Ein Sieg, der die Arbeiterbewegung verändern könnte
Erstmals bestreikten Automobilarbeiter:innen alle drei großen Konzerne gleichzeitig
von Dan La Botz
Die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) führte einen 45tägigen Streik gegen die drei großen US-Autokonzerne – Ford, Stellantis und General Motors – mit dem sie im Oktober nicht nur große Lohnerhöhungen und die Abschaffung der Schichtarbeit vertraglich durchsetzte, sondern auch die Kontrolle der Konzerne über ihre Werke und die Branche einschränkte.
In den USA hat seit Jahrzehnten keine Gewerkschaft mehr einen derartigen Streik von Industriearbeiter:innen angeführt. Zum erstenmal hat die UAW alle drei Unternehmen auf einmal bestreikt, indem sie einen eskalierenden Streik in strategisch ausgewählten Betrieben durchführte, an dem sich schließlich 50000 Beschäftigte im ganzen Land beteiligten und die Unternehmen zum Einlenken zwangen.
Dieser Streik hat vier wichtige Ergebnisse gebracht:
– Erstens werden die Löhne der 150000 gewerkschaftlich organisierten Automobilarbeiter:innen in den nächsten viereinhalb Jahren um mindestens 25 Prozent angehoben. Außerdem werden die Beschäftigten der zweiten und dritten Stufe auf das Niveau ihrer Kolleg:innen angehoben, was für einige eine Lohnerhöhung von mehr als 150 Prozent bedeutet.
Viele Zeitarbeiter:innen werden in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen. Der neue Vertrag stellt auch den 2008 verlorenen Lebenshaltungskostenausgleich wieder her, was zu einer zusätzlichen Lohnerhöhung von 5 bis 10 Prozent führen könnte.
Letztenendes werden die Beschäftigten 82000 Dollar pro Jahr verdienen, mit Gewinnbeteiligung, Prämien und Überstunden vielleicht sogar 100000 Dollar. Die Automobilarbeiter:innen werden finanziell so gut gestellt sein wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
– Zweitens griff die UAW in die Vorrechte ein, die Unternehmen normalerweise bei Investitionen haben. Sie stellte Forderungen an die Unternehmen, die die Gewerkschaftsmitglieder beim Übergang der Industrie von Verbrennungsmotoren zu Elektrofahrzeugen schützen sollen. Die Beschäftigten von Ford und GM in den neuen Batteriewerken, die die Unternehmen in Tennessee, Ohio und Michigan bauen, fallen unter den Gewerkschaftsvertrag. Außerdem konnte die Gewerkschaft den Konzern Stellantis dazu bewegen, ein Werk in Belvidere, Illinois, wieder zu öffnen, das im vergangenen Jahr geschlossen worden war.
– Drittens hatte der Streik auch eine politische Dimension und stärkte die Beziehungen der Demokraten zur Gewerkschaft. Senator Bernie Sanders schloss sich dem UAW-Präsidenten Shawn Fain auf einer Kundgebung an, auf der er erklärte, die UAW streike gegen »die Gier der Unternehmen und um den Leuten an der Spitze zu sagen, dass dieses Land uns allen gehört, nicht nur einigen wenigen«.
Im September schloss sich US-Präsident Biden in Michigan als erster Regierungschef überhaupt den Streikposten an. Er tat dies, um die streikenden UAW-Mitarbeiter zu unterstützen und um mit Donald Trump um die Stimmen der abhängig Beschäftigten konkurrieren zu können. Biden sagte, der neue Vertrag würde »die Automobilarbeiter belohnen, die viel aufgegeben haben, um die Branche während der globalen Finanzkrise vor mehr als einem Jahrzehnt am Laufen zu halten.«
– Viertens versetzt der Sieg der UAW die Gewerkschaft schließlich in die Lage, die nicht gewerkschaftlich organisierten Werke zu organisieren, die die Hälfte aller in den USA hergestellten Autos produzieren. Toyota, Mazda, Honda, Volkswagen, Volvo, BMW, Mercedes und Hyundai haben alle mehr Beschäftigte eingestellt.
Die UAW hat bereits angekündigt, dass sie Kampagnen zur Organisierung von Toyota und Elon Musks Tesla starten wird. Toyota hat daraufhin die Löhne seiner Beschäftigten erhöht, wenn auch in geringerem Umfang, als es der UAW-Vertrag vorsieht.
Vierzig Jahre lang haben die US-Gewerkschaften, insbesondere jene der in der Industrie Beschäftigten, kaum gestreikt. Die Gewerkschaftsführer – Partner der Unternehmen, bürokratisch und, wie die alte UAW-Führung, manchmal korrupt – handelten Zugeständnisse aus, durch die die Löhne, die Gesundheitsversorgung, die Renten und die Macht der Beschäftigten am Arbeitsplatz verloren gingen. Die Kolleg:innen fühlten sich wirtschaftlich betrogen, von ihren Arbeitsplätzen und ihrer Gewerkschaft entfremdet und zutiefst demoralisiert.
Jetzt hat die UAW den Streik als die wichtigste Waffe der abhängig Beschäftigten bestätigt. UAW-Präsident Shawn Fain erklärte, die Gewerkschaft streike nicht nur für die Arbeiter:innen in der Automobilproduktion, sondern für die gesamte Arbeiterklasse gegen die Milliardärsklasse. Und dieser Streik scheint tatsächlich eine viel größere Schlacht um die Macht der Arbeitenden eröffnet zu haben.
5.11.2023
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