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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2023

Die Schwellenländer im globalen Süden unternehmen nichts gegen die neoliberale Weltordnung
von Patrick Bond, Johannesburg

Viele Linke setzen sich für eine multipolare Weltordnung ein – im Gegensatz zu einer unipolaren, die von den imperialistischen USA dominiert wird. In diesem Sinne präsentieren sich gerne auch Politiker des Staatenbunds BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika). Patrick Bond warnt jedoch vor falschen Hoffnungen: Bei den BRICS handele sich um eine bunt zusammengewürfelte Gruppe. Nicht gemeinsame ideologische Grundsätze kennzeichnen diesen Staatenbund, sondern tief verwurzelte, antisoziale, antiökologische und eigennützige Profitinteressen.

Auf dem Gipfel des BRICS-Staatenbundes im August in Johannesburg sind weitere Mitglieder dazugekommen: Iran, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Äthiopien und Argentinien – wobei die Mitgliedschaft von Buenos Aires in Frage steht, falls bei den Wahlen ein rechtsextremer Kandidat an die Macht kommt.
Die Meinungsverschiedenheiten dieses Bündnisses sind seit langem offensichtlich, etwa über die Covid-19-Pandemie, die Herrschaft des ehemaligen Präsidenten Brasiliens, Jair Bolsonaro, den anhaltenden militärischen Konflikt zwischen China und Indien (und Delhis Beschränkungen für chinesische Unternehmen), die russische Invasion in der Ukraine und die politischen Turbulenzen in einigen Mitgliedstaaten. Die Hoffnung auf eine »Entdollarisierungs«-Strategie wurde dabei zur großen Enttäuschung, da die wichtigsten Volkswirtschaften (China und Indien) starke Devisenkontrollen beibehalten.

