Es war Tusk, der den Weg für Kaczynski freigemacht hat
von Norbert Kollenda
Die Euphorie ist groß, endlich wurde die PiS entmachtet und die Menschen in Polen haben durch ihre hohe Wahlbeteiligung bewiesen, dass sie politisch wach geworden sind. Und das nach all den Enttäuschungen der letzten 34 Jahre.
Über Jahrzehnte haben sie dem sog. sozialistischen System Paroli geboten, haben aus den Kämpfen gelernt, um dann im Zusammenschluss von Arbeitern und Intellektuellen 1980 den Anfang vom Ende des »sozialistischen« Systems einzuläuten. Und was bekamen sie dafür? Den Kapitalismus, den einige führende Köpfe mit brachialer Gewalt über polnische Familien brachten. Karol Modzelewski, seit 1968 »Dissident« und maßgeblich in der Gewerkschaft Solidarnosc aktiv, sagte damals: »Ich habe nicht 8,5 Jahre im Gefängnis gesessen, damit wir den Kapitalismus bekommen!«
Die Schocktherapie ließ die Menschen erstarren und die Regierungen ließen das Volk bluten. Donald Tusk machte mit seiner neoliberalen Bürgerplattform den Weg frei für die ultrakonservative PiS, die soziale Reformen nicht nur versprach. Aber um welchen Preis!
Der Alltag wird zeigen, wo es langgeht. Da ist ja noch der Präsident, der alles ausbremsen kann. Es wird sich zeigen, ob er weiter im Vorzimmer des Vorsitzenden aller Vorsitzenden wie ein Bittsteller auf eine Audienz warten wird, um dann seine Order zu erhalten [Kaczynski ist Vorsitzender der Partei Recht und Gerechtigkeit, er ist nicht Staatspräsident.]
Die Regierungskoalition [Bürgerplattform und Dritter Weg] ist ein Bündnis, das in der Not mit vielen Wehen auf die Welt kam. Tusk kam nach Polen zurück und übernahm die Partei ohne Rücksicht auf die zwischenzeitliche Entwicklung und das daraus hervorgegangene Personal. Ob die Konservativen des Dritten Weges bei der versprochenen Streichung des Abtreibungsverbots mitgehen werden? Welchen Einfluss wird die schwache »Neue Linke«, Nachfolgerin der SLD, die ihrerseits Nachfolgerin der alten Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei ist, haben?
Was den Zustrom der Geflüchteten anbelangt, wird es Probleme geben. Sicher geht es nicht um die Islamisierung des Abendlands. Aber warum soll eigentlich Polen Geflüchtete aus Ländern aufnehmen, die vorher Kolonien Westeuropas waren und die auch danach weiter ausgebeutet wurden? Polen ist nicht schuld an deren Elend und Armut, aber »Europa« schon.
Ich befürchte, dass es lange dauern wird, bis das Land zur Ruhe kommt. Ob die zukünftige Regierung dazu in der Lage sein wird?
Wollen wir nur hoffen, dass Kaczynski sich nicht Abgeordnete kauft, um weiter zu regieren. Hochdotierte Posten und Pöstchen haben sie sich ja unter den Nagel gerissen und das Staatseigentum unter ihre Fittiche genommen.
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