Dreckige Energie von einem korrupten Regime in einem verwahrlosten Land
von Klaus Engert
»Das aber ist der Fluch der bösen Tat, daß sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären.«
Mit diesem Schiller-Zitat lässt sich die Energie- und Klimapolitik dieser und der vergangenen Bundesregierungen perfekt zusammenfassen.
Der relative Mangel an Gas trieb den Kanzler kürzlich nach Nigeria. Er ist zum größten Teil selbstverschuldet: Hätten die Verantwortlichen in den vergangenen sechzig Jahren reagiert, müsste sich der Bundeskanzler heute nicht mit dubiosen Gestalten wie dem neuen nigerianischen Präsidenten Bola Ahmed Tinubu auf Geschäfte einlassen.
Scholzens Shoppingtour wurde nicht nur notwendig, weil Russland als Gaslieferant ausfiel, sondern weil Deutschland bei der Substitution der fossilen Energieträger nicht vorankommt. Dass es auch anders geht, zeigt die Statistik: Im europäischen Vergleich hinkt Deutschland bspw. beim Einbau von Wärmepumpen weit hinterher. Es liegt mit 5,8 eingebauten Geräten pro 1000 Haushalte im Jahr 2022 nur noch vor Großbritannien (2,1 Geräte), während es in Finnland 69,4 und in Norwegen 62,2 waren. Dass der Ausbau der Windenergie stockt, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Aber statt Mittel für Klimaschutz lockerzumachen – sprich: für die Ersetzung der Öl- und Gasverbrennung – hofiert die Regierung lieber den nigerianischen Präsidenten.
Tinubu
Der zu Beginn dieses Jahres erstmals gewählte Präsident Tinubu, auch »Pate von Lagos« genannt, war jahrelang die graue Eminenz der Regierungspartei APC hinter den Gouverneuren von Lagos wie auch hinter seinem Vorgänger Muhammad Buhari. Bei der Präsidentschaftskandidatur dachte er sich wohl »Diesmal bin ich dran« und wurde prompt, wenn auch unter nicht ganz geklärten Umständen, gewählt.
Tinubu war in der Wahl seiner Mittel nie besonders zimperlich (siehe SoZ 2/2023). Eine Beobachtermission der EU qualifizierte die Wahlen schlicht als intransparent. Hunderte Wahlurnen seien von bewaffneten Kriminellen verbrannt oder zerstört worden. Außerdem seien in einigen Lokalen Wählerstimmen gekauft worden. Die Server für die digitale Übermittlung der Wahlergebnisse seien aus unbekannten Gründen tagelang nicht funktionsfähig und eine telefonische Durchgabe der Wahlergebnisse nicht möglich gewesen. Die Klagen seiner beiden Hauptkontrahenten gegen das Wahlergebnis wurden allerdings inzwischen höchstrichterlich abgewiesen.
Vor seiner politischen Karriere war Tinubu damit beschäftigt, Geld zu machen. Als simpler Buchhalter, als der er nach einem Studium in den USA arbeitete, war das mühsam. Schneller ging es voran, als er für die Drogengeschäfte einer nigerianischen Connection die Geldwäsche übernahm. Als man ihm dabei auf die Schliche kam, entkam er durch einen Kuhhandel mit den amerikanischen Behörden nach Nigeria, mit einem großen Teil seines zusammengerafften Vermögens. In Nigeria war er zunächst als Teilhaber diverser Firmen tätig, bevor er in die Politik wechselte und 1999 zum Gouverneur des Bundesstaates Lagos gewählt wurde.
Nun ist er also Präsident und Kanzler Scholz machte ihm die honneurs.
Gas in Nigeria
Hinter dem Dorf Akara im Nigerdelta sticht Tag und Nacht eine Gasfackel in den Himmel – ununterbrochen seit über 50 Jahren. Als die Ölfirma Agip 1972 anfing, im Delta Öl zu fördern, wurde das als Nebenprodukt anfallende Gas schlicht abgefackelt (gas flaring). 1985 wurde in Nigeria das Abfackeln von Naturgas gesetzlich verboten, die Flamme in Akara aber brannte munter weiter.
Der nigerianische Journalist und Schriftsteller Ken Saro-Wiwa gründete 1990 zusammen mit anderen das MOSOP, das »Movement for the Survival of the Ogoni People«. Die Bewegung forderte Selbstbestimmung, den Schutz der Natur, der Sprachen und einen Anteil an den natürlichen Ressourcen. 1993 kam Sami Abacha an die Macht, der später Ken Saro Wiwa ermorden ließ. Zu diesem Zeitpunkt brannte die Fackel in Akara seit 21 Jahren. Die Firma Shell stellte ihre Tätigkeit aufgrund des Widerstandes im Ogonigebiet ein. Bis dahin hatte sie in Nigeria 100 Milliarden Gewinn gemacht, davon 30 Milliarden im Nigerdelta,
Die amerikanische Colorado School of Mines entwickelte 1994 ein Überwachungsprogramm: Mit Hilfe von nächtlichen Satellitenbildern können Brandherde auf aller Welt identifiziert werden – unter anderem Gasfackeln. Die Satellitenbilder zeigen Dutzende Gasfackeln im Nigerdelta – die in Akara brannte nun schon seit 22 Jahren. Insgesamt setzten die Gasfackeln in der Region im letzten Jahrzehnt 100 Millionen Tonnen CO2 frei. Zum Vergleich: Die Schweiz stößt pro Jahr etwa 45 Millionen aus.
