... keine braven Schwiegersöhne
Ingar Solty im Gespräch mit Gerhard Klas
Ingar Solty ist Referent für Außen-, Friedens- und Sicherheitspolitik am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Im Vorfeld des Parteitags der LINKEN befürchten viele, dass es zu einer Spaltung der Partei kommt. Könnte ein solcher Bruch auch eine Chance sein?
Viele Dinge sind offen. Klar ist, dass die Linkspartei heute eine Partei nach Sahra Wagenknecht ist. Sie hat erklärt, nicht wieder anzutreten. Die Frage ist also: Gründet Wagenknecht eine neue Partei? Die Antwort ist heute: Wahrscheinlich. Aber was würde daraus folgen? Und für wen oder was könnte es eine Chance sein? Viele Funktionäre würde Wagenknecht wohl nicht mitnehmen. Aber auch ohne diesen Aderlass geht es stark an die Substanz der strapazierten Wahlkampffähigkeit. Ließe sich das umkehren? Mit welchen neuen Kräften?
In den letzten Jahren hat der Zustrom an neuen, jüngeren Mitgliedern mit neuen Themen – Mieten, prekäre Beschäftigung, Angst vor der AfD, Klima – die Plattentektonik der Partei verändert. Er trägt mit zu ihrer Zögerlichkeit bei, weil auch der politökonomisch-imperialismustheoretische Unterbau fehlt.
Würde der Weggang von älteren, marxistisch-traditionalistischeren und auch friedenspolitisch gefestigteren Leuten tatsächlich den linken Flügel der Partei schwächen? Könnten deshalb die friedenspolitischen Beschlüsse aufgeweicht werden, wie der Vorwurf lautet?
Eigentlich wird gerade zerrissen, was zusammengehört: Migration, Pandemie, Ukrainekrieg, alsbald der Umgang mit China usw.
Dann stellt sich die Frage: Was würde eine Wagenknecht-Partei für das Parteiensystem bedeuten? Es ist unklar, ob sie tatsächlich die AfD-Stimmen halbieren und problemlos in den Bundestag einziehen würde. Wäre das eine dauerhafte oder bloß kurzfristige Schwächung der Rechten? Niemand kann das sagen.
Fest steht, Die LINKE muss sich darauf einstellen, dass sie Kader und auch einiges an Wählerpotenzial an Wagenknecht abgibt, und versuchen neue Kräfte zu gewinnen, um die dann fehlenden 1–3 Prozent Wählerstimmen für den Wiedereinzug in den Bundestag zu mobilisieren. SPD- und Grüne-Enttäuschte zurückzugewinnen, wird nicht ausreichen. Ohne konsequente Nichtwählerstrategie geht es nicht.
Dafür braucht es aber Angriffslust, Mut, klare Haltung und Positionierung. Nur so erreicht man »issue ownership«, d.h. dass man Themen besetzt und als ein klar markierter Pol in der Auseinandersetzung erscheint. In den letzten Jahren hatte diese allein die AfD mit den Themen Migration, Corona, Krieg/Frieden, Klima/Heizungsgesetz. Das erklärt ihren Aufstieg.
Wie kommt es, dass nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Ländern nationalchauvinistische Parteien im Aufwind sind?
Zentristische Parteien polarisieren durch ihre prokapitalistische Politik die Gesellschaft: in reich und arm, Gewinner und Verlierer, Dazugehörige und Ausgeschlossene, auch symbolisch Auf- und Abgewertete, funktionierende Inseln des Wohlstands gegen abgehängte Regionen mit kaputter Infrastruktur. Wer die Gesellschaft so polarisiert, darf sich nicht wundern, wenn sich auch die Politik polarisiert.
Das liberale Zentrum erodiert, weil es keine Vision der Veränderung hat, bei der alle mitgenommen werden. Weil es keine Antworten auf die großen Fragen und Krisen der Zeit hat: Kapitalismus, Geschlechtergerechtigkeit, sozialer Zusammenhalt in Zeiten des digitalen und anderer Umbrüche, demokratische Teilhabe, Ökologie, Klima und die Krise der von den USA nach 1945 geschaffenen und nach 1991 globalisierten kapitalistischen Weltordnung.
