Eine innerparteiliche Auseinandersetzung
Andrej Hunko im Gespräch mit Matthias Becker
Andrej Hunko (Aachen) sitzt für Die LINKE im Bundestag. Er gehört dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) an.
Im Vorfeld des Parteitags der LINKEN befürchten viele, dass es zu einer Spaltung der Partei kommt. Könnte ein solcher Bruch auch eine Chance sein?
Ich hoffe jedenfalls, falls Sahra Wagenknecht ein neues Parteiprojekt startet und dass das eine politische Dynamik auslöst. Bei den letzten Bundestagswahlen haben die drei Direktmandate der Partei De LINKE noch einmal eine Gnadenfrist verschafft. Anschließend gab es sogar eine erstaunlich große Zahl von Neueintritten. Aber die Partei ist nicht in der Lage, ihre Fehler zu analysieren und zu lernen.
Ich persönlich habe schon den Parteitag in Erfurt 2022 als eine Art Schlusspunkt erlebt. Ein Antrag zum Ukrainekrieg von Sahra Wagenknecht, mir und anderen wurde mit nur knapp 30 Prozent abgelehnt, weil er auch die Vorgeschichte und Mitverantwortung der NATO bei der Eskalation betonte. Ich bin überzeugt davon, dass Friedensverhandlungen undenkbar sind, wenn nicht die Sicherheitsbedenken aller Seiten auf den Tisch kommen, also auch die Russlands. Dann kam die Demo am 25.Februar in Berlin am Brandenburger Tor und die Petition für Friedensverhandlungen von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer, die 800000 Menschen unterzeichnet haben. Das war die machtvollste Antikriegsmanifestation der letzten Jahre – und die Partei hat sich davon distanziert! Eine konsequente Friedenspolitik ist unter den Funktionären im Parteivorstand und in den Landesvorständen der Partei Die LINKE nicht mehr mehrheitsfähig.
In vielen Ländern sind rechtsnationalistische Parteien im Aufwind, in Deutschland die AfD. Wie verändert das die Aufgaben einer Partei links der Mitte? Wie kann sie in die Offensive kommen?
Sie muss zurückkehren zu einer Klassenpolitik, mit dem Kernthema Sozialpolitik und Frieden. Programmatisch müssten vier Kernpunkte vertreten werden:
Erstens braucht es eine Politik der wirtschaftlichen Vernunft. Das heißt auch ein Ende der wirkungslosen Wirtschaftssanktionen gegen Russland und der immer krasseren Sanktionsmanie, die die Wirtschaft in Deutschland durch massiv gestiegene Energiepreise in eine existentielle Krise stürzt.
Zweitens soziale Gerechtigkeit. Der Bundeshaushalt sieht etwa 85 Milliarden für Aufrüstung vor, während überall sonst – im sozialen Bereich, bei der Bildung, bis hin zu zivilen Instrumenten der Außenpolitik – gekürzt wird.
Drittens diplomatische Initiativen für Friedensverhandlungen, so wie sie ein Großteil der Welt außerhalb der NATO-Staaten fordert.
Viertens Meinungsfreiheit: Gegen die Verengung der öffentlichen Debatte, etwa in der Außen- oder Gesundheitspolitik, wie z.B. im Zusammenhang mit der mangelnden Aufarbeitung der Corona-Politik.
Laut Umfragen können sich 20 Prozent der Bevölkerung vorstellen, einer solchen Partei ihre Stimme zu geben. Sie hätte also gute Chancen, mit Erfolg bei den Europawahlen im Sommer nächstes Jahr anzutreten.
Die AfD hingegen ist eine zutiefst rassistische und neoliberale Partei und will noch mehr Aufrüstung. Trotzdem wird sie von vielen Menschen gewählt, die arm und gegen Kriege sind. Den rechten Parteien gelingt es, ein legitimes gesellschaftliches Unbehagen aufzugreifen und nach rechts zu lenken. Ich erinnere mich beispielsweise an den Wahlkampf 2013, als auf einem AfD-Plakat zur Eurokrise stand: »Die Griechen leiden, die Deutschen zahlen, die Banken kassieren!« – solche geschickte Polemik kommt an!
