen, an deren Wohnort die Verkehrsanbindung schlecht ist. Wozu ein Deutschlandticket, wenn kein Bus fährt, Bahnhöfe verfallen und die Schiene seit Jahrzehnten brach liegt?
Rund 40 Prozent der Menschen in ländlichen Gebieten haben bislang keinen ausreichenden Zugang zum öffentlichen Verkehr. Wir brauchen massive Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur. Die 100 Milliarden, die die Ampelregierung für die Hochrüstung der Bundeswehr verpulvert, werden hier dringend gebraucht.
Trotz aller dieser genannten Mängel ist das 49-Euro-»Deutschlandticket« dennoch so ziemlich die einzige Maßnahme der Ampel-Bundesregierung, die wenigstens noch ein bisschen nach sozialem Klimaschutz aussieht. Es fand vor allem in städtischen Großräumen großen Anklang, weil dort die Menschen bisher 80 Euro und mehr für ein ÖPNV-Monatsticket ausgeben mussten.
Bund und Länder hatten sich geeinigt, die Kosten für das 49-Euro-Ticket bis 2025 jeweils zur Hälfte zu tragen. Verkehrsminister Wissing hatte sich schon bei der Einführung des 49-Euro-Tickets geweigert, die Finanzierung auch langfristig sicherzustellen. Lediglich 1,5 Milliarden Euro will der Bund von 2023 bis 2025 bereitstellen. Die Länder bringen ebenso viel auf. Nun hat kürzlich eine Untersuchung aus dem Verkehrsministerium ergeben, dass der ÖPNV Zuschüsse in zweistelliger Milliardenhöhe braucht – oder das Ticket müsste deutlich teurer werden. Bisher haben nur die Länder ihre Bereitschaft erklärt, die Mehrkosten weiterhin zu tragen. Vom Bund gibt es keine entsprechende Zusage. Es ist schon von einer Preiserhöhung auf 69 Euro die Rede – was faktisch das Ende des Tickets bedeuten könnte.

Geld wäre genug da
»Es stehen in der Finanzplanung für eine Fortsetzung des 9-Euro-Tickets keinerlei Mittel zur Verfügung«, äußerte Finanzminister Lindner schon anlässlich der Debatte um zusätzliche staatliche Gelder für das 9-Euro-Ticket. Jetzt wollen Finanzminister Lindner und Verkehrsminister Wissing das Spiel wiederholen.
Dabei könnte die Bundesregierung ohne Probleme auf hohe Milliardenbeträge zur Förderung von klimaschonendem öffentlichem Verkehr zurückgreifen – so sie denn wollte. 3 Milliarden kostet das Dienstwagenprivileg, 8 Milliarden die Dieselsubvention, 8 Milliarden die fehlende Besteuerung von Kerosin, 4 Milliarden der Verzicht auf Mehrwertsteuer auf internationale Flugtickets. Dazu die Milliarden Kaufprämien für Elektroautos oder andere direkte Förderung der Autoindustrie. Ohne die sozial und ökologisch ungerechten Rabatte zur Förderung von Auto-, Lkw- und Flugverkehr wären über 20 Milliarden Euro mehr im Budget.

Turbo bei der Autobahn, Schneckentempo bei der Bahn
Volker Wissing aber zieht es vor, weiter echten Klimaschutz zu blockieren. Wenn es um Straßenbau geht, ist Wissing dagegen weder langsam noch zurückhaltend. Da drückt er aufs Gas. Nach seiner Auffassung gibt es bei 144 Autobahnprojekten ein »überragendes öffentliches Interesse«, wodurch Schnellstraßen schneller gebaut und saniert werden sollen. Einen bundesweiten Taktfahrplan für die Deutsche Bahn hält er dagegen erst 2070 für umsetzbar. Derzeit sind bis 2030 nur 496 Kilometer Schienen, aber sage und schreibe 889 Kilometer Straßen geplant!
Während Finanzminister Lindner immer wieder auf die angeblich angespannte Finanzlage hinweist, wenn es um ökologische Themen geht, ist die Ampelregierung bei der Förderung des Autoverkehrs alles andere als knausrig. Greenpeace hat jüngst ausgerechnet, dass die Kosten für die geplanten Autobahnneu- und -ausbauprojekte des Bundesverkehrswegeplans bis 2035 dreimal höher liegen werden als bisher angenommen. Berücksichtigt man die Kostensteigerungen der letzten Jahre, werden die Projekte nicht, wie bisher veranschlagt, 50,9 Milliarden Euro sondern 153 Milliarden Euro kosten. Dieses Geld wird jedoch dringend für den Ausbau der Schieneninfrastruktur und ein besseres ÖPNV-Angebot gebraucht.
Inzwischen ist allgemein bekannt, dass im Verkehrssektor viel zu wenig passiert, um die lebenswichtige Grenze von 1,5-Grad-Erderhitzung einzuhalten: Seit drei Jahrzehnten gibt es im Verkehrssektor keine nennenswerten CO2-Einsparungen. Derzeit steigen die Emissionen sogar. Der Verkehrssektor reißt gnadenlos seine Klimaziele – dabei sind diese Vorgaben noch viel zu schwach zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze. Die Regierung gibt sich nicht einmal mehr Mühe, die Klimaziele zu erreichen. Wirksame Maßnahmen für den Klimaschutz wie ein Tempolimit oder den Abbau von klimaschädlichen Subventionen blockiert FDP-Bundesverkehrsminister Wissing seit Beginn der Ampelkoalition, gedeckt von Kanzler Scholz.

Bahn statt Autobahn
Die Auswirkungen des Klimawandels sind allgegenwärtig und machen die Dringlichkeit zum Handeln offensichtlich. Wir alle können beobachten, wie sich das klimapolitische Zeitfenster zu schließen beginnen und wir auf Kipppunkte zusteuern. Die Weichen für eine klimaschonende und sozial gerechte Verkehrswende müssen jetzt schleunigst gestellt werden. Was wir brauchen, ist eine Konzentration auf den Ausbau der Schiene und den Erhalt der bestehenden Infrastruktur. Alle Aus- und Neubauvorhaben gehören mit Blick auf ihre Verträglichkeit mit den Erfordernissen des Klimaschutzes auf den Prüfstand. Die Versuche von Lindner und Wissing, das 49-Euro-Ticket zu sabotieren, sind unverantwortlich, ja geradezu unfassbar. Es liegt jetzt an der Klimabewegung und der Bewegung für eine sozial gerechte Mobilitätswende, Wissings Klimasabotage zu beenden.

Der Autor ist aktiv im Netzwerk Ökosozialismus.

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