Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2023

Der Europaparteitag der Partei Die LINKE
von Thies Gleiss

Vom 17. bis 19.November fanden in Augsburg der Parteitag der Partei Die LINKE zur Verabschiedung eines Programms zur Europawahl 2024 und die anschließende Vertreter:innenversammlung zur Wahl einer Kandidat:innenliste statt.

Es war die erste große Zusammenkunft der LINKEN nach der Abspaltung der um Sahra Wagenknecht versammelten Gruppe. Wie groß diese Abspaltung letztlich wird, ist unklar. Das »Bündnis Sahra Wagenknecht« lässt ja keine Eintritte in seinen Verein zu und sammelt zunächst nur Geld, sodass erst wenige hundert LINKE-Mitglieder mit ausdrücklichem Hinweis auf das neue Sahra-Bündnis die LINKE verlassen haben. Viele andere warten erst einmal ab, was da noch alles passiert. Gleichzeitig sind aber auch gut 700 Mitglieder, teilweise erneut, in Die LINKE eingetreten, die wegen der Positionen von Wagenknecht bisher vom Eintritt abgehalten wurden. Klar ist ohnehin, dass der allergrößte Teil der Anhänger:innen der von Wagenknecht konzipierten rechtssozialdemokratischen Partei nach dem Vorbild der dänischen Sozialdemokratie nicht in der LINKEN war, ist oder sich an ihr orientiert hat.
Die Existenz dieses Abspaltungsgespenstes war deshalb auf dem Parteitag erstaunlich wenig wahrnehmbar. Der bewährte professionelle Parteitagsorganisationsstab aus dem Karl-Liebknecht-Haus hatte überdies wieder eine Inszenierung präsentiert, in der Optimismus obligat und kritische, auch nur nachdenkliche Diskussionen unerwünscht waren. Am unpolitischen Drang nach Harmonie und Einmütigkeit hat sich beim verbliebenen Rest der LINKEN nichts geändert. Allseits war von Erneuerung, Aufbruch und »Es-geht-voran«-Parolen die Rede. Ob es etwas bringt, wird schon in den nächsten Tagen an den Eintrittszahlen zu erkennen sein.

Der Krieg
Das steht im krassen Widerspruch zur politischen Lage außerhalb der Partei, in der sich Die LINKE ja eigentlich wieder zurechtfinden wollte und in der sie im nächsten Jahr eine erfolgreiche Wahlkampagne zum EU-Parlament durchführen will. Nach dem Krieg Russlands gegen die Ukraine hat auch das neue grausame Aufflammen der kriegerischen Auseinandersetzungen in Israel und Palästina heftige Debatten innerhalb der LINKEN ausgelöst.
Es gibt eine hartnäckige und jeden Anlass unermüdlich ausnutzende Gruppierung in der LINKEN, die ihren allgemeinen Wahn, am Kapitalismus mitgestalten und mitregieren zu wollen, ausgerechnet auch auf das bitterste Kapitel des Kapitalismus, die ihm innewohnende Tendenz zum Krieg, ausdehnen will. Sie hat sich bereits beim Ukrainekrieg mit Forderungen nach Waffenlieferungen, nach Neubestimmung von NATO und Bundeswehr und nach linker Kriegspolitik hervorgetan. Jetzt nimmt sie die brutalen Aktionen der Hamas und die noch heftigeren Reaktionen des israelischen Siedlerkapitalismus zum Anlass, diese Positionen neu zu beleben und sich geradezu mit Anlauf hinter die von der deutschen Regierung befohlenen »Treue zur israelischen Regierung und Armee als Staatsräson« einzureihen. Über so eine majestätstreue Opposition hat schon die Namensgeberin der LINKEN-Parteistiftung gespottet.
Es ist auf jedem Parteitag der LINKEN eine Kraftanstrengung, die Mehrheiten in der Mitgliedschaft gegen kapitalistische Kriege und gegen die NATO zu verteidigen. Es gelingt in der Regel aber immer, auch wenn regelmäßig wackelige Formulierungen und unklare Forderungen in die beschlossenen Dokumente rutschen. Das war auf diesem Parteitag nicht anders. Mit sehr großer Mehrheit wurde ein Antrag zum Krieg im Nahen Osten angenommen, der sich deutlich für einen sofortigen Waffenstillstand und gegen die kolonialistischen Kriegsaktionen der israelischen Armee ausspricht. Aber Worte und Formulierungen bleiben interpretierbar und die praktische Umsetzung in Politik wird mit solchen auf Harmonie bedachten Anträgen nur erschwert.

