Die Deutsche Bahn will Zug- und Netzbetrieb trennen
Gespräch mit Carl Waßmuth
Gemeinwohlorientiert, transparent, modern – die Bundesregierung ummantelt die Aufspaltung der Deutsche Bahn AG mit wohlklingenden Floskeln. In Wirklichkeit geht die Fahrt in Richtung Privatisierung, warnt Carl Waßmuth.
Carl Waßmuth ist Sprecher des Bündnisses »Bahn für alle«. Das Gespräch mit ihm führte Matthias Becker
Herr Waßmuth, zum Jahreswechsel werden die DB Netz und die DB Station & Service zu einer neuen Aktiengesellschaft zusammengefasst. Die DB InfraGO AG wird sich in Zukunft um das Schienennetz in Deutschland kümmern. Was haben Sie dagegen?
Das GO im Namen soll wohl andeuten, dass es jetzt endlich los geht. Das wäre bitter nötig, denn die Infrastruktur ist im schlimmen Zustand. Aber Bahnsysteme funktionieren am besten, wenn Züge und Schienen aus einer Hand betrieben werden. Dass der FDP-Verkehrsminister Volker Wissing an der integrierten Bahn sägt, lässt bei uns gerade alle Alarmglocken schrillen. Wir befürchten, dass das Schienennetz aus dem Verbund herausgelöst wird, um die DB Fernverkehr und DB Regio für eine Privatisierung aufzuhübschen und später zu verkaufen.
Aber immerhin wird die neue Gesellschaft doch gemeinwohlorientiert sein!
Mich erinnert das an ein früheres Gesetz in Berlin, das vorsah, dass Glätte auf den Wegen im Winter »zu bekämpfen ist«. Nicht beseitigen, sondern bekämpfen! Wenn man den Kampf verlor, dann war das eben so, auch wenn es Knochenbrüche gab. Gemeinwohlorientierung ist schwammig und unverbindlich. Gemeinnützigkeit wäre ein Rechtsbegriff, das wäre möglich und wünschenswert.
Eventuelle Gewinne durch die Netzentgelte sollen zweckgebunden in den Erhalt und den Ausbau der Infrastruktur zurückfließen, sagt die Bundesregierung. Wenigstens dagegen werden Sie hoffentlich nichts haben!
Die InfraGO wird keine Gewinne machen, im Gegenteil. Der Staat muss in den nächsten Jahren gewaltige Summen in die Schieneninfrastruktur stecken. In Wirklichkeit soll der Steuerzahler die Verluste decken, die ins Haus stehen. Das Netz ist völlig marode, die DB AG hat es drei Jahrzehnte lang verfallen lassen. Wir brauchen mindestens 5–10 Milliarden Euro jährlich. In Wirklichkeit wird eine Bad Bank geschaffen, in die die Schulden und die unvermeidlichen Ausgaben wandern, damit Private Gewinne machen können.
Irgendwie scheint niemand ganz zufrieden mit der neuen Konstruktion.
Die InfraGo ist eine Art Kompromiss. FDP und Grüne wollen die integrierte Bahn schneller auflösen und schneller privatisieren, die SPD bremst etwas. Sie ist enger mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) verbunden, die um die Arbeitsplätze ihrer Mitglieder und ihren Einfluss fürchtet. Es gibt noch einen weiteren Grund, bei der Zerschlagung der Bahn langsam vorzugehen: Die DB AG hat etwa 35 Milliarden Schulden. Die Konditionen des Schuldendienstes hängen vom Rating ihrer Bonität ab, sowohl im Fall des Mutterkonzerns als auch bei der neuen Tochter. Wenn das Rating in den Keller geht, werden die Zinsen teuer! Deswegen fährt die Regierung erst einmal vorsichtig.
Sie erwarten, dass die Regierung einen »kreditfähigen Infrastrukturfonds« aufstellen wird, um Gelder am Finanzmarkt einzusammeln. Steht das schon fest?
Nein, wir wissen überhaupt ziemlich wenig. Im Koalitionsvertrag steht nichts konkretes, es gibt nur Mitteilungen der sog. informierten Kreise. Die Intransparenz, mit der die Bundesregierung vorgeht, ist schwer zu ertragen. Weder das Parlament noch die Bürger erfahren, wohin die Reise gehen soll, obwohl es um erhebliche Werte geht. Laut dem Jahresbericht des Bundesverkehrsministeriums beträgt der Bruttoanlagenwert des Schienennetzes 247 Milliarden Euro. Wegen der jahrzehntelangen Vernachlässigung beläuft sich der Nettowert nur noch auf 152 Milliarden Euro. Jetzt wandern diese Milliardenwerte von der Bahn AG zur InfraGO.