Schwefel und Quecksilber
Bei den Klimafolgen von Erdgasverbrennung geht es nicht nur um das, was zum Schornstein herauskommt (in erster Linie CO2). Die Förderung des Gases und auch von Erdöl ist noch weit klimaschädlicher, was häufig vergessen oder unterschlagen wird.
Das Erdgas, das wir in unseren Gasheizungen verbrennen, besteht hauptsächlich aus Methan. Das Roherdgas, das eigens gefördert wird oder als Nebenprodukt bei der Ölförderung entsteht, enthält aber unterschiedliche Anteile teils hochgiftiger Stoffe. Mit einer sogenannten Gaswäsche werden sie abgetrennt, bevor wir »unser« Erdgas bekommen. Wird das Rohgas dagegen abgefackelt, entstehen neben CO2 auch giftige Verbindungen wie zum Beispiel Schwefeldioxid. Dies geschieht zum Beispiel auf Bohrplattformen, wenn die Kosten für die kommerzielle Gasnutzung höher sind als der zu erwartende Profit, aber eben auch in Nigeria.
Rohgas kann auch Quecksilber enthalten. Entweicht es unverbrannt, was häufig geschieht, ist das Umweltproblem noch größer. Methan ist um ein Mehrfaches klimaschädlicher als Kohlendioxid, einmal abgesehen von der Explosionsgefahr.
Obwohl Nigeria 1989 mit dem Aufbau einer Infrastruktur für Flüssiggas begann, werden immer noch Unmengen Gas abgefackelt: Zwischen 2010 und 2019 produzierte das Land 750,3 Milliarden Kubikmeter Gas, davon wurden 114,3, also 13 Prozent abgefackelt – Großbritannien wäre mit diesen 13 Prozent fast zwei Jahre lang ausgekommen. 2019 stieg der abgefackelte Anteil um drei Prozent, Der finanzielle Verlust durch gas flaring beträgt in Nigeria rund 18,2 Millionen US-Dollar täglich.
Gib Gas…
…oder so ähnlich wird sich Scholz gegenüber Tinubu geäußert haben. Der war dem Ansinnen gegenüber sehr aufgeschlossen. Den Schaden haben bei diesem Geschäft fast alle. Jeder Kubikmeter Erdgas mehr heizt das Klima an. Die Umweltzerstörung in Nigeria schreitet voran, weite Teile des Nigerdeltas sind biologisch so gut wie tot. Und wer meint, dass die Einnahmen aus der Förderung dem nigerianischen Volk zugutekommen, der kennt den neuen Präsidenten nicht. Im Land herrscht eine Inflationsrate von 22 Prozent, die Landeswährung befindet sich im freiem Fall, gegenüber dem Euro hat sie in einem Jahr ihren Wert fast halbiert.
40 Prozent der Nigerianer leben laut Weltbank unterhalb der Armutsgrenze. Der Präsident hat unterdessen einen Nachtragshaushalt von 2,8 Milliarden Dollar aufgelegt, aus dem den 469 Parlamentariern je ein 150000 Dollar teurer Geländewagen bezahlt wird – der Mindestlohn für Staatsbeamte beträgt 67 Dollar monatlich. Tinubus Frau bekommt ebenfalls einen, 38 Millionen gibt’s für die Präsidentenluftflotte, und die Präsidentenvilla wird aufgehübscht.
Seit jeher kommt die Öl- und Gasrevenue in Nigeria nur einer winzigen besitzenden Schicht zugute. Seit dem Beginn des Ölbooms Ende der 60er Jahre hat sich die soziale Situation genau entgegengesetzt zum wachsenden Reichtums des Landes entwickelt.
Dem Kanzler scheint es egal zu sein, so wie im letzten Jahr Wirtschaftsminister Robert Habeck bei seinem Deal mit Katars Machthaber gleichgültig war, mit wem er eigentlich verhandelte. Es ist jedenfalls erheblich einfacher, als dafür zu sorgen, dass der Gasbedarf in Deutschland gebremst wird.
Die traurige Wahrheit ist, dass die Verantwortlichen schon vor 50 Jahren des Lesens mächtig waren. Sie hatten nur aus Eigeninteresse keinerlei Ambitionen, aus dieser Lektüre Konsequenzen zu ziehen: Bereits nach dem Erscheinen des Berichts »Die Grenzen des Wachstums« gaben einige Politiker zu, dass sie dessen Schlussfolgerungen zwar zustimmen würden, aber entsprechende Konsequenzen ihre Wählbarkeit beeinträchtigen würde.
Und so machen Verkäufer wie Tinubu Kasse und Einkäufer Scholz unterstützt sie nach Kräften bei der Umweltverpestung. Um auf den eingangs zitierten Friedrich Schiller zurückzukommen:
»Wagen Sie es, weise zu sein! Energie und Geist werden benötigt, um die Hindernisse zu überwinden, die die Trägheit der Natur sowie die Feigheit des Herzens unserer Anweisung entgegensetzen.«
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