Die LINKE muss das gesellschaftliche Unbehagen ansprechen, wir müssen Widersprüche aufzeigen und Antworten geben, statt sie mit moralisierenden Kampagnen zu überkleistern. Wir stecken in einer Situation, in der die Rechte scharfe Opposition macht und die Linke verblasst. Bei einer aktuellen Stunde im Bundestag zur Sprengung von Nord Stream 2 kamen bspw. über 50 Abgeordnete der AfD, von der LINKEN waren wir nur zu viert.
Die Rechte profitiert von dem weit verbreiteten Überdruss mit dem politischen System und dem Misstrauen gegen die etablierten Parteien. Sie inszenieren sich mit Erfolg als »Anti-Establishment-Parteien«. Was bedeutet das für Die LINKE?
Das ist ein Riesenproblem. Ich war sieben Jahre im Parteivorstand, wir haben damals Analysen bekommen, warum Leute Die LINKE wählen. Der wichtigste Beweggrund war regelmäßig: »Weil Die LINKE ausspricht, was andere nicht sagen.« Das war ein oppositioneller Impuls, gegen den Meinungseinheitsbrei. Heute hat die AfD diese Rolle übernommen.
Das Konzept der »Mosaiklinken« – vereinfacht gesagt: der Schulterschluss mit sozialen, ökologischen und identitätspolitischen Bewegungen – war zumindest an den Wahlurnen kein Erfolg. Welches Verhältnis sollte eine linke Partei zu diesen Bewegungen pflegen?
Der Idee einer Parteineugründung wird manchmal entgegengehalten, eine Entwicklung wie in Italien zu befördern, also die Zersplitterung der Linken bis zu ihrer parlamentarischen Bedeutungslosigkeit.
Ich habe eher die Entwicklung in Frankreich vor Augen, wo La France Insoumise mit Jean-Luc Mélenchon zunächst die Brücken zur traditionellen Linken, also der PCF oder der Neuen Antikapitalistischen Partei, abgebrochen hat und dann trotzdem im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl mit über 20 Prozent nur 1,2 Prozentpunkte hinter Le Pen lag.
La France Insoumise ist heute mit 72 Parlamentsabgeordneten eine starke politische Kraft, die es in den letzten Jahrzehnten in der Assemblée Nationale nicht gab. Auf dieser Grundlage sucht Mélenchon jetzt Bündnisse mit Kommunisten, Sozialisten oder auch den Grünen. Es erscheint mir auch in Deutschland sinnvoll, zumindest vorübergehend getrennt zu marschieren.
Die rechten Parteien profilieren sich vor allem beim Thema Migration. Soll die Linke weiterhin »offene Grenzen« fordern?
Es ist jedenfalls ein politischer Fehler, wenn wir uns auf die Frage festnageln lassen: »Bist du für offene Grenzen oder nicht?« Ich bin natürlich für eine humanistische Migrationspolitik, gegen die Hetze gegen Migranten und dagegen, Flüchtlinge zu Sündenböcken zu machen. Aber unser Kernthema ist die Kritik an mächtigen Akteuren in der Weltpolitik wie der Bundesregierung und der Europäischen Union, und an den Fluchtursachen. Um das an einem Beispiel zu verdeutlichen: Ich setze mich selbstverständlich für die Flüchtlinge aus Afghanistan ein. Aber in Afghanistan hungern gegenwärtig 20 Millionen Menschen als Folge der kompletten Wirtschaftsblockade, die von der Bundesregierung mitgetragen wird. Das müsste im Mittelpunkt der Kritik stehen.
Der Aufstieg der Rechten hat noch eine tiefere Ursache. Alle sozialen Errungenschaften wie Arbeitsrechte und Sozialgesetzgebung sind nationalstaatlich organisiert. Meine Rente, meine Krankenversicherung, der soziale Schutz vor einem globalisierten Kapitalismus, ist in der unmittelbaren Erfahrung der meisten Menschen der Nationalstaat. Wenn die Linke den Eindruck erweckt, dass sie diese Organisationseinheit schwächen will, auch in ihrer Schutzfunktion, folgt eine entsprechende Abwehrreaktion. Das wird dann propagandistisch von rechts ausgeschlachtet. Eine kluge linke Politik müsste dem Rechnung tragen, ohne in den Rassismus der Rechten zu verfallen.
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