Die Berliner sollen erneut über die Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen entscheiden
von David Stein
Im September 2021 – parallel zu den Wahlen zum Deutschen Bundestag und zum Berliner Abgeordnetenhaus – haben 59,1 Prozent der Wähler:innen in einem Volksentscheid für die Vergesellschaftung von profitorientierten Immobilienunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen in Berlin gestimmt.
Das waren mehr Stimmen als SPD, Grüne und Linkspartei zusammen bei den Wahlen erhalten haben. Exakt zwei Jahre später hat der Motor des Volksentscheids, die Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« angekündigt, einen weiteren Volksentscheid einzuleiten, bei dem nun über einen von ihr vorgelegten Entwurf eines Vergesellschaftungsgesetzes abgestimmt werden soll. Dieser wäre rechtlich bindend.
Warum ein zweiter Anlauf? Die Initiative will damit »die Blockade des neuen CDU/SPD-Senats gegen das Votum des Volksentscheids aufbrechen« und der Tatenlosigkeit des Senats bei derzeit rasant steigenden Angebotsmieten und akuter Wohnungsknappheit politisch etwas entgegensetzen. Die Absprachen des Senats mit der Immobilienwirtschaft, ohne staatliche Vorgaben, über eine bloße Selbstverpflichtung Mieterhöhungen zu deckeln, haben sich schnell in Luft aufgelöst, weil diese sich daran nicht gehalten hat.
Mit einem zweiten Entscheid will die Initiative natürlich auch verhindern, dass die Dynamik der jahrelangen, erfolgreichen Mobilisierung für die Forderung nach bezahlbarem Wohnraum, die mit der Eigentumsfrage automatisch verwoben ist, verpufft. Dies wäre fatal, da es sich um einen der größten politischen Erfolge außerparlamentarischer Politik seit langem handelt. Die Forderung nach Vergesellschaftung von Wohnraum sowie die damit verbundene Frage nach Schaffung neuer Formen von Gemeingut und dessen Verwaltung außerhalb des Markts wurde über Berlin hinaus in vielen deutschen und europäischen Städten aufgegriffen.
2021 zögerte »Deutsche Wohnen &Co enteignen« noch, einen Gesetzesentwurf zur Abstimmung zu stellen. Damals hatte die Initiative kaum juristische Unterstützung bei dieser komplexen Materie. Sie musste Neuland betreten, da der Vergesellschaftungsartikel im Grundgesetz (Art.15) in der Praxis nie angewandt wurde und in einem Dornröschenschlaf versunken war. Das Risiko war zu hoch, dass der Volksentscheid gleich am Landes- bzw. Bundesverfassungsgericht scheitern würde, was für die Bewegung demotivierend gewesen wäre. Daher bezog sich der Entscheid nur auf die Forderung, dass der Senat die Vergesellschaftung über die dafür nötigen gesetzlichen Schritte einleiten soll. Mit einem solchen Beschlussvolksentscheid kann zwar politischer Druck ausgeübt werden; er zwingt den Senat aber zu nichts.
Der damalige, von SPD, Grünen und Linkspartei gestellte Senat blieb im folgenden untätig. SPD-Bürgermeisterin Giffey hatte bereits vor dem Volksentscheid erklärt, dass sie eine Vergesellschaftung auf keinen Fall mittragen werde. Der Kompromiss im Senat war die Einsetzung einer vorwiegend aus Verfassungsrechtlern zusammengesetzten Expertenkommission unter Leitung der ehemaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler Gmelin (SPD), um die »rechtlichen Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen einer Vergesellschaftung zu prüfen«.
Expertenkommissionen werden im parlamentarischen Betrieb meistens eingerichtet, um Entscheidungen auf die lange Bank zu schieben oder gar ganz zu verhindern. Das war auch beim Volksentscheid die Intention der SPD und, weniger offen, die Position der Mehrheit in den Grünen. Lediglich die Linksfraktion unterstützte aktiv die Initiative. Die Benennung von Experten war den Parteien vorbehalten, die damals den Senat gestellt haben. Die LINKE hat ihr Recht zur Benennung von Experten an die Initiative abgetreten.
Die Rechnung des Senats ging nicht auf
Deutlichen Rückenwind für den zweiten Anlauf bekam die Initiative durch den Abschlussbericht der Expertenkommission vom Juni 2023. Die überraschend eindeutige und weitgehend einvernehmliche Bewertung durch die Kommissionsmitglieder ergab, dass keine bundes- und landesverfassungsrechtlichen Hindernisse für die Vergesellschaftung von Wohnungen bestehen. Auch die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme wird bejaht. Und eine weitere wichtige Aussage ist im Bericht enthalten: Eine Mehrheit der Kommissionsmitglieder befand, dass zwar nicht entschädigungslos vergesellschaftet werden darf, aber die Höhe der Entschädigung deutlich unter dem Verkehrswert liegen kann. Das würde die Vergesellschaftung für das Land Berlin erheblich günstiger machen und die Rechenmodelle des Senats ad absurdum führen, der die Finanzierung einer Vergesellschaftung von vornherein nicht für tragfähig hielten.
Mit der Einrichtung einer (ursprünglich von der Initiative abgelehnten) Expertenkommission und der Benennung von Herta Däubler-Gmelin als Vorsitzende hat der Senat ein Eigentor geschossen. Heute sind einzelne Mitglieder der Kommission sogar bereit, die Initiative in einem Beratergremium bei der Abfassung des Gesetzesentwurfs zu unterstützen. Dies zeigt, dass die Strategie richtig gewesen ist, sich auf das Grundgesetz zu berufen. Sie ermöglichte ein breites Bündnis in der Zivilgesellschaft um eine im Kern realpolitische Forderung, die allerdings die Eigentumsfrage stellt.
