Der Förster Georg Meister fordert: Rettet die Wälder!
von Matthias Becker
Georg Meister: Rettet unsere Wälder! Vermächtnis und Forderungen eines visionären Försters. Frankfurt am Main: Westend, 2023. 196 S., 36 Euro
Nur noch einer von fünf Bäumen in Deutschland ist nicht geschädigt, das geht aus Schätzungen des Bundeslandwirtschaftsministeriums hervor.
Der Zustand unserer Wälder ist schlecht, und er wird noch schlechter werden: Steigende Temperaturen und ausbleibender Regen lassen sie austrocknen und machen sie anfällig für Sturm und Insektenbefall. Wir müssen die Wälder umbauen heißt es oft, auch aus dem Bundesumweltministerium. Aber welche Funktionen sollen sie erfüllen, welchen Interessen dienen? Sobald die Frage konkret wird, ist es mit der Einigkeit vorbei.
Als Einstieg ins Thema taugt das neue Buch von Georg Meister. Der kürzlich verstorbene Sachbuchautor wurde bekannt durch seine scharfe Kritik an der Art, wie in Deutschland gejagt wird. Die Jäger hielten die Wildbestände hoch, um möglichst viele möglichst prächtige Hirsche zu erlegen, beklagte er. »Trophäenjagd« nannte er das spitz.
Dabei war Georg Meister durchaus ein Insider. Er stammte aus einer Försterfamilie und begleitete schon als Kind den Vater durch den Wald. Dieser legte großen Wert darauf, dass sein Sohn sicher schießen lernte: Mit nur sechs Jahren bekam Georg Meister vom Vater das erste Kleinkalibergewehr und schoss laut eigenen Aussagen mehr Wild, als der Durchschnittsjäger heute auch nur zu sehen bekommt. Später wurde er selbst Förster, dann Forstwissenschaftler, und bekleidete Ämter in der bayrischen Forstverwaltung.
Wegen seiner Herkunft und seinen erfahrungsgesättigten Kenntnissen tat Georg Meisters Kritik den einflussreichen Jagdverbänden und Waldbesitzern besonders weh. Sie ließ sich nicht abtun als die eines Städters, der keine Ahnung hat vom sogenannten Waidwesen. Die Reaktion war heftig: Meisters Karriere in der Forstverwaltung stockte, er und seine Familie wurden zeitweise regelrecht bedrängt, von beschädigten Autos und Telefonterror ist die Rede.
Der Streit dreht sich um die Frage, wie viel Rotwild, Gämsen und vor allem Rehe die Wälder verkraften können. Die Tiere fressen Gräser, Büsche und Baumschößlinge und verhindern damit, dass auf einer Lichtung wieder eine sogenannte Resilienzvegetation entsteht. Weil sie Nadelbäume verschmähen, verhindert der Verbiss, dass Laubbäume aufwachsen. Georg Meister nennt das »Waldsterben von unten«.
Ökologisch orientierte Jäger fordern deshalb, dass die Wildpopulationen verkleinert werden, durch stärkere Bejagung oder auch durch Wiederansiedlung von Beutegreifern. Dagegen sperren sich die einflussreichen Jagdverbände. Luchs, Wolf und Bär, die natürlichen Feinde von Rot- und Rehwild, wurden bekanntlich schon vor zwei Jahrhunderten weitgehend ausgerottet.
Wald verträgt keinen schnellen Umsatz
Fichten und Kiefern dominieren unseren Wald. Sie werden seit dem 19.Jahrhundert vermehrt gepflanzt, weil sie schneller Holz liefern. »Anders als naturnahe Mischwälder, die bis zu 300 Jahre, mindestens aber 120 Jahre, reifen müssen, lassen sich die in Reih und Glied gepflanzten gleichaltrigen Nadelhölzer schon nach 70 Jahren zu Geld machen«, erklärt Georg Meister. »Diese naturwidrigen ›Altersklassenwälder‹, die in großen Kahlschlägen geerntet werden, prägen bis heute das Landschaftsbild in Deutschland.«
Artenreiche Mischwälder sind widerstandsfähiger als Nadelbaummonokulturen, die nun durch Sturmschäden, Borkenkäfer und letztlich Erosion dezimiert werden. »Dürre, Wind und Käfer ernten heute, was die Förster vor 120, 90 oder 60 Jahren als monotone, jeweils gleichalte Baumplantagen gesät oder gepflanzt haben.« Obwohl das lange bekannt und im Prinzip unbestritten ist, geht es mit der Biodiversität in Deutschland nicht voran. Georg Meister stellt fest, dass trotz erheblicher finanzieller Förderung durch den Staat immer noch 29 Prozent der Fichten und 43 Prozent der Kiefern in »Reinbeständen« stehen. In den anderen Forsten werden zudem oft nur sehr kleine Anteile anderer Bäume hinzugefügt.
Der Begriff der Nachhaltigkeit stammt ursprünglich aus dem Forstwesen des 18.Jahrhunderts. Er bezeichnet die Praxis, nur so viele Bäume zu fällen und zu entnehmen, dass sich der Wald wieder aus eigener Kraft erneuern kann. Förster müssen in Jahrhunderten denken.
Der natürliche Lebenszyklus eines mitteleuropäischen Mischwalds umfasst ungefähr dreihundert Jahre. Diese besondere Zeitlichkeit der Forstwirtschaft prallt unweigerlich auf die Imperative einer kapitalistischen Wirtschaft, in der Investitionen sich möglichst schnell rechnen müssen, am besten schon in der nächsten Jahresbilanz.
Georg Meister, sicher alles andere als ein Kommunist, hat aus seiner beruflichen Erfahrung wichtige Schlüsse gezogen: Eine möglichst große Holzernte kann nicht das übergeordnete Ziel sein.
Dies spricht nicht gegen seine Nutzung durch den Menschen, die es in unterschiedlichen Formen immer schon gab. Aber eine wirklich nachhaltige Bewirtschaftung muss den fruchtbaren Humusboden und die Biodiversität erhalten – von den Bakterien und Pilzen im Boden, die in Symbiose mit den Bäumen leben, bis hin zu heimischen Raubtieren. Nachhaltige Rationalisierungsmaßnahmen in der Holzproduktion sind schwer umzusetzen, weil im Ökosystem Wald die Lebensformen auf allen »trophischen Ebenen« eng integriert sind.
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