Zerwürfnisse
Schon vor dem Gipfeltreffen im August drohte das Bündnis an seinen inneren Widersprüchen zu zerbrechen.
– Die brasilianische Regierung unter der Führung von Jair Bolsonaro hatte die weitere Konsolidierung des Blocks zwischen 2019 und 2022 durch ihre rechtsextreme und prowestliche Ausrichtung torpediert. Ein Beispiel dafür war die Frage der Aussetzung des Patentschutzes von Impfstoffen und Medikamenten für Impfungen und die Behandlung von Covid 19. Zwischen 2021 und 2022 wurde ein Reformvorschlag der Welthandelsorganisation (WTO) vereitelt, vor allem durch deutsche und britische Politiker, die sich als Hüter ihrer jeweiligen nationalen Pharmaindustrie aufspielten.
Angela Merkel und Boris Johnson konnten sich auf Bolsonaro verlassen. Gemeinsam wiesen sie die hartnäckigen Appelle des indischen Regierungschefs Narendra Modi und seines südafrikanischen Amtskollegen Cyril Ramaphosa zurück, die im Namen von über hundert Ländern forderten, dass lebenswichtige medizinische Produkte als »globale öffentliche Güter« eingestuft werden.
– Die chinesisch-indischen Territorialstreitigkeiten im Himalaya traten 2020 erneut in eine heiße Phase, als der seit Anfang der 1960er Jahre schwelende Konflikt um die ungeklärte Grenze zu bewaffneten Zusammenstößen und dem Tod zahlreicher Soldaten führte. Ein Ende der militärischen Auseinandersetzungen um das gebirgige Gebiet, zu dem auch die Quellgebiete der nach Süden fließenden Flüsse gehören, die von exorbitanten chinesischen Staudammprojekten betroffen sind, ist derzeit nicht in Sicht.
China beteiligt sich mit 65 Milliarden US-Dollar an einem Infrastrukturkorridor, der die pakistanische Hafenstadt Gwadar mit Westchina verbinden soll. Peking misst diesem Projekt wachsende Bedeutung bei, da es damit die wirtschaftliche Abhängigkeit von der Straße von Malakka verringern und – im Rahmen der Initiative Neue Seidenstraße – den Import von Öl aus der Golfregion beschleunigen will.
Die intensive wirtschaftliche Zusammenarbeit Chinas mit Indiens Erzfeind Pakistan ist den Behörden in Neu-Delhi ein Dorn im Auge, zumal auch sie in umstrittenem Gebiet stattfindet. Im Gegenzug haben chinesische Unternehmen wiederholt Anlagen in Indien geschlossen und heftige nationalistische Tiraden gegen das Land losgelassen.
– Der russische Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 hat nicht nur der Region, sondern auch den globalen Energie- und Lebensmittelmärkten katastrophale Schäden zugefügt. Dies zwang die Gesellschaften in aller Welt, sich für eine Seite zu entscheiden.
In Südafrika löste die Aussicht, dass Putin persönlich am Johannesburg-Gipfel teilnehmen könnte, beinahe eine Verfassungskrise aus und zwang Präsident Cyril Ramaphosa, den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Putin wegen seiner Verantwortung für die Entführung zehntausender ukrainischer Kinder zu respektieren.
Im Juni 2023, als eine von Südafrika geleitete Friedensmission mehrerer afrikanischer Regierungschefs erfolglos versuchte, Kiew und Moskau an den Verhandlungstisch zu bringen, forderte Ramaphosa den russischen Staatschef auf, virtuell an dem Treffen in Johannesburg teilzunehmen. Außerdem forderte er Putin öffentlich auf, die Seeblockade gegen ukrainisches Getreide aufzuheben, das normalerweise fast zehn Prozent der weltweiten Versorgung ausmacht.
Putin ignorierte jedoch seine Forderung und stellte stattdessen den Vertretern verschiedener armer afrikanischer Staaten, die im Juli am Russland-Afrika-Gipfel in St.Petersburg teilnahmen, kostenlose Getreidelieferungen in Aussicht.
Trotz der chaotischen Entwicklungen geht es den drei rohstoffexportierenden Ökonomien des Blocks – Brasilien, Russland und Südafrika – seit Mitte 2020 wirtschaftlich jedoch besser als erwartet, zumindest kurzzeitig. Nachdem der anfängliche Schock der Abriegelungen die Preise für Erdöl und natürliche Ressourcen einbrechen ließ, erreichten sie bald Rekordwerte und stiegen nach dem russischen Einmarsch im März 2022 wieder, zumindest für einige Monate. Dadurch konnte sich Russland überraschend schnell von den umfangreichen westlichen Finanzsanktionen und der Beschlagnahmung von staatlichen und privaten Vermögenswerten in Höhe von über 600 Milliarden Dollar erholen.
Vor allem den ehemals prowestlichen Diktatoren im Nahen Osten machten diese Maßnahmen unmissverständlich klar, dass auch ihr im Westen geparktes Vermögen nicht sicher war. Doch angesichts des verlangsamten Wachstums in China und der deutlich gesunkenen Rohstoffpreise sind die wirtschaftlichen Aussichten nicht gerade rosig.

