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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2023

Größte Demonstration von Postbeschäftigten in Berlin
von Violetta Bock

Es war eine der größten Demonstrationen von Postbeschäftigten, die es je gab. Busse aus dem ganzen Bundesgebiet fuhren rund 30000 Beschäftigte der Post am 9.Oktober nach Berlin, um den Forderungen der Gewerkschaft Ver.di zur Novellierung des Postgesetzes Nachdruck zu verleihen.

Zwei Tage später diskutierte auch der Bundestag auf Antrag der LINKEN in der Aktuellen Stunde das Thema. Dort gab es viel Zustimmung zu den Forderungen der Gewerkschaft. Die bisher bekannten Eckpunkte zur Novellierung versprechen jedoch das Gegenteil: Stärkung des Wettbewerbs auch im Briefsegment, eine Verringerung der Zustelltage und eine Einschränkung des Universaldienstes. Die Gewerkschaft befürchtet den Verlust von tausenden Arbeitsplätzen. Statt auch noch im Briefsegment zu liberalisieren, müssten viel mehr im Paketbereich Subunternehmerketten verboten werden.
Die Bundesregierung strebt eine Modernisierung des Postgesetzes an mit dem Ziel eines »solide finanzierten Universaldienstes«. Nach Auffassung der Ampel erschwere die Lizenzpflicht im Briefbereich »den Marktzugang für Briefdienstleister«. Man wolle ein einheitliches digitales Verfahren festlegen und »unnötige Marktzutrittsbarrieren abbauen«.
Bislang gilt im Briefbereich eine Lizenzpflicht, d.h. Unternehmen müssen Zuverlässigkeit, Leistungsfähigkeit, Fachkunde und Arbeitsbedingungen gegenüber der Bundesnetzagentur nachweisen. Dies möchte die Bundesregierung ähnlich wie im Paketbereich zur reinen digitalen Anzeigenpflicht aufweichen. Ver.di, aber auch die Deutsche Post selbst lehnen das ab, beide fordern im Gegenteil die Ausweitung der Lizenzpflicht auf Paketdienstleister. Das Sendungsvolumen bei Paketen hat sich innerhalb von zehn Jahren verdoppelt und 2021 mit 4,5 Milliarden beförderten Paketen ein neues Rekordhoch erreicht.

Subunternehmerketten verbieten
Die Branche ist zu oft ein rechtsfreier Raum mit verbreiteten Verstößen gegen den Mindestlohn, Scheinselbständigkeit und die Missachtung notwendiger Maßnahmen des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Pausen fallen oft ganz aus, die Höchstarbeitszeit wird oft überschritten.
Dies betrifft insbesondere Subunternehmerketten. 50 bis 100 Prozent im Kernbereich wird durch Fremdpersonal ausgetragen. Ein Gutachten von Ver.di bei der Hans-Böckler-Stiftung vom September 2023 untersuchte die rechtliche Möglichkeit eines Verbots von Subunternehmen in der Paketbranche. Diese ist stark zerklüftet mit vielen Kleinstunternehmen. 88 Prozent der insgesamt 14400 Unternehmen in der Branche hätten weniger als 20 Beschäftigte. Demnach gibt es fast keine Betriebsräte und keine Tarifbindung.
Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass Werkverträge an Subunternehmen und Leiharbeit verboten werden können, um stattdessen ein Direktanstellungsgebot einzuführen.
Geprüft wurde auch die Vereinbarkeit mit EU-Recht: »Der Europäische Gerichtshof habe bereits mehrfach bestätigt, dass der Schutz von Beschäftigten ebenso wie die Beseitigung von ›strukturellen faktischen Kontrolldefiziten‹ staatliche Eingriffe rechtfertigen können.«

Eine Bürger:innenpost
Es gibt also keine rechtlichen Hürden, doch es erfordert eine Abkehr vom neoliberalen Dogma, das auf weitere Liberalisierungen setzt. Mit der Demonstration in Berlin hat Ver.di sich auf die Seite der Deutschen Post gestellt, die den Verlust der eigenen Stellung auf dem Markt befürchtet.
So wurden zwar tariflich gesicherte Arbeitsplätze und verlässliche Postdienstleistungen gefordert, doch auch in diesem Bereich wächst längst der Druck auf die Beschäftigten. Tarifsteigerungen werden auf ihrem Rücken durch Verdichtung und größere Zustellbezirke zurückgeholt.
Wünschenswert wäre nicht nur ein defensiver Kampf gegen mögliche Verschlechterungen, sondern die offensive Forderung nach einer Bürger:innenpost, die dem Allgemeinwohl und nicht den Aktionären dient. Die Deutsche Post AG hat schließlich erneut einen Rekordgewinn verzeichnet. Die Vorstände der DAX-30-Konzerne verdienten nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung 2017 mehr als das 70fache ihrer Beschäftigten, weshalb Janine Wissler bei der Aktuellen Stunde vorschlug: »Statt also die tagtägliche Briefzustellung zu streichen, könnte man doch einfach dem Postvorstand nur noch montags Gehälter zahlen.« Das wäre doch schon mal ein Anfang.

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