Die Konkurrenten und die Gegenstrategien
von Matthias Becker
Noch wird etwa die Hälfte Deutschlands für Landwirtschaft genutzt. Laut Angaben des Thünen-Institut ist die landwirtschaftliche Fläche jedoch von 1992 bis 2021 um 7,4 Prozent geschrumpft. Pro Tag beträgt der durchschnittliche Verlust etwas mehr als 50 Hektar. Aus Äckern und Weideflächen werden Straßen, Wohn- und Gewerbegebiete, aber auch die Waldfläche hat seit den 1990er Jahren zugenommen.
Die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung sieht vor, den Flächenverbrauch für Siedlung und Verkehr bis zum Jahr 2030 auf weniger als 30 Hektar pro Tag zu senken. Dieses Ziel ist kaum zu erreichen, selbst wenn eine tiefe Wirtschaftskrise den Wohnungsbau bremst. Die Höhe des täglichen Flächenverlusts ist seit 2018 ungefähr gleichgeblieben. Um das gesteckte Ziel zu erreichen, müsste er innerhalb der nächsten sieben Jahre fast halbiert werden.
Das Schlagwort von der »Ernährungssicherheit« ist wieder häufiger zu hören, seit der Krieg in der Ukraine den Getreide- und Düngemittelhandel behindert. In der Agrar- und Bodenpolitik spielt die konkrete Sicherung einer leistungsfähigen Landwirtschaft allerdings kaum eine Rolle. Dabei wird fruchtbarer Boden – die Grundlage jeder Nahrungserzeugung – unvermeidlich knapper.
Ökologische Transformation: Es wird eng
Eine ökologisch nachhaltige Landwirtschaft – eine, die den Klimawandel nicht schlimmer macht und unter den Bedingungen der Heißzeit zuverlässig Nahrung erzeugt – braucht mehr Platz. Die Flächenintensivierung muss in gewissem Umfang rückgängig gemacht werden. Statt ein Höchstmaß an Mais oder Weizen aus einem Hektar Land »herauszuholen«, um den gängigen extraktivistischen Ausdruck zu benutzen, wird diese Landwirtschaft weniger Agrarchemikalien einsetzt und kleinteiliger anbaut. Die Erträge werden niedriger ausfallen, wenn die Anbaufläche nicht vergrößert wird.
Sicher, wir können weniger Nutzpflanzen und Lebensmittel verschwenden. Wir können neue unkonventionelle Anbauflächen erschließen (urbane Landwirtschaft, mehr Erzeugung im Umland von Städten). Wir können weniger Fleisch- und Milchprodukte konsumieren – gegenwärtig werden knapp zwei Drittel der Landwirtschaftsfläche für die Futterproduktion eingesetzt. Trotz alledem wird der Flächenbedarf kaum sinken. Der Klimawandel bringt steigende Temperaturen, häufigere Wetterextreme und Störungen im Süßwasserkreislauf. Die neuen klimatischen und ökologischen Verhältnisse erschweren die landwirtschaftliche Produktion, z.B. durch Wassermangel und alte und neue Schädlinge.
Das Problem ist, dass die (alternativlose) Agrarwende der (alternativlosen) Energiewende in die Quere kommt. Bekanntlich muss Sonnenenergie mit Photovoltaik und Solarthermie auf der Erdoberfläche extensiv geerntet werden, im Gegensatz zu den fossilen Brennstoffen, die eine unschlagbar hoher Energiedichte aufweisen. Die Studie des Thünen-Instituts »Flächennutzung und Flächennutzungsansprüche in Deutschland« beziffert den Bedarf für Photovoltaik mit 40 Hektar pro Tag. Viele der zugrunde gelegten Annahmen sind unsicher, sie betreffen »Ausbaupfade« und die Entwicklung des Bedarfs, die schwer vorhersehbar sind. Klar ist aber, dass die Erneuerbaren deutlich mehr Fläche brauchen.
Hinzu kommen weitere Ansprüche. Um den Klimawandel zu verlangsamen, brauchen wir natürliche Kohlenstoffsenken. Zu diesem Zweck müssen Gebiete aufgeforstet, neue Gehölze gepflanzt und Moore wieder vernässt werden. Um das Artensterben zu verlangsamen – eine ebenso bedrohliche Entwicklung wie die Klimakrise – müssen wir Lebensräume für bedrohte Tier- und Pflanzenarten schaffen, Biotope vernetzen, Naturschutzgebiete vergrößern.