Das Auftreten der BRICS+
Die überambitionierten fiskalischen Strafmaßnahmen, zu denen US-Finanzministerin Janet Yellen im März 2022 gegriffen hat, sind ein wesentlicher Grund dafür, dass so viele Länder nun einem künftigen, entdollarisierten BRICS+-Block beitreten wollen. Sie alle wissen, wie unberechenbar die politischen Beziehungen zum US-Außenministerium sind, das für seine abrupten Kurswechsel bekannt ist. Und das nicht erst, seit Donald Trumps »paläokonservative« Ideologie durch eine »neokonservative« Wende in der außenpolitischen Doktrin Washingtons ersetzt wurde.
Bei diesem Ansatz sollen »demokratische« Ideale und eine neoliberale Wirtschaftspolitik notfalls mit Gewalt durchgesetzt werden. Neben der Möglichkeit, dass Trump Anfang 2025 wiedergewählt wird, sind prowestliche BRICS-Diktatoren wie Saudi-Arabien besorgt darüber, dass Washington die Führer seiner Satellitenstaaten mal unterstützt und mal bekämpft, ohne dass eine Logik erkennbar wäre.
Der Fall Saudi-Arabien ist besonders aufschlussreich. Während des US-Wahlkampfs 2020 machte der Präsidentschaftskandidat Joe Biden das Land zu einem der Hauptziele seiner außenpolitischen Rhetorik, da die Führung in Riad 2018 den brutalen Mord an dem kritischen Journalisten Jamal Khashoggi angeordnet hatte. Mitte 2022 änderte Präsident Biden jedoch seinen Kurs und stattete dem Kronprinzen Mohammed bin Salman (MBS) einen persönlichen Besuch ab, bei dem er ihn vergeblich um eine höhere Ölproduktion (zu niedrigeren Preisen) bat.
Saudi-Arabien schloss stattdessen nicht nur Anfang 2023 ein vorläufiges Friedensabkommen mit dem Iran, wobei China als Vermittler fungierte, sondern führte auch ein »Petro-Yuan«-Handelssystem ein, das die Vorherrschaft des US-Dollars untergraben sollte. Washington versuchte acht Monate lang recht ungeschickt, diese Vereinbarung rückgängig zu machen und machte ein eigenes Angebot, das auch den Beitritt Saudi-Arabiens zum Abraham-Abkommen* beinhaltete, das noch unter Trump unterzeichnet worden war.
Vor dem aktuellen Ausbruch der Gewalt in Palästina sollten sich die saudi-israelischen Beziehungen in ähnlicher Weise »normalisieren« wie die Beziehungen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) im Jahr 2020.
Nun, da das neue BRICS+-Bündnis langsam Gestalt annimmt, fallen zwei Merkmale sowohl der eingeladenen als auch der Kandidatenländer auf: in wirtschaftlicher Hinsicht das erdrückende Gewicht der fossilen Energiewirtschaft, in politischer Hinsicht ihr diktatorischer Charakter, verkörpert durch MBS. Neben den sechs ausgewählten Ländern wurden im August weitere Namen von Beitrittskandidaten veröffentlicht, die wahrscheinlich 2024 eingeladen werden, wenn Russland Gastgeber der BRICS ist: Algerien, Bangladesh, Bahrain, Belarus, Bolivien, Kuba, Honduras, Indonesien, Kasachstan, Kuwait, Marokko, Nigeria, der Staat Palästina, Senegal, Thailand, Venezuela und Vietnam.

Ein Haufen autoritärer Regime
Es handelt sich um eine bunt zusammengewürfelte Gruppe, die nicht durch gemeinsame ideologische Grundsätze, sondern durch tief verwurzelte antisoziale, antiökologische und eigennützige Profitinteressen gekennzeichnet ist.
Für China und Russland sind die Beitritte Saudi-Arabiens und des Iran die größten Gewinne, die den Weg für eine weitere Expansion nach Westen und Zentralasien ebnen. Wenn alle 23 Beitrittskandidaten aufgenommen würden, würde das BRICS+-Bündnis auf insgesamt 28 Staaten anwachsen. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die in der UN-Generalversammlung ihre Unterstützung für Putin signalisiert haben, indem sie gegen die UN-Resolution zum russischen Truppenabzug aus der Ukraine gestimmt oder sich wie Südafrika auf eine neutrale Position zurückgezogen haben, indem sie sich der Stimme enthielten. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die sich auf die Seite der Ukraine gestellt haben. Neben Brasilien gehören auch 14 neue Beitrittskandidaten zu diesem Lager: Ägypten, Argentinien, Bahrain, Bangladesh, Honduras, Indonesien, Kuwait, Marokko, Nigeria, der Staat Palästina, Saudi-Arabien, Senegal, Thailand und die Vereinigten Arabischen Emirate. Die 13 BRICS- oder potenziellen BRICS+-Länder, deren Regierungen im März 2022 gegen die UN-Resolution gestimmt oder sich enthalten haben, sind Äthiopien, Algerien, Belarus, Bolivien, China, Kuba, Indien, Iran, Kasachstan, Russland, Südafrika, Venezuela und Vietnam.
Von den Kandidaten können nur Argentinien, Bolivien und Honduras uneingeschränkt als demokratisch bezeichnet werden; sie könnten sich damit den demokratischen Gründungsmitgliedern Brasilien und Südafrika anschließen. (Im Falle Argentiniens könnte sich das schnell ändern.) Aus gutem Grund konnten sich die BRICS+-Kandidaten Bolivien, Kuba, Palästina und Venezuela zumindest im 21.Jahrhundert immer der Solidarität der Linken sicher sein, auch wenn im Falle Venezuelas die progressiven Werte im Jahrzehnt nach dem Tod von Hugo Chávez allmählich verblassten. Und natürlich hegt die Linke immer noch nostalgische Gefühle für die antikolonialen Befreiungsbewegungen der 1960er Jahre in Algerien und Vietnam.
Besorgniserregend an dieser Liste ist auch die große Zahl reaktionärer Regime, die sich seit langem im westlichen Einflussbereich zu Hause fühlen: Indonesien, Kuwait, Marokko, Saudi-Arabien, Thailand und die Vereinigten Arabischen Emirate. Die Tatsache, dass diese Staaten nun ihre Loyalität zum BRICS-Bündnis durch einen Beitrittsantrag zum Ausdruck bringen, ist keineswegs in Stein gemeißelt und wird von kurzer Dauer sein, sollte sich die geopolitische Lage ändern.

