Die LINKE nach den Wahlen in Hessen und Bayern
von Violetta Bock
Die Landtagswahlen in Hessen und Bayern waren Denkzettelwahlen und verfestigten die Rechtsverschiebung.
Nur ein Drittel der Wähler:innen sind mit der Ampel zufrieden. Die Zeiten sind von Krisen geprägt. Im Wunsch nach Stabilität wurde auf Landesebene mehrheitlich die regierende Partei gewählt, die im Bund in der Opposition ist: die CDU. Hessen ist bis auf drei Bezirke schwarz gefärbt. Die SPD verlor alle Direktmandate, selbst in ehemaligen Hochburgen.
Bei der SPD ist der Verlust nicht nur mit der Ampel zu erklären. Nancy Faeser schien als Bundesinnenministerin vor allem im konservativen Lager Stimmen punkten zu wollen. Seit Anfang des Jahres präsentierte sie sich als Hardlinerin in der Migrationsdebatte und Innenpolitik. Wähler:innen konnte sie damit keine gewinnen, sie fuhr das schlechteste Ergebnis der SPD ein. Nicht zum ersten Mal ist eine hessische Landtagswahl von rassistischen Debatten bestimmt. Die Ampelparteien übernehmen das Thema »Migration« gerne. Schließlich lenkt es vom eigenen Kürzungshaushalt auf Bundesebene ab.
Die Grünen als Ampelpartner und geräuschloser Koalitionspartner in Hessen verlieren (?5 Prozentpunkte). Angetreten sind sie, um den Ministerpräsidenten zu stellen. Geendet sind mit 14,8 Prozent auf Platz vier. Mit dem Verschluss der NSU-Akten und dem Autobahnausbau im Danni verloren sie bei ihren angeblichen Kernthemen an Glaubwürdigkeit. Die FDP schafft es mit 5 Prozent gerade so in den Landtag.
Die Gewinner des Abends sind, wie in Umfragen befürchtet, CDU (+7,6 Prozentpunkte auf 34,6 Prozent) und AfD (+5,3 Prozentpunkte), die erstmals zweitstärkste Partei wird. Dadurch erhält sie als größte Oppositionsfraktion Rechte, wie die erste Gegenrede zu Regierungserklärungen, sie kann Untersuchungen einleiten und hat nun jede Menge weitere Ressourcen.
Die gesamtgesellschaftliche Linke befindet sich in einer Zeit verschränkter Krisen durch das kapitalistische System in der Defensive. Das zeigte sich auch bei den Landtagswahlen. In Bayern hatte wohl niemand damit gerechnet, dass der Einzug gelingt, in Hessen fliegt Die LINKE im letzten Flächenland mit 3,1 Prozent nach 15 Jahren aus dem Parlament. Umfragen hatten dies zwar seit Monaten bescheinigt, doch waren diese bei vorherigen Landtagswahlen immer knapp.
Unter die Räder gekommen
Die Situation der Bundespartei war von Anfang an Gegen- und kein Rückenwind. Ein unscharfes Profil sorgt für Vertrauensverlust. Die hessische Linke ist ein linker Landesverband, bewegungsorientiert, klar in der Antikriegshaltung, wenig zerstritten in Strömungsfragen. Die Auseinandersetzung um interne sexuelle Übergriffe und der Umgang damit haben den Verband erschüttert. Vielleicht hat man sich deshalb lieber auf Landesthemen konzentriert – Wohnen, Bildung, Gesundheit, Armut, Rote Karte gegen Rassismus, Verkehrs- und Energiewende. Diese Themen drangen in der Fläche aber nicht durch – angesichts der Dominanz der großen bundesweiten Vorstöße. Der allgemeine Slogan »Macht Hessen gerecht« fasste in dieser Situation die aktuelle Aufgabe der LINKEN nicht zusammen. Es ging bei dieser Wahl nicht um eine Rolle in einer Koalition, sondern um linke Opposition im Landtag. Es ging nicht um Gerechtigkeit, sondern um Widerstand.
Viele bescheinigen der LINKEN im Landtag eine sehr gute und fundierte Arbeit. Offensichtlich reicht das nicht. Die Zusammenarbeit auf Verbandsebene und mit einzelnen führenden Akteuren kam nicht in der Breite an. Außerparlamentarische Initiativen riefen nicht scharenweise dazu auf, Die LINKE zu unterstützen, um eine linke Opposition zu erhalten – obwohl sie ihnen in den letzten Jahren nicht nur mit Informationen, Anfragen, durch ihre strukturellen Ressourcen und als parlamentarische Beobachtung dienlich war.
