Die Beteiligung am Krieg in der Ukraine verweigern
von Franz Nadler
Nikita R., ein junger Mann aus Russland, wollte gerne mal im Ausland arbeiten – und bekam vier Tage vor dem russischen Angriff auf die Ukraine ein Arbeitsvisum für Polen. Es ging alles gut, er konnte die Arbeit antreten. Aber dann kam der Einberufungsbefehl, zugestellt an die Adresse der Großeltern. »Ich habe immer gedacht, dass die Ukraine und Russland Brudervölker sind. Ich selbst habe Verwandte in der Ukraine. Und so war mir klar, dass ich nicht am Krieg teilnehmen wollte und will … Ich verstand, dass ich auf keinen Fall nach Russland zurückgehen kann.«
Nikitas Freund, Viktor, mit dem zusammen er seinen Militärdienst geleistet hat, war bereits in Polen, hatte dort Asyl beantragt, wurde abgelehnt, musste nach Russland zurück – und war kurz darauf tot, wie so viele Soldaten im Ukrainekrieg.
Da Nikita für sich in Polen keine Perspektive mehr sah, zog er zu seiner in Berlin lebenden Mutter und stellte einen Asylantrag. Aber gemäß dem Dublin-III-Verfahren ist dafür das Ersteinreiseland, Polen, zuständig. Was tun? Zusammen mit ihm und der Anwältin begannen wir zu überlegen. Wenn er nachweisen kann, dass er sich bereits über ein halbes Jahr hier aufhält, kann er ins deutsche Asylverfahren. Der Ausweg: Kirchenasyl. Es wurde eine unterstützende Gemeinde gefunden, das halbe Jahr ist nun um, und Nikita kann jetzt den Schutz des deutschen Asylverfahrens bekommen. Aber wird er ihn auch bekommen?
Mit Kriegsbeginn riefen entscheidende deutsche Politiker:innen russische Soldaten zur Desertion auf und versprachen Asyl. Am prominentesten Bundeskanzler Olaf Scholz: »Ich bin dafür, diesen Menschen Asyl anzubieten.«
Damit sollte eigentlich alles klar sein, ist es aber nicht, denn es gibt noch genügend Hindernisse. Asyl wird nur russischen Deserteuren versprochen. Bezüglich der Kriegsdienstverweigerer hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vor kurzem neue Richtlinien erarbeitet, die uns noch nicht bekannt sind. Aber klar ist schon jetzt: Wer sich dem Militärdienst entzieht, ist von der Schutzzusage ausdrücklich ausgeschlossen. Entsprechende Fälle liegen uns vor.
Seit Kriegsbeginn bis September 2023 haben 3500 russische Männer in Deutschland Asyl beantragt, wie viele ihn mit der möglichen Einberufung für den Krieg bzw. Desertion begründen, ist unbekannt. Bei 1500 wurde bereits über den Antrag entschieden. 90 bekamen Schutz (Schutzquote: 6 Prozent), 1100 wurden gemäß Dublin-III ins Ersteinreiseland verwiesen.
Für Nikita dürfte es schwierig werden. Er ist nur einer von Dutzenden aus Russland, Belarus und der Ukraine, mit denen wir derzeit in Kontakt sind.
Gut 250000 Männer haben Russland aus Furcht vor der Einberufung verlassen, über 20000 Belarus und 170000 die Ukraine. Insgesamt leben schätzungsweise fast einen Million russische Männer und 650000 Ukrainer derzeit im Ausland. Da die EU die Grenzen für Russen und Belarussen geschlossen hat, fliehen sie vorwiegend in Länder, in denen sie kein Visum benötigen. Das sind zumeist mit Russland befreundete Staaten und ihr Aufenthalt ist dort grundsätzlich nicht sicher. Es kommt zu Abschiebungen, bei Desertion drohen ihnen bis zu 15 Jahren Gefängnis.
Die Ukraine versucht derzeit, die geflohenen Männer zurückzuholen – auch dort sind Soldaten inzwischen Mangelware. Zwar besagt das Europäische Auslieferungsabkommen, dass bei Militärstraftaten keine Auslieferung erfolgen darf, aber die alte polnische Regierung hat zur Auslieferung von 80000 Männern bereits grünes Licht gegeben. Ob die EU ihr eigenes Recht bricht, bleibt abzuwarten. Klar ist, dass Ukrainern gemäß der Massenzustromrichtlinie lediglich ein Aufenthaltsrecht bis spätestens Frühjahr 2025 gewährt werden wird.
Was macht Connection e.V.?
Der Verein unterstützt seit 30 Jahren Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und Militärdienstentzieher weltweit, macht ihre Fälle öffentlich, fordert ihre Freilassung, wenn sie inhaftiert sind, und setzt sich dafür ein, dass sie Asyl bekommen können. Schwerpunktländer waren in den letzten Jahren: Türkei, Eritrea, Israel, USA, Südkorea und Kolumbien.
Zum Ukrainekrieg haben wir zusammen mit Organisationen aus 20 Ländern, auch aus den kriegführenden Staaten, die #ObjectWarCampaign initiiert, in Deutschland sind 40 Organisationen daran beteiligt, darunter Pro Asyl, europaweit sind es mehr als 100 Organisationen. Gemeinsam besuchen wir Prozesse von Kriegsdienstverweigerern in der Ukraine. Es gab eine europaweite Unterschriftenaktion für offene Grenzen und die Einhaltung des Menschenrechts auf Kriegsdienstverweigerung, die 50000 unterschrieben haben. Zum Internationalen Tag der Menschenrechte am 10.Dezember planen wir weitere Aktionen.
Wir unterstützen Antikriegsorganisationen in ihren Ländern und im Exil und finanzieren derzeit Beratungs- und Hilfsbüros in Litauen und Georgien sowie die Russische Bewegung für Kriegsdienstverweigerung, das Projekt »No means NO« der belarussischen Organisation Nasch Dom (Unser Haus) und die Ukrainische Pazifistische Bewegung.
Wie bieten an:
– eine Hotline für Schutzsuchende auf Russisch, Englisch und Deutsch: +49 157 824 702 51
– einen russischen Telegram-Kanal: t.me/connection_ev. und Präsenz auf Sozialen Medien
Für die Arbeit der #ObjectWarCampaign gibt es ein Spendenkonto:
IBAN: DE47505500200006085377
Sparkasse Offenbach
www.facebook.com/Connection.e.V.
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