Die »subimperiale Mission« der BRICS
Angesichts der wackeligen Allianzen und der Unentschlossenheit der aufstrebenden Staaten werden weder die BRICS noch ein künftiger BRICS+-Block Impulse für eine gerechtere Welt geben, egal wie oft sich die teilnehmenden Staaten verbal zu diesem Ziel bekennen. Auf früheren BRICS- Gipfeln wurden oft ehrgeizige multilaterale Reformbemühungen artikuliert und Visionen einer vom Westen unabhängigen, institutionellen, medizinischen und finanziellen Zusammenarbeit skizziert.
Die Ergebnisse waren jedoch nicht zufriedenstellend. Ein herausragendes Beispiel ist die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Covid 19. Er war von entscheidender Bedeutung, als die Pandemie zwischen 2020 und 2022 zwischen 7 und 25 Millionen Menschen tötete, je nach den Schätzungen der »Übersterblichkeit«, die mindestens das Dreifache der offiziellen Zahl der Todesfälle in Indien, Brasilien und Südafrika betrug. Auf dem Johannesburg-Gipfel 2018 wurde die Eröffnung eines BRICS-Impfstoffzentrums am selben Ort angekündigt, aber tatsächlich ist nichts geschehen. Auch blieben viele Fragen zur Wirksamkeit der russischen und chinesischen Impfstoffe im Vergleich zur westlichen mRNA-Technologie unbeantwortet. (Südafrika hat sogar den russischen Impfstoff Sputnik aufgrund von Gesundheitsbedenken für HIV-Infizierte nicht zugelassen.)

