Der Leidensweg der Kurd:innen in Deutschland
von Ayse Tekin
Alexander Glasner-Hummel, Monika Morres, Kerem Schamberger: Geflohen. Verboten. Ausgeschlossen. Frankfurt/M.: Westend, 2023. 216 S., 24 Euro
»Wie die kurdische Diaspora in Deutschland mundtot gemacht wird«, lautet der Untertitel des Buches, der von drei Autor:innen als gemeinsamer Text präsentiert wird. Sie bieten zur Zeit auf ihrer deutschlandweiten Lesetour die Möglichkeit, darüber zu diskutieren.
In dem Buch werden Leidensgeschichten von Kurd:innen erzählt, die aus verschiedenen Gründen ins Visier der deutschen Sicherheitskräfte und des Verfassungsschutzes geraten sind und der Mitgliedschaft in der in Deutschland verbotenen PKK bezichtigt werden. Sie erzählen von der »Ausweisung und Abschiebung« bis zur »Einbürgerungsverweigerung und dem »Entzug der Einbürgerung« oder »Ausreisesperren und Sorgerechtsentzug« – alles mögliche, das ihr persönliches Leben, ihren Werdegang und ihre Freiheit stört.
Viele dieser Fälle bleiben – je nach Interesse – als kleine Nachrichten in der deutschen Medienlandschaft oder kommen gar nicht vor. Die Fälle, die im Buch geschildert werden, sind nicht so wenige, dass man von Zufall reden könnte. Sie sind Beispiele einer systematischen Verfolgung im »Namen des Rechtes«. So zeigt das Buch auch, wie die §§129a und 129b des Strafgesetzbuches wirken. Erschreckend sind die parallelen Methoden in der Türkei und in Deutschland. Zum Beispiel wurden auf Grund der Aussagen eines Kronzeugen 19 Personen angeklagt und vier davon verurteilt. Er selber wurde für seine Kooperation belohnt und »für seinen begangenen Mord zu äußerst milden fünf Jahren Haft verurteilt«.
Ähnliche Beispiele finden sich auch in der türkischen Justizgeschichte. Das Verbot mancher kurdischen Vereine, das »mit erheblicher Störung des türkischen Staats« begründet wurde, hört sich juristisch auch nicht plausibel an. Der türkische Staat kann jederzeit so ein »Gefühl« geltend machen. Wie diese Behauptung einer Prüfung vor deutschen Gerichten standhält, ist schwer nachvollziehbar.
Die Verlage für Bücher und Musik erleben ebenfalls ihren Anteil an dieser Verfolgung. Dass die Bücher und Musikkassetten dann im Müll landen und von kurdischstämmigen Beschäftigten der Stadt Köln entdeckt werden, ist eine andere Boshaftigkeit, wie mit Kulturgütern umgegangen wird. Im Buch werden die Ermittlungsmethoden der deutschen Polizei gegenüber kurdischen Personen und Vereinen als kompetenzübergreifend beschrieben und mit Beispielen belegt. Diese Feststellung treffen auch Veröffentlichungen von Amnesty International und der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer. Menschen werden mit Vermutungstatbeständen konfrontiert und/oder verurteilt.
Das Buch ist voller Beispiele der Repression gegenüber Kurd:innen, die sich der PKK nah fühlen oder sind. Die Autoren geben zu, dass andere Kurden in Deutschland leben, die aus ihrer Sicht »weniger politisch und stärker in der Bundesrepublik verwurzelt« sind »als im Nahen Osten«. Die Kritik an dieser Haltung passt nicht zum sonstigen Geist dieses Buches, das Freiheit für »stark politisierte Kurd:innen und ›Freiheitskämpfer:innen‹« fordert. Warum eine Newroz-Botschaft des deutschen Staatsoberhaupts – auch wenn sie anders ausgefallen ist als erwartet – zu kritisieren sei, ist auch nicht verständlich. Ist das Ignorieren dieses Feiertags, der nicht nur für Kurd:innen, sondern auch für Perser:innen und andere Ethnien in der Region von Bedeutung ist, besser? Das ist schließlich ein Ergebnis jahrelanger Bemühungen, dass kulturelle Diversität in den Strukturen ankommt.
Außerdem ist zu erwähnen, dass die im Buch dokumentierte Praxis der deutschen Sicherheitsdienste und Justiz sich nicht nur auf die Vermutung einer PKK-Anhängerschaft beschränkt. Sie betrifft auch andere Menschen, denen in Deutschland eine Mitgliedschaft in anderswo verbotenen Organisationen unterstellt wird. Auch sie erleben auf Ersuchen der verschiedenen Staaten Repressionen. Die Beispiele in dem Buch, in dem konzentriert die Lage der kurdischen Migranten erzählt wird, sind bedrückend genug.
In vielen Sprachen gibt es das Sprichwort »Heute wir, morgen ihr«. Insofern sollte die Praxis der Sicherheitsbehörden und der Justiz in Deutschland für »andere« unbedingt erforscht und veröffentlicht werden. Das Buch hat zwar eine klare Botschaft »für die Aufhebung des PKK-Verbots«, ist aber auch eine gewaltige Sammlung an Beispielen, um über den Zweck der §§129a und 129b generell nachzudenken.
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