An den Rand notiert
von Rolf Euler
Ich hatte keine Lust mehr. Ich konnte mit dem kriegerischen Geschehen nicht umgehen, schaue fast keine Nachrichten mehr. Nun ist auch klar, dass wir zu kriegsbereiten Menschen verpflichtet werden sollen. Entgegen dem Mehrheitswillen treiben große Koalitionen Militarisierung, Aufrüstung, Kriegsdrohungen voran.
Mascha Kaléko, Dichterin des letzten Jahrhunderts, schreibt:
Glück und Unglück
Das Glück ist arm an Phantasie,
sein Repertoire ist ziemlich klein;
Das Unglück aber – ein Genie!
Ihm fällt stets was Neues ein.
Die Kriege der Zeit kann man kaum als Unglück bezeichnen, sondern sollte sie als menschengemachte Katastrophen hinstellen, auch wenn sie für die betroffenen Menschen ein großes Unglück sind. Und es leiden ja auch diejenigen, die zwar nicht direkt beteiligt, aber von fern zusehend nichts machen können als die Medien für Gegenstimmen, Widerstand, Friedensdemos und Protest zu nutzen.
Das Repertoire des Glücks ist mal wieder klein geworden. Und dennoch – es besteht auch mal darin: Ein kleines Baby erfreut unsere Familie. Ein Neugeborenes auf dem Arm zu halten, die ersten Lebensäußerungen dieses kleinen Menschen mit seinen ersten Bewegungen, dem seltenen Augenaufschlag, dem friedlichem Schlaf und genüsslichem Stillen zu erleben – persönliches Glücklichsein fördert die Resilienz.
Jeder ist »seines eigenen Glückes Schmied«? Die Verhältnisse, sie sind nicht so. Aber »Glück-gehabt«-Momente führen dazu, dass eine Welt tatsächlich ein bisschen freundlicher wird, und da geht es nicht um subjektive Gefühle, sondern um eine gesellschaftlich wirkende Situation. So schrieben wir im Amos, der Ruhrgebiets-Zeitschrift, im Kontrast zur Krisen- und Kriegslage des Sommers.
Da taucht in einem Text das Wort von dem »subversiven Potenzial« auf – so gedacht, dass »glücklich sein« auch bedeutet »unglücklich« zu sein, dass es nicht anderen Menschen genauso gehe. Der Antrieb, die Welt nicht mit ihrem »immer neuen« unglücklich machenden Repertoire zu belassen, gute Zustände auszudehnen, Widerstände benennen und angehen zu können. »Glück, dass daran nichts außer alles wäre«, schreibt ein Autor.
Glück mit einem Neugeborenen teilt mensch mit dem Unglück der anderen, deren Neugeborene nicht leben dürfen, weil Krieg gemacht wird. Deren Lebensperspektive nicht in einem reichen Land, sondern in Armut und Flucht besteht. Wer nicht in Zynismus angesichts der Weitermachen-Politik verfallen will, möchte auch eine gesellschaftliche Perspektive des »guten Lebens« entwickeln. Mir scheint, die Schritte hin zum »guten Leben« können ohne eine solidarische Gesellschaft mit einem Mindestmaß an »Glück« für die Menschen nicht angetreten werden. Glück, dass damit auch der Anspruch entsteht, das Unglück anderer Menschen nicht hinzunehmen.
Es ist gut, das »subversive Potential« von Glück zu heben.
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