Die fünfte Leitentscheidung Braunkohle des Landes NRW
von Hanno Raußendorf
Vergangenen Monat hat die Landesregierung NRW aus CDU und Grünen die neue Leitentscheidung Braunkohle vorgelegt. Sie setzt den planerischen Rahmen für die Braunkohlewirtschaft im Rheinischen Revier und definiert die zentralen Vorgaben für nachfolgende Braunkohlenplanverfahren – z.B. in bezug auf die konkreten Abbaugrenzen und die Lage des Tagebausees in Garzweiler.
Diese fünfte Leitentscheidung löst eine Entscheidung aus 2021 der Regierung Wüst (CDU, FDP) ab. Sie ist die dritte innerhalb von sechs Jahren und Ausdruck der Kämpfe um die Braunkohleverstromung des vergangenen Jahrzehnts. In diesen wurde die Rettung dessen, was vom Hambacher Wald noch übrig ist, der Erhalt verschiedener Dörfer am Tagebau Garzweiler, die Reduzierung der abzubauenden Mengen wie auch die Vorverlegung des Enddatums für die Braunkohlewirtschaft im Rheinischen Revier erstritten.
Das Ende der Kohleförderung wird mit der neuen Leitentscheidung von 2038 auf 2030 vorverlegt, die zu gewinnende Kohlemenge im Tagebau Garzweiler II auf 280 Millionen Tonnen halbiert. Zudem werden fünf Dörfer am Rand von Garzweiler II gesichert, die vorher zur Abbaggerung vorgesehen waren: Keyenberg, Kuckum, Ober- und Unterwestrich sowie Berverath bleiben bestehen. Lützerath allerdings wurde gegen wütende Proteste bereits Anfang des Jahres geräumt, in Schutt und Asche gelegt und unterdessen weitestgehend abgebaggert.
Zufrieden kann man allerdings auch mit der neuen Leitentscheidung nicht sein. Schon deshalb nicht, weil auch die reduzierte Abbaumenge das rechnerisch erlaubte Kontingent übersteigt, wenn das 1,5-Grad-Ziel aus dem Übereinkommen von Paris eingehalten werden soll. Die Leitentscheidung garantiert den Abbau dieses schädlichsten aller fossilen Energieträger bis zum Ende des Jahrzehnts. Die Klimabewegung hatte immer die sofortige Abschaltung gefordert.
Überraschend kommt die Entscheidung freilich nicht, setzt sie doch im wesentlichen das um, was Ende des vergangenen Jahres zwischen Düsseldorf, Berlin und dem Konzern RWE vereinbart wurde. Der BUND kritisiert deshalb auch das intransparente Verfahren, ohne echte Beteiligung der Zivilgesellschaft. Mit der Vereinbarung und einem bereits zugelassenen Hauptbetriebsplan für Garzweiler sei der zweite Schritt vor dem ersten gemacht worden. Anstatt zuerst die Eckpunkte für einen stetigen Braunkohlenausstieg bis 2030 und für eine zukunftsfähige Transformation des Rheinischen Reviers zu definieren, wurden erst einmal Fakten geschaffen, die durch die Leitentscheidung nur noch nachvollzogen werden.
Geteiltes Echo
Das Echo der Klimabewegung ist geteilt. Die Initiative Bürger für Buir äußert in einer Erklärung ihre »große Enttäuschung« und kritisiert unter anderem das Fehlen einer Feststellung, wie die RWE als Verursacher der Tagebaufolgen finanziell zu deren Bewältigung vollumfänglich in die Pflicht genommen wird.
Antje Grothus, einst Ikone der Bewegung und Vertreterin der Betroffenen aus der rheinischen Braunkohleregion in der sog. Kohlekommission 2018–2019, ist heute grüne Landtagsabgeordnete. Sie verteidigt die Leitentscheidung und lobt als »immensen Erfolg«, dass sie eine Vorkaufsoption der ehemaligen Eigentümer:innen festschreibt für Häuser, die heute im Eigentum des RWE-Konzerns sind und nun doch nicht dem Tagebau zum Opfer fallen. Welche Rolle diese Option in der Praxis spielen wird, ist allerdings fraglich. Die meisten Betroffenen leben längst in neuen Dörfern in frisch gebauten Eigenheimen. Dass sie ein gesteigertes Interesse an ihren von Jahren des Leerstands gezeichneten ehemaligen Häusern haben werden, darf bezweifelt werden.
Deutliche Kritik, insbesondere an der Partei Die Grünen äußert dagegen Antje Bussberg von »Alle Dörfer bleiben« und fragt: »Wofür wählt man diese Partei, wenn sie in der Regierung keinen Unterschied macht? CDU und RWE haben sich mal wieder auf ganzer Linie durchgesetzt, während die Ideen der Zivilgesellschaft vollständig ignoriert wurden.« Traditionell die Partei, die stärker als jede andere in der Klimabewegung verankert ist, schwindet das Vertrauen, auch ihrer bürgerlichen Teile, in die Grünen mit wachsender Geschwindigkeit.
Bei der Leitentscheidung von 2021 war von Anfang an absehbar, dass sie keinen Bestand haben würde. Dafür blieb sie viel zu weit hinter allen klimapolitischen Notwendigkeiten zurück, viel zu dynamisch war auch die Klimabewegung und ihr entschlossener Widerstand. Ob dies auch für die neue Leitentscheidung gilt, ist leider fraglich.
Der Fokus der Proteste hat sich in der Tendenz verlagert. Stand der Kampf um die Braunkohle damals klar im Zentrum der Aufmerksamkeit, geht es heute um viele weitere Themen, wie z.B. Mobilitätswende und Gebäudewärme.
Auch steht die Klimabewegung heute nicht mehr so einig da, wie damals. Die scharfe Kritik von Fridays for Future an der Letzten Generation im Frühjahr ist ein Ausdruck davon. Deren Klebeaktionen sind, ebenso wie das gänzlich missglückte Gebäudewärmegesetz, Kristallisationspunkte für wütenden Protest gegen alles geworden, was Klimaschutz ist. Die Bedingungen für wirksamen Widerstand im rheinischen Revier haben sich verschlechtert.
Der Autor ist klima- und umweltpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Rat der Stadt Bonn.
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