Es steht also noch nicht fest, ob die Infrastrukturgesellschaft Finanzinstituten als Anlagemöglichkeit geöffnet wird. Woher kommt Ihr Verdacht?
Wir kennen solche Konstruktion aus anderen Bereichen. Die Autobahn GmbH bspw. ist über öffentlich-private Partnerschaften ebenfalls fremdfinanziert. Solche Konstruktionen haben unter anderem den Nachteil, dass die Zinskosten grundsätzlich höher sind als bei einer staatlichen Finanzierung. Wie sollte auch ein Fonds mit eigener Kreditermächtigung ein besseres Rating bekommen als die Bundesrepublik?
Diese neoliberale Konstruktion dient nur dazu, die sogenannte Schuldengrenze zu umgehen und hat irrwitzige Folgen. Die britische Network Rail hat gewaltige Schulden und bezahlt seit zehn Jahren mehr für den Schuldendienst als für den Unterhalt des Schienennetzes! 2021 musste die Gesellschaft aufgrund finanzieller Schwierigkeiten sogar Personal entlassen.
In einem Sonderbericht des Bundesrechnungshofs vom Frühjahr »zur Dauerkrise der Deutschen Bahn« ist die Rede von »einem gravierenden Kontrollmangel«. »Die Bundesregierung sollte endlich das Interesse des Bundes als Eigentümer der DB AG bestimmen«, heißt es darin. Sehen Sie das auch so?
Das wäre sicher sinnvoll: konkrete Zielvorgaben für Erhalt und Ausbau in die Satzung der DB zu schreiben! Dann können wir das Management daran messen, meinetwegen auch mit ihren Bonuszahlungen!
Aber solche Ziele können wir schon jetzt problemlos definieren, dafür müssen keine Teile abgespalten werden. Der Bund kann auf einer Eigentümerversammlung einen entsprechenden Beschluss fassen, den Rest erledigen ein Staatssekretär und ein Notar. Bekanntlich gehört die DB dem Bund, und der Bundesverkehrsminister besetzt den Aufsichtsrat.
Wenn der Vorstand sich den Vorgaben des Eigentümers verweigert, dann entlässt ihn der Aufsichtsrat – so funktionieren Aktiengesellschaften! Die Kontrolllücke entsteht nur, weil die Bundesregierung und der Verkehrsminister nicht von ihrem Recht Gebrauch machen. Es fehlt der Wille, nicht die Möglichkeit.
Würde mehr Konkurrenz dem Betrieb nicht gut tun?
Einen echten Wettbewerb kann es bei einer Infrastruktur wie dem Schienenverkehr gar nicht geben. Die Kunden haben keine Auswahl, mit welchem Zug sie zur Arbeit und wieder zurückfahren.
Die Verkehrsgesellschaften bewerben sich um regionale und zeitliche Monopole und bedienen dann bestimmte Strecken in der Regel 15 bis 25 Jahre lang. Die Gesellschaften haften nur mit 25000 Euro Eigenkapital. Letztlich zahlt die Allgemeinheit, wenn etwas schief geht.
Hinzu kommen überbordenden Overhead-Kosten. Als wir vor 30 Jahren die Bahnreform bekommen haben, gab es 6000 sogenannte Bahndirektoren, was als verschwenderisch angeprangert wurde. Heute leistet sich die Bahn 20000 Manager. Wenn jeder von ihnen 100000 Euro Jahresgehalt bekommt, sind das bereits 2 Milliarden jährlich!
In Ihrem Bündnis sind die Gewerkschaften Ver.di und die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) vertreten, aber nicht die EVG und GDL, die für den Schienenverkehr maßgeblich sind. Die Haltung zur Privatisierung scheint unentschieden, die GDL scheint sogar zu begrüßen, dass die Bahnkonkurrenz gestärkt wird.
Ich kann das nicht nachvollziehen, denn auch die Tarifverträge der Lokführer werden sukzessive unter die Räder kommen. Aber die GDL ist bei den Privaten stärker verankert und gilt als durchsetzungsfähiger. Bei der DB gerät sie bekanntlich mit der EVG aneinander, die das Tarifeinheitsgesetz mit angeschoben hat, um die GDL abzuwehren.
Ich fürchte, dass diese Konkurrenz unter den Gewerkschaften sich auch auf die gesellschaftspolitische Ebene auswirkt: Wenn die EVG eine Aufspaltung der Bahn ablehnt, denkt die GDL-Spitze vielleicht, sie muss die Zerschlagung befürworten.
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