Die Zerstörung der Gesellschaft und berechtigte Veränderungsängste sind jedoch der Humus der extremen Rechten. Sie erstarkt, wenn die Verhältnisse untragbar geworden sind, aber eine starke sozialistische Kraft fehlt, die glaubwürdig und realistisch Wege aus der Gesellschaftskrise aufzeigen kann, die alle mitnehmen. So entsteht aus grassierender Angst Ausgrenzungsideologie: Nationalismus, Rassismus, Unmenschlichkeit.
Die Rechte profitiert von dem weit verbreiteten Überdruss mit dem politischen System. Sie inszeniert sich mit Erfolg als »Anti-Establishment-Parteien«. Was bedeutet das für die Linke? Wie sollte sie auf die Krise des Parlamentarismus und der politischen Legitimation antworten?
Die LINKE muss nicht nur tragfähige Beschlüsse fassen. Sie muss auch mutiger, angriffslustiger, provozierender auftreten. Sie war stark, solange sie als SED-Nachfolge/Mauerschützen/Steinzeitkommunisten-Partei der Paria war. Diesen Status hat sie mittlerweile an die AfD abgegeben. Aber eine Schwiegersöhnchen-Partei »links der Mitte« braucht es in Deutschland nicht.
Es braucht eine linkssozialistische Partei am linken Flügel der organisierten Arbeiterbewegung, die radikale Reformen wie Tarifgebundenheit bei öffentlichen Aufträgen, »Mietendeckel« oder »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« durchficht und zugleich alles Erkämpfte nur als Verbesserung der Kampfposition für den Sozialismus ansieht und auch so kommuniziert. Eine Partei, die Hoffnung macht, dass eine bessere Welt für alle möglich ist. Die LINKE genießt enormes Vertrauen als soziales Gewissen. Aber das reicht nicht. Es braucht eine große Erzählung.
Die »rechtspopulistischen« Parteien profilieren sich vor allem beim Thema Migration. Soll die Linke weiterhin »offene Grenzen« fordern?
»Offene Grenzen« ist keine zentrale linke Forderung und war das auch nie. Grenzenlose Bewegungsfreiheit ist eine langfristige Vision. Als solche ist sie gut und richtig. Sozialismus heißt Weltgemeinschaft. Konkret aber muss linke Politik neben dem »Recht zu migrieren« und dem weitreichenden Recht auf Asyl und Schutz vor Verfolgung auch für das »Recht zu bleiben« kämpfen.
Konkret heißt das: Kampf um eine gerechte Weltwirtschaftsordnung, Kampf gegen die neue Blockkonfrontation und für eine neue Friedensordnung in Europa und der Welt, Kampf für den radikalen ökosozialistischen Umbau der Wirtschaft, um die Klimafluchtursachen einzudämmen. Und Kampf für eine aktive Industrie- und Strukturpolitik, die die Geografie Deutschlands und Europas nicht dem Markt überlässt.
Das Konzept der »Mosaiklinken«, also der Schulterschluss mit sozialen, ökologischen und identitätspolitischen Bewegungen, war zumindest an den Wahlurnen kein Erfolg. Welches Verhältnis sollte eine linke Partei zu ihnen pflegen?
Man mag das bedauern: Aber es braucht ein ausgewogenes Verhältnis aus Bewegungsorientierung und einer parlamentarischen Demokratie, in der Wähler ihren Willen delegieren. Wenn die Partei 250000 Städter gegen TTIP, für Flüchtlingssolidarität und gegen rechts mobilisiert und direkt danach Landtagswahlen verliert, sollte das zu denken geben. Es braucht neben der ideologisch mobilisierenden Politik eine ganz grundlegende Interessenpolitik: für Arbeit, Miete, Rente, Gesundheit. Das ist der Angelpunkt.
Damit verknüpft ist aber auch die Frage der Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften: Die LINKE muss Fragen, die Millionen betreffen, ins Zentrum ihrer Politik rücken. Die Frage der Deindustrialisierung bspw. ist real. Bei einer SPD-geführten Bundesregierung in der Defensive führt dies jedoch in den Gewerkschaften zu Wettbewerbskorporatismus, Standortnationalismus, Strukturkonservatismus.
Die LINKE muss die Ängste aufgreifen, aber die Stimme sein, die die Krise für radikal andere Horizonte nutzt, die vom realen Problem ausgehend Perspektiven des Sozialismus aufzeigt: Industriestrompreis ok, aber nur gegen Eigentumstitelüberführung in die öffentliche Hand.
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