Trügerische Hoffnungen
Da der Internationale Währungsfonds (IWF) regelmäßig die Souveränität armer Staaten verletzt und ihnen neoliberale Dogmen, Austeritätspolitik und Privatisierungsmaßnahmen aufzwingt, weckte die Gründung der BRICS die trügerische Hoffnung auf eine echte, multilaterale Alternative im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.
Das 2014 vereinbarte BRICS Contingent Reserve Arrangement (CRA) sah einen 100 Milliarden US-Dollar schweren Reservefonds zur Absicherung der Mitgliedstaaten vor. Dieses Instrument stärkte jedoch von seiner Konzeption her den IWF, da es BRICS-Kreditnehmer, die mehr als 30 Prozent ihres Kreditlimits in Anspruch nehmen wollten, dazu verpflichtete, sich zunächst einem Strukturanpassungsprogramm des IWF zu beugen, und so Washington half, seine finanzielle Macht auszuweiten.
Als die BRICS-Finanzminister während der Pandemie 2020 ihre dunkelsten Stunden erlebten und der südafrikanische Amtsinhaber Tito Mboweni glaubte, einen wirtschaftlichen Zusammenbruch nur mit einem 4,3-Milliarden-Dollar-Kredit verhindern zu können, wandte er sich an den IWF und nicht an den BRICS-Reservefonds.
Diese falsche »Alternative« war also nicht nur ein Verpackungsbetrug, sie existierte nur auf dem Papier.
Die Gewohnheit der BRICS-Gemeinschaft, »links zu reden, um rechts zu gehen«, zeugt ebenfalls von ihrer Mittelmäßigkeit: Die Teilnehmer beschweren sich über den westlichen Imperialismus, ohne etwas gegen das Regelwerk der neoliberalen Weltordnung zu unternehmen. Obwohl es den BRICS-Ländern gelungen ist, ihr Stimmengewicht in den Gremien von IWF und Weltbank zu stärken, sodass ihre Mitglieder bis Ende der 2010er Jahre fast 15 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnten – auf Kosten ärmerer Länder wie Nigeria und Venezuela, deren Stimmanteile um jeweils mehr als 40 Prozent schrumpften –, werden die Führungen beider Finanzinstitutionen nach wie vor von europäischen Regierungen bzw. der US-Regierung ernannt.
Die als Washingtoner Konsens bekannte wirtschaftspolitische Doktrin bleibt unangefochten, ebenso wie die räuberische Kreditvergabepraxis der Bretton-Woods-Institutionen. Und auch wenn die Direktoren dieser Institutionen sowie die Vertreter der BRICS-Länder gelegentlich darüber klagen, haben letztere es sogar versäumt, ihre eigenen Kandidaten für die Spitzenpositionen des IWF oder der Weltbank vorzuschlagen, obwohl sich seit 2011 fünf Gelegenheiten dafür boten.
Der enorme Hype um die Entdollarisierung platzte bereits im unmittelbaren Anschluss an ein Treffen der BRICS-Außenminister im Juni dieses Jahres. Der gewöhnlich optimistische brasilianische Journalist Pepe Escobar sagte daher Anfang August richtig voraus:
»Die BRICS werden in Südafrika keine neue Währung ankündigen, vor allem weil sie sich noch nicht einmal mit den Details beschäftigt haben. Wie soll das funktionieren? Außerdem kann man eine neue Währung nicht einfach so einführen. So etwas kann gut zehn Jahre dauern. Woran sie im Moment arbeiten und was sie in den nächsten Jahren weiter verbessern werden, sind Handelsabkommen auf der Grundlage der Mitgliedswährungen, die dann auf die BRICS+ ausgedehnt werden.«
Aber selbst an dieser einfachen Front gab es kaum Fortschritte.
Diese Zurückhaltung im Kampf gegen zentrale imperialistische Strukturen ist nicht überraschend. Bereits in den 2010er Jahren wurde immer wieder deutlich, dass die BRICS-Staaten für die sog. unipolare Weltordnung der Achse Washington–Brüssel–London–Tokio arbeiten, statt sich dagegen aufzulehnen. Dies wurde erstmals im Hinblick auf die Klimarahmenkonvention der UNO deutlich, als Barack Obama Lula, Wen Jiabao, Manhoman Singh und Jacob Zuma 2009 auf der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen zu einem Geheimtreffen beiseite nahm, um einen am Status quo orientierten Entwurf auszuhandeln, den sie dann allen anderen Staaten aufzwangen.

