Tarifvertrag Nahverkehr geht in die nächste Runde
von Violetta Bock
Fast 30000 Unterschriften sind bereits zusammen gekommen. Beim Klimastreik im September startete die Petition für einen Ausbau des ÖPNV und bessere Arbeitsbedingungen. Die Zusammenarbeit der Gewerkschaft Ver.di und von Fridays for Future ist damit gefestigter denn je.
Es ist der nächste Anlauf, nachdem 2020 Corona die Tarifrunden vorzeitig beendet hatte. Die jahrelang vorbereitete Synchronisierung der Tarifverträge mit den kommunalen Nahverkehrsbetrieben hatte zu ersten Annäherungen zwischen Klimabewegung und Gewerkschaft geführt, aber noch nicht ihr ganzes Potential ausgeschöpft. In einzelnen Bundesländern gab es damals durchaus bessere Abschlüsse als die Jahre zuvor, doch angesichts der drastischen Situation im Nahverkehr schlossen andere mit Enttäuschung und innerhalb der üblichen Routinen ab.
Mittlerweile wurden neue Verbindungen geknüpft. Ein Höhepunkt war dieses Jahr der gemeinsame Streik im März, noch im Rahmen der Tarifrunde im öffentlichen Dienst. Das Signal, Arbeit und Klima nicht gegeneinander auszuspielen, hatte damals schon die ersten auf den Plan gerufen, die das Streikrecht einschränken wollten.
Inzwischen haben sich bereits 40 Ortsgruppen gebildet, die in gemeinsamen Zoom Calls und Konferenzen die nächste Tarifrunde vorbereiten.
Denn im Januar 2024 ist es wieder so weit. Im Frühjahr verhandeln die 87000 Beschäftigten im kommunalen Nahverkehr bundesweit über die Arbeitsbedingungen. Laut Ver.di fehlen bereits jetzt etwa 80000 Beschäftigte. Der hohe Krankenstand sorgt schon heute für zahlreiche Fahrtausfälle. Jedes Jahr gehen weitere 8000 Beschäftigte in den Ruhestand. In den letzten Jahren wurde dagegen wenig unternommen. Während die Arbeitsbelastung und die Verkehrsleistung um 24 Prozent stiegen, wurden zwischen 1998 und 2017 18 Prozent des Personals abgebaut. Die Verkehrswende gelingt also nur, wenn der Beruf attraktiver wird.
Es muss mehr Geld ins System
Ver.di und FfF fordern eine Verdopplung des ÖPNV durch ein bundesweites Investitionsprogramm von mindestens 16 Mrd. Euro bis 2030. In der Vergangenheit wurden Ausbau, Ticketpreise und Personal gegeneinander ausgespielt und auf die kommunalen Verkehrsbetriebe abgewälzt. Mit der Zusammenarbeit von FfF und Ver.di soll dafür gesorgt werden, dass der Topf für den ÖPNV insgesamt größer wird. Der ÖPNV soll flächendeckend und bedarfsgerecht in Stadt und Land ausgebaut und modernisiert werden und für alle bezahlbar sein.
Beim Klimastreik im September startete das Bündnis »Wir fahren zusammen« daher eine Mehrheitspetition, um den gesellschaftlichen Rückhalt für die Verkehrswende deutlich zu machen. Mit Methoden des Organizing werden so viele Unterschriften wie möglich gesammelt und dabei gleichzeitig aktiv dafür geworben, in lokalen Gruppen aktiv zu werden. In gemeinsamen Mega-Zooms werden Klimaaktivist:innen geschult, wie sie außerhalb des Betriebs in ihren Vereinen, Schulen und Universitäten Mehrheiten erzielen können und strategisch Unterschriftensammlungen zum Machtaufbau nutzen. Es soll um mehr als den gegenseitigen Streikbesuch gehen, nämlich darum, wirksamen Druck aufzubauen.
Bei der Verkehrsministerkonferenz am 10.Oktober kritisierten Betriebsräte, dass sich die Politik immer weiter von der Verkehrswende entferne. Die Kommunen seien mit den Kosten für Infrastruktur und Betrieb bereits jetzt an ihre Grenzen gelangt. Bund und Länder müssen sich daher an der Finanzierung stärker beteiligen. Inflation und die Einführung des Deutschlandtickets sorgen zusätzlich dafür, dass die Finanzierungsfrage verbindlich geregelt werden muss. Auch wenn es inzwischen heißt, dass das Deutschlandticket fortgeführt werden soll, ist die Finanzierung durch den Bund nach wie vor zu gering.
Die gelb geführte Ampel hat zur Zahlung von Mehrkosten und für 2024 nach wie vor keine verbindlichen Aussagen getroffen. Laut dem Verband der Verkehrsunternehmen gibt es eine Finanzierungslücke von 400 Millionen Euro.
Mitfahren!
Die Zusammenarbeit von Ver.di und Fridays for Future ist inzwischen das Schlagwort bei Fragen rund um strategische Ansätze zur Stärkung der Klimagerechtigkeitsbewegung. In den letzten Jahren schien die Kooperation noch vor allem an zentralen Stellen zu hängen und an einzelnen Orten, an denen aufgeschlossene Ver.di-Strukturen auf gewerkschaftlich orientierte Klimaaktivist:innen stießen.
Innerhalb des Fachbereichs bei Ver.di und bei FfF scheint die Basis für die Zusammenarbeit inzwischen verbreitert. Inwiefern der gemeinsame Kampf für die Verkehrswende über das Sammeln von Unterschriften hinausgeht und ob die Demokratisierung des Tarifkampfs und die Zusammenarbeit über die Tarifbewegung hinaus gelingt, werden die nächsten Monate zeigen. Es bleibt jedenfalls einer der Ansätze mit dem größten Potenzial, Druck für die Verkehrswende zu entfalten und Bewegungen zusammenzuführen. Wer noch nicht eingestiegen ist, sollte unbedingt mitfahren.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.