Trotz der Unzufriedenheit mit der Ampel, trotz der zahlreichen Krisen, wurde Die LINKE nicht zum Anlaufpunkt der Rebellion oder von Protest. Ihre meisten Wähler:innen verlor sie an die Nichtwähler:innen. Die knappen Umfragewerte und eine mediale Kampagne, die der LINKEN bereits den Niedergang bescheinigte, verstärkten diesen Trend. Die Bekanntheit von Janine Wissler konnte seit ihrem Weggang nach Berlin niemanden erreichen. Ohne mediale Öffentlichkeit, ohne bekannte und anerkannte Genoss:innen ist es in einem ländlich geprägten Flächenland nicht möglich durchzudringen. Trotz engagiertem Wahlkampf und hoher Motivation wurde die magische Fünf nur in den Städten geknackt.
Und auch hier kommt es auf die konkrete Situation an. Verloren wurde überall. In Kassel-Stadt etwa holte die Linke in den beiden Wahlkreisen 7,9 und 9,3 Prozent. Im Stadtverband besteht Einigkeit, dass dies Ergebnis von jahrelanger Verankerung und der Kombination aus Kümmern und Kämpfen ist. Positiv ist, dass es wie bei der Oberbürgermeisterwahl gelang, weit über den Kreis der Aktiven Menschen einzubeziehen, die Motivation zum Mitmachen – auch nach der Wahl – ist hoch.
Eine gesellschaftlich wirksame Gegenreaktion bleibt bisher aus. Die Wahlbeteiligung lag mit 66 Prozent unter der von 2018. Das sind 2,9 Millionen Wähler:innen der etwa 6,4 Millionen in Hessen lebenden Menschen. Allein eine Million ist über 18 und hat keine deutsche Staatsbürgerschaft und damit bei Landtagswahlen kein Wahlrecht.
Parteigründung BSW wird offiziell begonnen
Schon lange wurde darauf gewartet, nun wurde der Schritt vollzogen. Sahra Wagenknecht (SW) und neun ihrer Getreuen aus der Bundestagsfraktion haben den Verein BSW zur Neugründung einer Partei für die Europawahl und die Landtagswahlen 2024 vorgestellt. Der Name »Bündnis Sahra Wagenknecht – für Vernunft und Gerechtigkeit« ist wenig kreativ, aber passend. Es geht darum, um eine prominente Führungsfigur herum eine Partei zu stricken. Von Emanzipation ist in ihrem Programm nichts zu lesen. Eine Leerstelle in der Demokratie soll gefüllt, Ängste vor Wohlstandsverlust aufgegriffen werden. Kernpunkte: Wirtschaftspolitik für den Mittelstand, Entspannungspolitik statt Aufrüstung, Meinungskorridore erweitern, Abgrenzung gegenüber »blindem Ökoaktivismus« und »ungeregelter Migration«. Und immer wieder das Credo »Leistung muss sich wieder lohnen«.
Der erste Schritt banal: Spenden sammeln, nicht Aktive. Von einer Kapitalismuskritik, die an Klassenpolitik und internationaler Solidarität statt Standortpolitik ansetzt, hat sie sich endgültig verabschiedet. BSW bedient damit linke, konservative und liberale Elemente.
Für die LINKE selbst bedeutet der Schritt, dass ein großer Streitpunkt der vergangenen Jahre endlich geklärt ist. Sicherlich hat die Causa Wagenknecht auch in Hessen und Bayern Die LINKE vom Aufbau abgehalten. Die Partei hat die betroffenen Abgeordneten zur Niederlegung des Mandats aufgefordert. Diese denken jedoch nicht daran, sprechen von einem geordneten Übergang und wollen fürs erste in der Fraktion bleiben.
Bundesparteitag Ende November
Der Parteivorstand hatte schon vor Monaten deutlich gemacht, dass die Zukunft der LINKEN eine ohne Wagenknecht ist. Mit Carola Rackete, Gerhard Trabert und Özlem Demirel auf der Europaliste sind die zentralen Themen Ökologie, Internationalismus, soziale Gerechtigkeit und Antikriegskurs vertreten. Die Liste ist ein Angebot an soziale Bewegungen, ihre institutionelle Vertretung im Parlament bei der LINKEN zu sehen. Aus der Partei gibt es überwiegend positive Resonanz, auch wenn das Vorgehen, noch vor der Wahl durch die Delegierten einen Vorschlag zu präsentieren, von manchen kritisiert wurde.
Ende November beim Bundesparteitag wird die Liste aufgestellt. Dann wird sich zeigen, ob Die LINKE nach SW einfach nur eine LINKE ohne SW ist oder ob es ihr gelingt, ihr antikapitalistisches und sozialistisches Profil zu schärfen, geprägt von internationaler Solidarität bis nach Gaza.
In der aktuellen Krisensituation ist der Verteilungskonflikt offenbar. Es braucht eine linke Opposition, die die Systemfrage stellt. Es geht darum, ob man nach unten tritt oder nach oben aufbegehrt. Es hängt davon ab, ob man Stärke ausstrahlt oder nur kritisiert, was falsch läuft. Und Stärke entwickelt man nur durch Organisierung. Allein auf Parteienebene wird man Kräfteverhältnisse nicht ändern.
Vernünftige Wirtschaftspolitik im Kapitalismus bleibt eben der Klassenkampf.
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