Vorprogrammierte Wahlschlappe
Zur Europawahl beschloss der Parteitag ein dickes Wahlprogramm. Es ist vollgepackt mit großen und vielen kleinen Forderungen aus dem Arsenal der LINKEN, die fast allesamt richtig sind und die Lebensverhältnisse für die breite Masse der Menschen in Europa verbessern. Es wird sich gegen die Militarisierung der EU und für eine vollständig andere, humanitäre Flüchtlingspolitik ausgesprochen. Einen breiten Raum nimmt die Klima- und Umweltpolitik ein, die mittlerweile zu einem gut ausgearbeiteten Schwerpunkt der LINKEN wird oder zumindest werden könnte.
Aber dieses Programm drückt sich vor der bei einer EU-Wahl wichtigsten Frage: Wie steht die LINKE zur EU? Die Partei wagt den Spagat, einerseits für die EU und andererseits gegen sie zu sein. Nichts sei gut an der EU – von ihren Vertragsgrundlagen, ihren Strukturen bis zur täglichen Politik – aber dennoch ist sie irgendwie doch gut und hält Perspektiven für eine Linke bereit. Mit dieser widersprüchlichen Position hat Die LINKE bereits bei den letzten drei Europawahlen ihr Glück versucht und jedesmal eine Schlappe eingefahren. Insbesondere ihre eigene Anhänger:innenschaft bleibt lieber zuhause als einen solch widersprüchlichen Laden zu wählen. Es ist höchst wahrscheinlich, dass Die LINKE auch 2024 mit diesem Wahlprogramm und einer davon abgeleiteten Wahlstrategie einen Flop an der Wahlurne landen wird. (Eine ausführliche Kritik des Programms wurde von der Antikapitalistischen Linken in ihrem Magazin aufmüpfig verfasst.)
An der Schlappe wird auch nichts ändern, dass die Wahlliste der LINKEN mit vielen jungen und aktiven Leuten bestückt ist und dass auf Platz 2 und 4 der Liste mit der Aktivistin der Klima- und der Flüchtlingssolidarität, Carola Rackete, und mit dem Mainzer Sozialmediziner Gerhard Trabert bekannte Aktive aus sozialen Bewegungen stehen.
Platz 1 und 3 der Liste nehmen die bisherigen Abgeordneten im Europaparlament, Martin Schirdewan und Özlem Alev Demirel ein. Auf den noch als »sicher« geltenden fünften Platz wurde entgegen der Vorschlagsliste des Bundesausschusses die aus Sachsen-Anhalt kommende frühere Jacobin-Chefredakteurin Ines Schwerdtner gewählt.
Die Abgeordneten des EU-Parlaments leben ohnehin in einer Art goldenen Käfig und wenn die politische Gesamtorientierung der Partei schlicht unklar ist, werden sie diesen Käfig auch kaum verlassen können.
Die Kritik an der EU, diesem undemokratischen, neoliberalen und militaristischen Wirtschaftsbündnis der kapitalistischen Klassen Europas, wird zur Zeit leider nur von den Rechten vorgetragen und mit rassistischem Nationalismus beantwortet, die LINKE ist hier bisher farblos. Das müsste dringend anders werden, aber genau dafür war der Europaparteitag der LINKEN leider kein Startsignal.

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