Fehlanreize für pseudonachhaltige Energie
Die planlose (»technologieoffene«) Energiepolitik verknappt Land zusätzlich. Die finanzielle Förderung erneuerbarer Energiequellen seit 2000 hat den Druck auf die Ackerfläche erhöht. Photovoltaikanlagen sind lukrativer als Kartoffeln oder Spargel. Investoren zahlen bis zu 3000 Euro pro Hektar. Mit solchen Preisen können normale Landwirte kaum mithalten.
Auf 16 Prozent der Landwirtschaftsfläche in Deutschland werden Pflanzen angebaut, die nicht als Nahrung, sondern als Roh- oder Brennstoff dienen. Die Industrie will petrochemische Grundstoffe durch Biomasse ersetzen. Die sogenannte Bioökonomie benötigt nachwachsende Rohstoffe, die den Nahrungspflanzen Platz streitig machen, bzw. sogenannte flex crops, die für beide Zwecke taugen – zum Essen oder als Vorprodukt industrieller Prozesse.
Der größere Teil dieser Nutzpflanzen dient allerdings als Treibstoff. Als »Energiewirte« kultivieren die Bauern immer mehr Silomais (für Biogas) und Raps (für Biodiesel). Sie konnten sich Biogasanlagen und den Anbau von Biomasse durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz finanziell fördern lassen, zusätzlich zu den bestehenden Agrarsubventionen. Mittlerweile drosselt die Bundesregierung den Geldstrom etwas, gegen erheblichen Widerstand der Branche.
Auch die Art der Agrarförderung der Europäischen Union wirkt als Fehlanreiz. Der größere Teil der Subventionen fließt pro Quadratmeter und belohnt damit die großen Landbesitzer, unabhängig davon, was sie mit ihrem Boden anfangen. Diese Subventionen befördern die Abkehr von der Nahrungsproduktion.
Dem Klimaschutz bringen die sogenannten Biotreibstoffe allerdings nichts. Ihre Treibhausgasbilanz ist nicht besser als die von herkömmlichem Sprit, die Umweltbelastung durch den Anbau dagegen erheblich.
Synergieeffekte
Um es zusammenzufassen: Energiegewinnung, Nahrungserzeugung und Naturschutz brauchen künftig mehr Platz. Der Flächenkonkurrenz lässt sich natürlich entgegenwirken, indem das Land für mehrere Zwecke gleichzeitig genutzt wird.
Solarzellen auf den Dächern in der Stadt sind ein einfaches Beispiel für solche Synergien. Solaranlagen können auch über Mooren, Weiden oder Äcker errichtet werden. In der Landwirtschaft erhöht die Verschattung durch »Agri-PV« bei einigen Kulturen sogar die Erträge. Nahrung kann in den Städten erzeugt werden (urban gardening), vorzugsweise auf entsiegelten Flächen, was außerdem die Folgen des Klimawandels mildern kann. In Zukunft sollte Mehrfachnutzung zur Regel werden, wo immer sie möglich ist.
Geradezu ein Allheilmittel sind Agrarforstsysteme: Sie speichern Kohlenstoff, bieten Lebensräume für Tiere und Pflanzen und liefern Nahrung. Solche Nutzwälder haben das Potenzial, den Gegensatz von Naturschutz und Landwirtschaft zu überwinden. Die oben erwähnte Studie des Thünen-Instituts betont in diesem Zusammenhang, dass die Fixierung auf einjährige Kulturen überwunden werden muss: »Die strategische Einrichtung mehrjähriger Produktionssysteme mit nachwachsenden Rohstoffen (z.B. Biomasseanbau mit perennierenden Kulturen in Agrarlandschaften) kann helfen, die Biodiversitäts- und Umweltauswirkungen der Pflanzenproduktion abzumildern, Biomasse für die Erreichung von Energie- und Klimazielen zu liefern sowie zur Erreichung von Zielen bezüglich der Pestizidminimierung, der Reduzierung des Düngemitteleinsatzes, der Sequestrierung von Kohlenstoff und der Bodengesundheit beizutragen.«
Fruchtbarer Ackerboden geht verloren, in Deutschland und weltweit. Er wird wieder zu einem knappen Gut. Aber gerade das macht ihn zu einer Finanzanlage mit hervorragenden Aussichten. Je schärfer die ökologische Krise auf die Ernteerträge drückt, umso attraktiver als Geldanlage, umso höher die Preise. Gegessen werden muss immer, denken sich die Investoren wohl.
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