Vergesellschaftung allein reicht nicht
Die Arbeitsstrukturen und die soziale Verankerung der Initiative in der Stadtgesellschaft sind heute noch intakt. Diese stabile Infrastruktur erhöht die Chancen für einen erfolgreichen Ausgang des zweiten Volksentscheids. Die Initiative wird zwar nicht mehr von den Aktiven der ersten Stunde, sondern von Jüngeren getragen. Sie können aus heutiger Sicht erfolgreich für die erste Stufe des Volksbegehrens und dann für den Volksentscheid mobilisiert werden, wozu 20000 Stimmen bzw. 170000 Stimmen gesammelt werden müssen. Es bleibt zu hoffen, dass die personelle Erneuerung auch zur Vermeidung von Fehlern führt, die anfangs in der Frage der »inneren Demokratie« gemacht worden sind. Damals wurde der Sprecher und Mitgründer der Initiative aufgrund nicht belegter sexueller Übergriffe entgegen der Unschuldsvermutung aus der Initiative gedrängt, was dieser in der Öffentlichkeit geschadet hat.
Für die Initiative ist die Verweigerungshaltung des Senats und die Tatsache, dass die »Mieterstadt Berlin« derzeit in Wohnungsknappheit und galoppierenden Mietensteigerungen versinkt, bereits Grund genug dafür, dass der zweite Volksentscheid die richtige Forderung zur richtigen Zeit ist. Die Frage ist allerdings, ob Vergesellschaftung allein eine ausreichende Antwort auf die aktuelle Wohnungskrise ist. Da sollte die Initiative mit offenen Karten spielen.
Die Krise im Wohnungssektor schlägt sich in einer Preiskrise und einer Knappheitskrise nieder. Letztere wurde hauptsächlich durch lange in der Wohnungsbaupolitik verschlafene Zuzüge in Ballungszentren ausgelöst. Eine Vergesellschaftung allein kann am akuten Wohnungsmangel nichts ändern. Und der Markt wird das Problem ohnehin nicht lösen. Hierzu bedarf es anderer Konzepte: Abschaffung des bisherigen »Sozialen Wohnungsbaus« mit einer Sozialbindung auf Zeit, der nur private Investoren steuerlich subventioniert. Der Bau von gemeinnützigem Wohnraum muss stattdessen dezentral stattfinden. Kommunen, Genossenschaften und selbstverwaltete Wohnprojekte müssen finanziell, auch durch die Zuführung von Eigenkapital und durch die Wiedereinführung der von der Regierung Kohl abgeschafften steuerlichen Begünstigung für gemeinnützige Unternehmen gestützt werden.
Positiv sind hingegen die Auswirkungen der Vergesellschaftung im Zusammenhang mit der Preiskrise zu sehen, wenn große Player wie der Immobilienkonzern Vonovia SE, der die Deutsche Wohnen SE mit über 120000 Wohnungen in Berlin 2022 geschluckt hat, vom Markt genommen werden und dadurch weniger Marktmacht haben. Vergesellschaftung kann dafür sorgen, dass zumindest im Bestand Mieten nicht noch weiter steigen und der Mietspiegel durch diese Vergesellschaftung stabilisiert wird. Davon könnten dann auch Wohnungssuchende profitieren: Bei Neuverträgen darf die Miete nur 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen.
So kann der Senat tricksen
Die Immobilienkrise hat jedoch aktuell eine dritte Auswirkung, die viel zu wenig strategisch reflektiert wird. Der Boom der börsennotierten Wohnungsunternehmen ist vorerst vorbei. Trotz Mieterhöhungen und leergefegtem Wohnungsmarkt machen diese Verluste. Im ersten Halbjahr 2023 musste allein Vonovia einen Immobilienwert von 6,4 Milliarden Euro abschreiben. Das ganze Geschäftsmodell und die aufgeblasenen Bilanzen basierten auf der Nullzinspolitik am Kapitalmarkt für Immobiliarkredite. Die geänderten Bedingungen für Kredite schließen Neubauten in großem Stil und Unternehmensübernahmen aus. Alle Neubauprojekte von Vonovia wurden gestoppt.
Vor diesem Hintergrund wollen die angeschlagenen Konzerne im großen Stil Wohnungen verkaufen, obwohl es dafür derzeit gar keinen Markt gibt. Es sei denn, sie können die öffentliche Hand, darunter Kommunen, überzeugen, ihnen Teile ihres Immobilienbestands zu den in ihren Büchern noch immer sehr hohen Immobilenzeitwerten abzukaufen und dadurch börsennotierten Unternehmen und deren Großaktionären wie Blackrock aus der Patsche helfen.
Erste Rückkäufe (von sanierungsbedürftigen, überteuerten) Wohnungen) durch den Senat gab es bereits vor den Zinsänderungen am Markt. Dem Senat könnte es gelingen, der Öffentlichkeit Rück- und Aufkäufe von Wohnungen in großem Umfang als Alternativmodell zu der dann aus seiner Sicht obsoleten Vergesellschaftung schmackhaft zu machen – das allerdings bestimmt nicht zu Preisen weit unter dem Verkehrswert, die die Expertenkommission für möglich hält.
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