Keine Gamechanger
In einem 2019 posthum veröffentlichten Buch äußerte sich der ägyptische Marxist Samir Amin vernichtend über Südafrika, das »seine subimperialistische Rolle besser denn je spielt, schließlich befindet es sich noch immer im Griff der angloamerikanischen Bergbaumonopole«. In seinem 2015 erschienenen Essay »Contemporary Imperialism« metaphorisierte Amin die Situation:
»Die andauernde Offensive des kollektiven Imperialismus der USA, Europas und Japans gegen die Völker des globalen Südens hat zwei Säulen: die wirtschaftliche – der Neoliberalismus, der der ganzen Welt als einzig mögliche Wirtschaftspolitik aufgezwungen wird; und die politische – die andauernde imperialistische Einmischung und Präventivkriege gegen alle, die sich ihr widersetzen. Die Länder des globalen Südens, wie die BRICS-Länder, stützen sich bei ihrer Antwort bestenfalls auf eine Säule: Sie lehnen die imperialistische Geopolitik ab, akzeptieren aber den wirtschaftlichen Neoliberalismus.«
Eines ist sicher: Das Pentagon mit seinen 800 ausländischen Militärbasen und einem Jahresbudget von 900 Milliarden US-Dollar hat keine wirkliche Konkurrenz, auch wenn Russland über ein größeres Atomwaffenarsenal verfügt. Und die BRICS-Staaten handeln ohnehin sehr unterschiedlich und unabhängig voneinander: Manchmal nehmen sie an westlichen Militäroperationen teil, manchmal nicht. In all dem steckt eine gewisse »Schizophrenie«, die typisch für den »Subimperialismus« ist, wie der zimbabwische Wissenschaftler Sam Moyo einmal bemerkte.
Diese Schizophrenie kommt beispielsweise in Lulas Entscheidung zum Ausdruck, zwischen 2004 und 2017 36000 brasilianische Soldaten nach Haiti zu entsenden, um im Auftrag der USA und Frankreichs die Drecksarbeit zu erledigen und die Unzufriedenheit vor Ort zu unterdrücken. Oder in Indiens Beteiligung an der Quad-Gruppe, einem von westlichen Mächten dominierten Militärbündnis gegen China. Und es zeigte sich 2021, als Südafrika seine Streitkräfte im Norden Mosambiks einsetzte, um die »Blutmethan«-Anlagen von TotalEnergies und ExxonMobil vor einem islamistischen Aufstand zu schützen.
Die Regierungen der BRICS-Länder und ihre Zusammenarbeit sind keine »game changer«. Die einzige verbleibende Hoffnung liegt in der Ausweitung der mutigen und kraftvollen sozialen Bewegungen, die in den BRICS-Ländern in den letzten Jahren entstanden sind. Sie reichen von der brasilianischen Landlosenbewegung über die Antikriegsaktivisten in Russland bis hin zu den verschiedenen Massenbewegungen in Indien, den zahlreichen Kämpfen der chinesischen Arbeiter, den Demokratiebewegungen der Uiguren, Tibeter und Hongkonger sowie den südafrikanischen Bewegungen von Studenten, Gesundheitsaktivisten und Bewohnern städtischer Slums.
Inspiration kommt auch aus den BRICS+-Ländern, etwa von iranischen Frauen, ägyptischen und saudischen Menschenrechtsaktivisten, fortschrittlichen Kräften in Algerien, der argentinischen Antischuldenbewegung, Boliviens umweltbewussten indigenen Gemeinschaften, den emanzipatorischen Kräften in Honduras, kasachischen Antiautoritären, der nigerianischen Umweltbewegung, dem palästinensischen sozialen Widerstand gegen die israelische Besatzung und den Reformkräften im Senegal, um nur einige zu nennen. Sie alle eint der Wunsch, in einer Welt ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Umweltzerstörung zu leben, die von den BRICS+-Regimen mit gegenteiliger Rhetorik verstärkt und nicht verbessert werden.

*Die »Abraham-Abkommen« bezeichnen eine Reihe von Verträgen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und einigen arabischen Staaten, die durch US-Vermittlung zustande kamen. In der »Abraham-Erklärung« bekräftigten die Unterzeichner ihren Wunsch nach einer Stärkung des Friedens im Nahen Osten. Die Vereinbarung wurde am 15.September 2020 vor dem Weißen Haus in Washington von den USA (als Vermittler), den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Israel unterzeichnet. Gleichzeitig schlossen die VAE und Israel ein Friedensabkommen, Israel und Bahrain, später auch der Sudan und Marokko vereinbarten die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Bei dem Zustandekommen der Verträge spielte Israel nur eine Nebenrolle, denn sowohl die Golfstaaten, als auch der Sudan und Marokko erhielten Gegenleistungen von den USA.

Patrick Bond ist Wirtschaftswissenschaftler und Professor für Soziologie und Direktor des Zentrums für sozialen Wandel an der Universität von Johannesburg.
In den Jahren 1994 und 1996 arbeitete er im Ministerium für Wiederaufbau und Entwicklung im Büro von Präsident Nelson Mandela an der Ausarbeitung des ersten Weißbuchs der demokratischen Regierung und anderen politischen Maßnahmen.
Sein bekanntestes Werk ist, neben einem halben Dutzend Bücher über Ökonomie und Umwelt, Elite Transition. From Apartheid to Neoliberal­ism in South Africa (revised and expanded edition, Pluto Press, 2014)

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